Schwierig, aber möglich |
15.06.2018 16:51 Uhr |
Von Judith Schmitz / Eine vegetarische oder vegane Ernährung bei Kindern ist prinzipiell möglich. Eltern sollten sich allerdings umfassend informieren, denn ohne Ergänzung von Mikronährstoffen kann der Lebensstil zu schweren Schäden führen.
Forscher der Fachhochschule des Mittelstands (FHM), der Universität Bonn und des Instituts für alternative und nachhaltige Ernährung (IFANE) haben erstmals eine bundesweite Pilotstudie durchgeführt. Diese Untersuchung soll den Ernährungs- und Gesundheitsstatus vegetarisch, vegan sowie mit Mischkost ernährter gesunder Kleinkinder vergleichen und beurteilen. Für die VeChi-Diet-Studie (Vegetarian and vegan Children Study) wurden zwischen Oktober 2016 und April 2018 Eltern von ein- bis dreijährigen Kindern rekrutiert. Über drei Tage wogen und protokollierten die teilnehmenden Familien alle Lebensmittel, Getränke und Nahrungsergänzungsmittel, die das Kind gegessen und getrunken hatte. Außerdem mussten sie Größe und Gewicht des Kindes angeben und Gesundheitsfragen beantworten.
Die ersten Ergebnisse schließen Daten von 364 Kindern ein. Etwa 90 Prozent der vegetarisch oder vegan ernährten Kleinkinder zeigten im Durchschnitt eine normale Entwicklung von Körpergewicht und Körpergröße, berichten die Studienleiter. Bei 10 Prozent der veganen und 6 Prozent der vegetarischen Kinder lagen die Angaben unterhalb des Normalbereiches. Die Zufuhr von Calcium, Jod und Vitamin B2 war in allen drei Gruppen kritisch. Vegane Kinder erreichten nur etwa die Hälfte der empfohlenen Calciumzufuhr. Aber nur die veganen Kinder erreichten dagegen im Durchschnitt die empfohlenen Werte für die Zufuhr von Eisen und Folat. Sie lagen dabei sogar 45 bis 50 Prozent über der Zufuhr der Mischkostkinder. Fast alle veganen Kinder nahmen ein Vitamin-B12-Präparat, aber ungefähr die Hälfte der vegetarischen Kinder erreichte nicht die Zufuhrempfehlung für Vitamin B12.
Fokus auf Vitamin B12
Bei einem Teil der Familien besteht also Bedarf für eine qualifizierte Ernährungsberatung. Die Autoren der Studie schlussfolgern aber, dass auch eine vegane oder vegetarische Ernährung im Kleinkindalter bedarfsdeckend sein kann, wenn auf eine ausreichende Zufuhr von Nahrungsenergie und kritischer Nährstoffe geachtet wird. Wichtig ist hier vor allem Vitamin B12, das nicht in Pflanzen vorkommt. Ein wichtiger Hinweis: Finanziert wurde die Studie von der Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz. Nach eigenen Angaben wirbt sie für eine vegane Ernährung, um die tierschutzfeindliche Massentierhaltung immer mehr zurückzudrängen.
Die Studienergebnisse haben die kritische Position der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zu veganer Ernährung nicht geändert. Die Ernährungswissenschaftlerin Antje Gahl von der DGE erklärt gegenüber PTA-Forum, dass die Ergebnisse der VeChi-Diet-Studie zwar Daten zur Zufuhr bestimmter Nährstoffe beinhalteten, aber nicht zu deren Status im Körper. Dafür benötige man etwa Blutwerte. Daher seien die Ergebnisse zunächst nur bedingt aussagekräftig. Ein weiterer Kritikpunkt: Die geistigen Fähigkeiten der Kinder wurden nicht untersucht.
DGE rät ab
Die DGE rät von einer veganen Ernährung für Kinder und Jugendliche ab, weil eine ausreichende Versorgung mit einigen Nährstoffen nicht oder nur schwer möglich sei. Das Risiko für eine Nährstoffunterversorgung beziehungsweise für einen Nährstoffmangel werde umso größer, je stärker die Lebensmittelauswahl eingeschränkt wird und je weniger abwechslungsreich die Ernährung ist. Bei einer veganen Ernährung könne es aufgrund des Verzichts auf tierische Lebensmittel zu einer Unterversorgung mit Energie, Proteinen, Eisen, Calcium, Jod, Zink, Selen, Vitamin B2 (Riboflavin), Vitamin B12 (Cobalamin) und Vitamin D kommen. Die Zufuhr langkettiger Omega-3-Fettsäuren sei ebenfalls gering. Das Risiko für die Entwicklung von Nährstoffmangelzuständen bei veganer Ernährung betreffe vor allem Säuglinge, Kleinkinder und Kinder. Sie benötigen im Wachstum besonders viele Nährstoffe, können sie auf der anderen Seite aber in geringerem Umfang speichern als Erwachsene.
»Eine vegane Ernährung ohne konsequente Ergänzung von Mikronährstoffen führt regelmäßig zu einer Mangelernährung«, warnt auch Professor Berthold Koletzko, Sprecher der Ernährungskommission bei der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ). »Ein Vitamin-B12-Mangel ist sehr ernst. In den Kinderkliniken sehen wir ihn häufig bei Kindern mit schweren neurologischen Schäden. Die Hälfte der Kinder bleibt dauerhaft beeinträchtigt.« Veganerinnen können ihr Kind bereits während der Schwangerschaft und Stillzeit gesundheitlich schwer schädigen, wenn sie nicht zusätzlich Vitamin B12 zuführen. Neurologische Schäden können auch bei Jugendlichen und Erwachsenen auftreten, besonders wenn sie zwischen dem sechsten und 24. Lebensmonat mit Eisen unterversorgt waren, der Lebensphase, in der Kinder am schnellsten wachsen. Solche Kinder wiederholten auch zweimal so häufig eine Schulklasse wie Kinder mit gutem Eisenstatus. Eisen ist unter anderem wichtig für den Neurotransmitterstoffwechsel. Ein Mangel ist auch häufig bei Mädchen in der Pubertät ein Thema, wenn sie auf Fleisch verzichten. Denn über ihre Menstruationsblutung verlieren sie regelmäßig Eisen.
Vegetarisch und vegan ernährte Kinder laufen zudem Gefahr, zu wenig Zink aufzunehmen. Dieses Spurenelement ist für die Immunabwehr und das Längenwachstum wichtig. Daher finden sich unter vegetarisch oder vegan ernährten Kindern mehr kleinwüchsige als unter Mischköstlern. »Entscheidend ist nicht nur die Menge, die man an Nährstoffen zu sich nimmt, sondern auch, wie viel davon resorbiert wird«, sagt Koletzko. Etwa ein Viertel weniger Zink nehme der Körper aus Getreide als aus Fleisch und Fisch auf, weshalb auch der Ausschluss von Fisch bei der Ernährung nachteilig sei.
Dauerhafte Substitution
Wer sich beziehungsweise seine Kinder dennoch vegan ernähren möchte, sollte dauerhaft Vitamin B12 substituieren, auf eine ausreichende Zufuhr vor allem der kritischen Nährstoffe durch eine gezielte Lebensmittelauswahl, angereicherte Lebensmittel und Nährstoffpräparate achten und den Versorgungszustand ärztlich kontrollieren lassen. Nur so könne man Nährstoffdefizite vermeiden, und dann spreche nichts gegen eine vegane Ernährung, sagt Gahl von der DGE. Aber mit einer vollwertigen, vielseitigen Mischkost, die zum größten Teil aus pflanzlichen und zum kleinen Teil aus tierischen Lebensmitteln inklusive Fisch und wenig Fleisch und Fleischerzeugnissen besteht, kann der Bedarf an Nährstoffen in der Regel einfacher gedeckt werden. Nährstoffpräparate sind dann generell nicht notwendig. Daher empfiehlt die DGE die vegane Ernährung nicht, sondern eine Ernährung mit allen im Ernährungskreis aufgeführten Lebensmittelgruppen, also auch tierischen Lebensmitteln: Fett (mindestens 20 bis 25 g/Tag zur Energiezufuhr), tierische Lebensmittel wie Milchprodukte (mindestens 150 bis 250 g/Tag; Zufuhr von Calcium, Riboflavin, Protein) und Fisch (mindestens 100 bis 150 g/Woche; Zufuhr langkettiger Omega-3-Fettsäuren, Vitamin D, Vitamin B12).
Gesundheit und Ethik
Gahl führt mehrere Gründe auf, weshalb Eltern ihre Kinder vegetarisch/vegan ernähren wollen. Zum einen ist eine pflanzenbetonte Kost wie die vegetarische Ernährung mit gesundheitsfördernden Aspekten verbunden. Andererseits spielen oft auch ethische Gründe eine Rolle, etwa dass man keine Tiere essen wolle oder Massentierhaltung ablehne. Wenn Eltern sich selbst vegetarisch oder vegan ernähren und dies für sich als ideal empfinden, möchten sie das auch für ihre Kinder. Wichtig sei auf jeden Fall, die Kinder nicht zum Verzehr bestimmter Mahlzeiten beziehungsweise einzelner Lebensmittel zu zwingen. Dies gelte unabhängig von der Ernährungsweise. Kinder und Jugendliche benötigten zur Prägung ihrer Sinne ein Angebot an Lebensmitteln, das eine Vielfalt in Geschmack sowie in Geruch, Konsistenz, Aussehen und Hörerlebnissen bietet. Dies ist umso besser möglich, je vielfältiger das Lebensmittelangebot ist. Das schließt auch das regelmäßige Probieren von bisher unbekannten Lebensmitteln ein. Durch wiederholtes Probieren ließe sich auch die Akzeptanz neuer Geschmacksrichtungen verbessern. »Wir haben bei uns in den Industrienationen das große Privileg, aus einem sehr vielseitigen Lebensmittelangebot auswählen zu können. Das sollten wir auch für uns nutzen. Das ist global gesehen nicht selbstverständlich«, sagt Gahl.
Nicht generell gesünder
Dass Vegetarier und Veganer aufgrund ihrer Ernährung generell gesünder leben als Mischköstler, lässt Koletzko nicht gelten. Hier spielten auch andere Faktoren wie Rauch- und Alkoholverzicht sowie gesundheitsfördernde Aktivitäten eine Rolle. »Wir Kinderärzte plädieren für eine hohe Zufuhr von pflanzlichen Lebensmitteln bei Kindern, viel Vollkorngetreide, Gemüse und Obst. Das bedeutet aber nicht im Umkehrschluss, alle tierischen Lebensmittel auszuschließen.« Ärzte empfehlen Eltern, ihren Kindern wöchentlich etwa 100 bis 150 g Fleisch zu servieren.
Auch bei der Ernährung sei die Welt nicht Schwarz-Weiß, so Koletzko. Kokosöl und Palmkernfett etwa haben mit ihren vielen gesättigten Fettsäuren eine ungünstige Fettsäurezusammensetzung. Koletzko empfiehlt Eltern, ihren Kindern keine veganen Produkte mit schlechter Ernährungsqualität zu geben, wie sie inzwischen in zahlreichen Läden verbreitet sind. In vielen veganen Fertigprodukten sei der Gehalt an wichtigen Nährstoffen zu gering, die Produkte zu fett- , salz- und zuckerhaltig. Fleischersatzprodukte wie das Sojaschnitzel beinhalteten außerdem viele Hilfs- und Zusatzstoffe. Früher hätten Vegetarier und Veganer viel genauer darauf geachtet, was sie essen und wie sie die Lebensmittel zubereiten. Heute könnte es bei unausgewogener Ernährung, etwa bei »Keks- und Sojapuddingveganern«, wie Koletzko sie nennt, passieren, dass Veganer an einer Unterversorgung mit essenziellen Aminosäuren litten. Vermeiden lässt sich dies, wenn Getreide und Hülsenfrüchte kombiniert werden, etwa Reis mit Linsen und Mais mit Bohnen. Eltern, die ihr Kind vegetarisch oder vegan ernähren möchten, sollten unbedingt Rücksprache mit dem Kinderarzt halten. Kontrollen von Wachstum und Nährstoffgehalt im Blut sind dann besonders wichtig. /
Darauf sollten Eltern achten, wenn sie ihr Kind vegetarisch oder vegan ernähren möchten: