Schmerzmittel oder Operation |
01.09.2014 14:44 Uhr |
Von Inga Richter / Die Arthrose steht weltweit ganz oben auf der Liste der Gelenkerkrankungen. In Deutschland sind etwa 8,5 Millionen Menschen betroffen. Es gibt viele Möglichkeiten, die Schmerzen zu lindern und dem weiteren Verschleiß Einhalt zu gebieten. Wird das tägliche Leben aber zu stark beeinträchtigt, ist eine Operation sinnvoll.
Vor allem viele ältere Menschen kennen das Problem. Sie steigen morgens aus dem Bett oder erheben sich am Abend vom Sofa – immer schmerzt das Knie dabei. Anfangs klingen die Schmerzen zwar nach ein paar Schritten ab. Später aber schwillt das Knie womöglich an, es fühlt sich steif oder warm an. Irgendwann quält jeder Schritt, Treppen steigen, hinsetzen, aufstehen oder in die Hocke zu gehen ist kaum mehr möglich. Sind die Gelenke der Hüfte betroffen, schmerzen meist die Leisten und der Lendenwirbelbereich. Den Betroffenen fällt es beispielsweise schwer, aus dem Auto zu steigen oder die Schuhe anzuziehen. Auch die Sprunggelenke und die Gelenke in den Schultern und Fingern können sich abnutzen und Beschwerden verursachen.
»Allen Arthrosen gemeinsam ist der Anlaufschmerz«, erklärt Professor Dr. Sven Ostermeier, Facharzt für Orthopädie an der Gelenk-Klinik in Gundelfingen. Gemeint sind die Beschwerden beim Wechsel aus einer Ruhephase in die Bewegung. Außerdem komme es zu schmerzhaften Bewegungseinschränkungen, vor allem in die endgradigen Stellungen des jeweiligen Gelenkes: das gestreckte Bein beim Knie, bei der Hüfte die Rotation und das Abspreizen des Beines oder Wurf- und Streckbewegungen an der Schulter. Allerdings muss keines dieser Anzeichen zwangsläufig auf eine Arthrose hindeuten. Doch je früher man die Ursache abklären lässt, desto größer sind die Chancen, den Verlauf durch einfache Maßnahmen und ärztliche Beratung zu verlangsamen, so Ostermeier: »Gerade gelenkerhaltende Behandlungsmöglichkeiten erfordern in der Regel frühzeitiges Eingreifen.«
Leider jedoch macht sich eine Arthrose im Frühstadium häufig nur durch einen Zufallsbefund bemerkbar. Meist schreitet die Erkrankung zunächst unbemerkt voran. »Die Knorpelschicht enthält keine Nervenzellen«, erklärt Ostermeier, « nur die Knochenhaut unter dem Knochen ist mit Schmerzfühlern ausgestattet.« Somit treten die Beschwerden erst auf, wenn der Knorpel bereits bis auf die Knochen abgetragen ist.
Weniger elastisch
Bis zu einem gewissen Grad ist der Gelenkverschleiß eine normale Alterserscheinung. Die Knorpelschicht, der Druckpuffer zwischen Gelenkinnenflächen und Knochen, verliert mit den Jahren an Wasser und damit an Elastizität. Sie wird spröde und rissig. Irgendwann reiben die Knochen gegeneinander, Knorpelsplitter lösen sich und verursachen Entzündungen. Von einer Arthrose sprechen Experten, wenn der Verschleiß das altersübliche Maß übersteigt. Hauptrisikofaktoren dafür sind Übergewicht und Bewegungsmangel. Übergewicht erzeugt Druck auf die Gelenke und fordert ihnen tagtäglich Höchstleistungen ab. Mangelt es an Bewegung, werden die Knorpel nicht ausreichend mit Gelenkflüssigkeit durchspült und trocknen aus.
Ist die Diagnose gestellt, heißt es, schnell handeln. »In Beratungsgesprächen klären wir die Patienten zunächst auf, wie sie Übergewicht abbauen, welche Bewegungen vorteilhaft sind und wie sie die körperlichen Belastungen in Beruf und Sport am besten handhaben«, sagt Ostermeier. Zur Linderung der Schmerzen empfehlen die internationalen Leitlinien Paracetamol. Wer darauf nicht anspricht, erhält nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) oder die magenschonenderen COX-2-Hemmer, bei starken Schmerzen auch Opioidanalgetika oder Injektionen mit Glucocorticoiden.
Individuell beraten
Manche Kliniken und Orthopäden setzen auch auf zusätzliche Heilmittel und -methoden. Nahrungsergänzungsmittel, etwa aus natürlichen Knorpel- oder Bindegewebsbestandteilen, oder aus dem Blut gewonnene Immunmodulatoren, welche die Entzündung auf natürliche Weise bekämpfen, zellbiologische Regulationstherapien oder Kinesio-Tapes, die Liste der Methoden ist lang. Auch Akupunktur, Ergotherapien und pflanzliche Extrakte mit entzündungshemmenden Eigenschaften kommen zum Einsatz. Eine individuelle Beratung auch durch PTA und Apotheker kann helfen, sich im Dschungel der Möglichkeiten zurecht zu finden.
Weiterhin lindern physikalische Anwendungen wie Kälte-, Wärmetherapie und Wasseranwendungen die Beschwerden, orthopädische Hilfsmittel wie Gehstöcke, Bandagen und Schuhzurichtungen entlasten die Gelenke. Bei der Physiotherapie lernen die Betroffenen Übungen zur Stärkung der Muskeln, für die Dehnbarkeit der Gelenke und die allgemeine Beweglichkeit.
»Früher haben die Patienten derlei Einschränkungen als normale Alterserscheinung hingenommen«, erzählt Ostermeier. Doch die Menschen werden immer älter und viele wünschen sich bis ins hohe Alter ein Höchstmaß an Lebensqualität. »Wenn Patienten durch das geschädigte Gelenk ihr alltägliches Leben als eingeschränkt empfinden, wenn sie zum Beispiel gerne kegeln und dies nicht mehr können, dann ist es Zeit, über eine Operation zu sprechen.«
Erhalten oder Ersetzen
Bei den Operationen unterscheiden Orthopäden gelenkerhaltende Maßnahmen von solchen, die den Ersatz des Gelenkes erfordern. Unter bestimmten Voraussetzungen ist es heutzutage sogar möglich, die Arthrose zu heilen, erklärt der Orthopäde: »Sind keine zusätzlichen Schäden festzustellen und ist der umliegende sowie der dem Schaden gegenüberliegende Knorpel noch vorhanden, dann kommt womöglich eine Knorpeltransplantation infrage.« Dabei wird den Patienten ein Stückchen Knorpel entnommen, in einem Speziallabor vermehrt und anschließend wieder eingesetzt.
Nutzen bezeweifelt
Eine gelenkerhaltende Methode ist auch die Arthroskopie, ein minimalinvasiver Eingriff mittels eines Endoskops, das dem Arzt einerseits den Blick ins Knie, andererseits eine Spülung des Gelenkes (Lavage) ermöglicht. Allerdings bezweifeln Experten den Nutzen dieser Methode schon lange. Denn mehrere Vergleichsstudien haben belegt, dass eine therapeutische Arthroskopie am Knie nicht wirksamer ist als eine Scheinoperation oder Physiotherapie in Kombination mit Schmerzmitteln. Ostermeier differenziert: »Mit therapeutischer Arthroskopie ist nur eine Spülung gemeint. Die hat keinen Effekt.« Arthroskopien mit Debridement, bei denen mittels winziger Werkzeuge beispielsweise der Meniskus geglättet oder Knochenanbauten an den Knochenrändern abgetragen werden, hätten aber sehr wohl einen positiven Effekt.
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) ist davon jedoch nicht überzeugt. Erst kürzlich wertete das Institut elf Studien mit mehr als 1000 Patienten aus, in denen der Therapieerfolg von Arthroskopien mit dem anderer therapeutischer Maßnahmen verglichen wurde. Fazit: »Der Nutzen der therapeutischen Arthroskopie (mit Lavage und gegebenenfalls zusätzlichem Debridement) zur Behandlung der Kniearthrose ist nicht belegt. Im Vergleich zu keiner aktiven Vergleichsintervention zeigte sich für keinen patientenrelevanten Endpunkt ein Anhaltspunkt für, ein Hinweis auf oder ein Beleg für den Nutzen einer therapeutischen Arthroskopie.«
Da Fehlstellungen der Knochen wie beispielsweise X- oder O-Beine die Entstehung einer Arthrose begünstigen, können diese durch Umstellungs- oder Knochenosteotomien (Durchtrennung von Knochen) behoben werden. In manchen Fällen reicht zunächst eine sogenannte Synovektomie, bei der der Chirurg die schmerzempfindliche Gelenkhaut teilweise oder ganz entfernt. So werden Entzündungsprozesse unterbunden und die Zerstörung des Knorpels verlangsamt.
Letzer Ausweg Prothese
Bleiben die Schmerzen trotz konventioneller Maßnahmen bestehen und die Funktionen der beteiligten Gelenke eingeschränkt, sprechen sich die internationalen Leitlinien für einen Gelenkersatz aus. Pro Jahr werden allein in Deutschland 200 000 Hüftprothesen eingesetzt, 120 000 Knie- und etwa 10 000 Schulterprothesen, so Ostermeier: »Man versucht, nur die geschädigte Knorpelstelle zu ersetzen.« Kleinere Knorpelschäden am Knie können punktgenau durch eine Hemicap Prothese erneuert werden, auch bei Knieteilprothesen (Schlittenprothesen) bleibt der intakte Bereich erhalten. An der Hüfte besteht mitunter die Möglichkeit, den geschädigten Gelenkkopf mit einer Hüftkappe (McMinn-Prothese) zu überkronen, anstatt ihn mitsamt des Schenkelhalses zu entfernen.
Bei weit fortgeschrittener Gelenkzerstörung allerdings ist eine Totalendoprothese erforderlich, um die Funktion des Gelenks wieder herzustellen und die Schmerzen zu beseitigen. »Durch moderne Materialien sind heutzutage gute Langzeitergebnisse zu erwarten«, erläutert der Orthopäde. Zusätzlich sorgen neuartige, minimal invasive Operationszugänge für eine möglichst geringe Belastung während und nach der Operation. /
Maßnahmen, um den weiteren Gelenkverschleiß zu verhindern:
Nach Informationen der Gelenk Klinik www.gelenk-klinik.de