Aktiv gegen Knochen‑ schwund |
01.09.2014 14:44 Uhr |
Von Clara Wildenrath / Jede vierte Frau über 50 leidet an Osteoporose. Knochenbrüche, Schmerzen und der Verlust der Selbständigkeit sind oft die Folge. Das muss aber nicht sein: Es ist nie zu spät, etwas gegen den Knochenschwund zu tun.
Ein »Witwenbuckel« galt früher als normale Alterserscheinung. Heute weiß man, dass er in den meisten Fällen eine Folge von Osteoporose ist: Der Rückgang der Knochendichte macht die Wirbelkörper porös, sie brechen ein und die Wirbelsäule krümmt sich nach vorne. Oft werden Wirbelbrüche und die daraus resultierenden Rückenschmerzen anfangs als Hexenschuss oder Ischiasbeschwerden fehlgedeutet.
Anlass für einen Knochenbruch können schon ganz alltägliche Belastungen sein, zum Beispiel das Heben einer schweren Einkaufstasche, ein Hustenstoß oder das Abstützen der Hand beim Stolpern. Vor allem die häufig auftretenden Oberschenkelfrakturen schränken die Lebensqualität erheblich ein: Etwa 50 Prozent der Patienten bleiben danach pflegebedürftig. Bis zu 25 Prozent sterben sogar daran.
Abrechnungsdaten einer Krankenkasse ergaben, dass in Deutschland jeder Siebte über 50 an Osteoporose leidet, insgesamt 6 bis 8 Millionen Menschen. Etwa 80 Prozent davon sind Frauen. Jeder dritte Patient hatte zum Zeitpunkt der Diagnose schon mindestens einen osteoporosebedingten Knochenbruch.
Stets im Umbau
Doch der Knochenschwund beginnt schon lange, bevor die erste Fraktur auftritt. Während des ganzen Lebens finden im Knochengewebe Umbauvorgänge statt. Etwa bis zum 30. Lebensjahr baut der Körper mehr Knochensubstanz auf als ab. Mit zunehmendem Alter überwiegen dann immer mehr die Abbauprozesse. Ein Verlust von 0,5 bis 1 Prozent jährlich gilt aber noch als normal. Von Osteoporose spricht der Arzt erst, wenn die Knochendichte deutlich unter das normale Maß sinkt und ein erhöhtes Frakturrisiko besteht. Die Vorstufe, eine leicht verringerte Knochendichte noch ohne Krankheitswert, heißt Osteopenie.
Ein Mangel des weiblichen Sexualhormons Estrogen in den Wechseljahren begünstigt den Abbau von Knochenmasse. Deshalb sind Frauen häufiger von Osteoporose betroffen als Männer. Ein verspätetes Einsetzen der Pubertät oder die Entfernung der Eierstöcke können ebenfalls den Knochenschwund fördern. Einen ähnlichen Effekt hat bei Männern der Testosteronabfall in höherem Alter. Allerdings steigt das Osteoporoserisiko bei ihnen erst etwa zehn Jahre später als bei Frauen.
Meist wirken mehrere Risikofaktoren zusammen, damit aus der normalen Knochenalterung eine Osteoporose wird. Neben Alter und Geschlecht spielt oft eine familiäre Veranlagung eine wichtige Rolle. Nicotin, übermäßiger Alkoholkonsum, Bewegungsmangel, Untergewicht und einseitige Ernährung schwächen ebenfalls die Knochen. Auch einige Erkrankungen hemmen den Knochenaufbau und können eine sekundäre Osteoporose zur Folge haben. Dazu gehören etwa Niereninsuffizienz, Entzündungen der Bauchspeicheldrüse oder des Darms (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa), Überfunktion der Nebenschilddrüsen (Hyperparathyreoidismus), Typ-1-Diabetes und Magersucht. Gleiches gilt für manche Arzneistoffe: So erhöhen beispielsweise Glucocorticoide, Antiepileptika, Antidepressiva, Aromatasehemmer, Cyclosporin, Phenprocoumon oder Protonenpumpenhemmer bei einer Langzeitbehandlung das Osteoporoserisiko.
Erste Wahl DXA
Legen Alter, Geschlecht, Familienanamnese, Lebensumstände und/oder Krankheitsgeschichte die Gefahr einer Osteoporose nahe, kann eine Knochendichtemessung das Ausmaß des Knochenschwunds bestimmen. Als Standardverfahren hierzu wird heute ausschließlich die DXA (Dual-X-Ray-Absorptiometry, Doppel-Röntgen-Absorptionsmessung) der Lendenwirbelsäule und der Hüfte empfohlen. Andere Methoden, wie quantitative Ultraschallverfahren oder Computertomografie (QCT), gelten als weniger aussagekräftig und sollten entsprechend der geltenden Leitlinie des Dachverbands Osteologie (DVO) nur auf begründete Ausnahmefälle beschränkt bleiben. »Halbjährliche DXA-Kontrollen sind zum Beispiel bei jeder längeren Cortisonbehandlung wichtig, aber auch bei Brustkrebspatientinnen, die Aromatasehemmer erhalten«, betont Professor Dr. Reiner Bartl vom Osteoporosezentrum München am Dom. Auch bei Frauen über 50 und Männern über 65 Jahren rät er generell zur Knochendichtemessung, die bei einem entsprechenden Befund jährlich wiederholt werden sollte.
Knochenabbau bremsen
»Spätestens wenn Frakturen aufgetreten sind, muss die Osteoporose behandelt werden«, erklärt Bartl. Je nach Knochenmineraldichte und weiteren Risikofaktoren raten Leitlinien schon früher zur Therapie, um Brüche zu vermeiden. Denn jeder Bruch führt nicht nur zu Schmerzen und Verlust an Lebensqualität, sondern belastet das Gesundheitssystem auch mit enormen Kosten. In einer Studie stellte sich jedoch heraus, dass selbst nach mehreren Knochenbrüchen nur etwa die Hälfte der Patienten osteoporosespezifische Medikamente erhält.
Die am häufigsten eingesetzten Substanzen gehören zur Klasse der Bisphosphonate. Je nach persönlichen Vorlieben der Patienten stehen heute verschiedene Darreichungsformen zur Verfügung: von der täglich nüchtern einzunehmenden Tablette über die vierteljährliche Injektion bis zur einmal jährlichen Infusion. Gute Erfahrungen hat Osteoporose-Spezialist Bartl mit jährlichen Infusionen gemacht: »Bei Tabletten sehen wir oft Magen-Darm-Probleme. Außerdem ist die Therapietreue sehr schlecht.« Für eine ausreichende Frakturprophylaxe muss der Patient die Behandlung drei bis fünf Jahre durchhalten, mit recht strengen Einnahmevorschriften. Studien ergaben, dass im Schnitt aber nur jeder sechste Patient die Tabletten länger als ein Jahr einnimmt.
Zu möglichen Komplikationen der Bisphosphonat-Behandlung (siehe auch Seite 30) zählen unter anderem Kiefernekrosen. Sie treten aber nur bei vorbestehenden Entzündungen oder Verletzungen am Kiefernknochen auf. »Deshalb sollten während der Therapie keine Zahnimplantate gesetzt werden«, erläutert Bartl. Bei Injektionen oder Infusionen kommt es nach der ersten Behandlung gelegentlich zu grippeähnlichen Symptomen, die meist innerhalb von ein bis zwei Tagen verschwinden.
Eine relativ neue Alternative zu Bisphosphonaten ist der monoklonale Antikörper Denosumab, der die Aktivität der knochenabbauenden Zellen (Osteoklasten) hemmt. Er wird zweimal jährlich subkutan gespritzt. Auch er weist eine Reihe von Nebenwirkungen auf, vor allem Haut-, Harnwegs- und Atemwegsinfektionen.
Für schwere Fälle
Wenn eine Frau in den Wechseljahren unter starken Hitzewallungen und Schweißausbrüchen leidet, kann eine Hormonersatztherapie mit Estrogen und Gestagen helfen: Sie lindert nicht nur die klimakterischen Beschwerden, sondern wirkt auch dem Knochenabbau entgegen. Ausschließlich zur Knochenstärkung wird die Behandlung heute aber nicht mehr empfohlen, denn sie steht unter anderem im Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für thromboembolische Ereignisse und Brustkrebs.
Große Hoffnung setzen Mediziner in eine neue Substanzklasse, die Cathepsin-K-Inhibitoren. Sie hemmen ein knochenabbauendes Enzym der Osteoklasten. In Phase-II- und -III-Studien zeigten sie eine vielversprechende Reduktion des Frakturrisikos. Die Zulassung des ersten Präparats dieser Klasse wird im nächsten Jahr erwartet.
Sinnvoll ergänzen
Wichtig bei jeder Osteoporosetherapie ist eine ausreichende Vitamin-D- und Calciumversorgung. Ohne sie kann der Körper keine Knochensubstanz aufbauen – egal ob mit oder ohne Medikamente. Calcium ist einer der wichtigsten mineralischen Bestandteile des Knochens. Der DVO empfiehlt eine Calciumzufuhr von 1000 mg täglich. Das erreichen die meisten Menschen durch eine abwechslungsreiche Mischkost. Gute Calciumlieferanten sind zum Beispiel Milch und Milchprodukte, Brokkoli und anderes grünes Gemüse, Nüsse und calciumreiche Mineralwässer. Als »Calciumräuber« gelten dagegen Phosphate in vielen Fertiggerichten, Wurst und Cola-Getränken. Eine übermäßige Calciumaufnahme – mehr als 1500 mg täglich – wird allerdings mit einem erhöhten Herz-Kreislauf-Risiko in Zusammenhang gebracht.
Vitamin D ist die Vorstufe des Hormons Calcitriol. Das braucht der Körper, um Calcium aus dem Darm aufzunehmen und in den Knochen einzubauen. Auch für die Muskelfunktion und die Koordination ist es wichtig. Deshalb fördert ein niedriger Vitamin-D-Spiegel nicht nur das Fortschreiten der Osteoporose, sondern erhöht auch die Sturzneigung und damit das Risiko eines Knochenbruchs.
Produktion lässt nach
Den überwiegenden Teil seines Vitamin-D-Bedarfs stellt der Körper aus einer Vorstufe in der Haut selbst her – vorausgesetzt, er hat dazu genügend Sonnenlicht. Bei jüngeren Menschen reicht dafür bereits täglich eine Viertelstunde Sonne auf Gesicht und Hände. Doch mit dem Alter lässt die Vitamin-D-Produktion der Haut nach. Zudem verbringen viele Senioren nur wenig Zeit an der frischen Luft. »Wenn wir den Vitamin-D-Spiegel messen, finden wir bei über der Hälfte der Patienten zu niedrige Werte«, sagt Bartl. In den Wintermonaten gehen Experten sogar davon aus, dass bei 80 Prozent der Bevölkerung in Mitteleuropa ein Mangel besteht. Bartl rät deshalb insbesondere älteren Menschen zur Einnahme von 1000 I.E. Vitamin D3 täglich, bei einer nachgewiesenen Unterversorgung zu 2000 I.E. Das deckt sich mit den Empfehlungen des DVO. Auch während der Schwangerschaft und Stillzeit kann eine Supplementation sinnvoll sein, um den erhöhten Bedarf auszugleichen und das Osteoporoserisiko nicht zu erhöhen. Von Kombipräparaten mit Calcium, wie sie in vielen Supermärkten erhältlich sind, hält Bartl dagegen nicht viel. Sie können leicht zu einem Zuviel an Calcium führen.
In einigen Studien erwies sich auch ein hoher Homocystein-Spiegel als Risikofaktor für osteoporosebedingte Knochenbrüche. Dieser entsteht häufig durch eine nicht ausreichende Versorgung mit Folsäure und Vitamin B12, die für den Abbau von Homocystein notwendig sind. Ob aber eine gesteigerte Zufuhr dieser Vitamine das Osteoporoserisiko senkt, konnte bisher nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden.
Gesunde Lebensweise
Wer der Osteoporose vorbeugen oder ihr Fortschreiten verzögern will, kann aber noch viel mehr tun, als auf eine calciumreiche Kost und gute Vitamin-D-Versorgung zu achten. »Wichtig ist vor allem körperliche Bewegung«, weiß Bartl. Sie aktiviert den Knochenstoffwechsel. Als am effektivsten für den Knochen hat sich regelmäßiges Kraft- und Sprungtraining erwiesen – natürlich angepasst an die individuellen körperlichen Voraussetzungen. Zusätzliche Dehnungs-, Koordinations- und Gleichgewichtübungen tragen dazu bei, die Sturzgefahr zu verringern. Ausdauersportarten wie Schwimmen oder Radfahren wirken sich zwar nicht direkt auf die Knochenstärke aus, fördern aber den Stoffwechsel, das Wohlbefinden und die Beweglichkeit. Sinnvoll findet Bartl vor allem für ältere Menschen auch Wirbelsäulengymnastik in der Gruppe. Das stärkt den Rücken und trainiert das rückenfreundliche Heben von schweren Gegenständen: »Dadurch lassen sich viele Wirbelkörperbrüche vermeiden.«
Sturzgefahr steigt
Zur Frakturprophylaxe gehört es auch, das Sturzrisiko zu minimieren. In der Wohnung entpuppen sich oft unebene Türschwellen, lose Teppiche oder herumliegende Kabel als Stolperfallen. Eine nächtliche Notbeleuchtung hilft, den Weg zur Toilette sicher zu bewältigen. Unsicherheiten aufgrund der nachlassenden Sehkraft kann ein Besuch beim Augenarzt beheben.
Ist erst einmal ein Bruch aufgetreten, geraten die Patienten oft in einen Teufelskreis. Aus Angst vor einem erneuten Bruch bewegen sie sich weniger und vorsichtiger, dadurch nimmt die Muskelmasse ab und die Sturzgefahr steigt. Zudem schwächt der Aktivitätsverlust die Knochen weiter. Bewährt hat sich hier eine psychologische Betreuung noch während der Frakturbehandlung. Zusammen mit einer geeigneten Medikation, der richtigen Ernährung und einem individuell angepassten Sportprogramm hilft sie den Patienten, trotz Osteoporose ein selbständiges, aktives Leben zu führen. /
BfO – Bundesselbsthilfeverband für Osteoporose e.V.: www.osteoporose-deutschland.de
Netzwerk Osteoporose e.V.: www.netzwerk-osteoporose.de
Patientenbroschüren auch auf türkisch, polnisch, russisch erhältlich.