Bedürftige unterstützen |
22.06.2015 10:43 Uhr |
Von Michael van den Heuvel / Laut Armutsbericht 2015 nimmt die Zahl armer Menschen in Deutschland weiter zu. Damit die Einnahme wichtiger OTC-Arzneimittel nicht am Geld scheitert, wurde im Januar 2012 die »Medikamentenhilfe München« ins Leben gerufen. Inhaber des München-Passes können dadurch verschreibungsfreie Medikamente stark vergünstigt erhalten.
»Wir möchten nicht, dass sie aus Kostengründen auf den Gang in die Apotheke verzichten«, heißt es im Flyer, mit dem die Stadt München über die Medikamentenhilfe informiert. Das Projekt ist eine Kooperation des Referats für Gesundheit und Umwelt der Landeshauptstadt, der ökumenischen Krisen- und Lebensberatungsstelle »Münchner Insel unter dem Marienplatz«, der Bayerischen Landesapothekerkammer (BLAK) und der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB). Zu Projektbeginn hatten sich insgesamt 21 Apotheken in verschiedenen Münchner Stadtteilen bereit erklärt, nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel an nachweislich bedürftige Personen günstiger abzugeben. Dafür benötigen die Kunden ein sogenanntes »grünes Rezept« oder ein Privatrezept, das der Arzt ausstellt, sowie den München-Pass. Mit beiden Dokumenten erhalten sie dann in den teilnehmenden Apotheken die Arzneimittel günstiger.
»Die Höhe des Rabattes ist den Apotheken überlassen. In der Regel handelt es sich jedoch um eine Vergünstigung von 20 Prozent auf den Verkaufspreis der Apotheke«, erklärt Thomas Benkert, Präsident der BLAK, der sich mit seiner eigenen Apotheke an der Medikamentenhilfe München beteiligt. In einem Flyer können sich Münchner über die Medikamentenhilfe informieren und auch darüber, wo und wie sie den München-Pass erhalten.
Seit dem Start der Hilfsaktion im Jahr 2012 hat sich die Zahl der teilnehmenden Apotheken mehr als verdoppelt, auf inzwischen 52 (Stand 1.6.2015). Und die Idee macht Schule: Im April dieses Jahres hat sich der Sozialausschuss des Kreistages dafür ausgesprochen, das Hilfsprojekt auf den ganzen Landkreis München auszuweiten und das Angebot sozial Schwachen über den Landkreispass zugänglich zu machen. Das Landkreis-Modell soll sich an dem der Stadt München orientieren. Nun werden zunächst alle Apotheken im Landkreis sowie grenznahe Apotheken anderer Landkreise nach ihrer Bereitschaft zur Teilnahme befragt.
Armut auf dem Höchststand
Die 72-jährige Helga K. benötigt wegen ihrer Gelenkschmerzen, die ihr seit Jahren arg zu schaffen machen, regelmäßig Ibuprofen. Nach dem Tod ihres Mannes kann sie sich dringend benötigte OTC-Arzneimittel kaum leisten. Sie profitiert von preislich vergünstigten Arzneimitteln der »Medikamentenhilfe München«, denn ihre Apotheke beteiligt sich an dem Projekt. Kein Einzelfall: »Die überwiegende Zahl bedürftiger Menschen ist im Rentenalter«, sagt Dr. Peter Sandmann im Gespräch mit PTA-Forum, der mit drei Apotheken an dem Projekt teilnimmt. Sandmann unterstützt die Medikamenteninitiative von Anfang an. Immer häufiger nehmen Patienten diesen Service in Anspruch.
Diese Beobachtung erstaunt angesichts aktueller Zahlen kaum. »Noch nie war die Armut in Deutschland so hoch, und noch nie war die regionale Zerrissenheit so tief wie heute«, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, anlässlich der Vorstellung des Armutsberichts 2015. Aktuell gelten 12,5 Millionen Menschen als arm, das sind ungefähr 15,5 Prozent der Bevölkerung. Am stärksten seien Bremen, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern betroffen.
Ein Erfolgsmodell
Seit dem Start im Jahr 2012 erfahren mehr und mehr Menschen von der Medikamentenhilfe. Beispielsweise informiert die Münchener Stadtverwaltung Bedürftige, die sich einen »München-Pass« ausstellen lassen, über die teilnehmenden Apotheken. Diesen Berechtigungsnachweis erhalten unter anderem Bürgerinnen und Bürger mit geringem Einkommen, dazu zählen unter anderem Bezieher laufender Hilfe zum Lebensunterhalt, von Arbeitslosengeld II oder mit Ansprüchen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sowie wohnungslose Frauen und Männer. Mit dem München-Pass profitieren alle von Vergünstigungen in städtischen beziehungsweise nicht städtischen Einrichtungen. Apotheken sind mit von der Partie. »Wir versuchen, die Hemmschwellen weiter zu senken«, so Sandmann. Sieht in seiner Apotheke eine PTA oder ein Apotheker zufällig, dass ein Kunde den »München-Pass« hat, sprechen sie ihn diskret auf die Möglichkeit an, OTC-Arzneimittel vergünstigt zu erwerben. Auf Nachfrage stellen die Ärzte diesen Patienten dann ein grünes Rezept aus und befürworten damit, dass die Einnahme des Arzneimittels therapeutisch sinnvoll ist.
Laut einer Umfrage der BLAK in Zusammenarbeit mit der Stadt München unter den teilnehmenden Apotheken benötigen besonders viele Menschen Analgetika, Erkältungs- und Grippemedikamente, Arzneimittel gegen Allergien sowie Salben und Cremes gegen Hauterkrankungen. Sandmann sieht in dem freiwilligen Nachlass der beteiligten Apotheken »eine Form des sozialen Engagements.« Der München-Pass sei genial, doch nicht alle Kommunen würden entsprechende Dokumente für Bedürftige ausstellen.
Projekte anderer Regionen
Das Projekt aus München ist bundesweit kein Einzelfall. So verfolgt beispielsweise die »Medikamentenhilfe für Menschen in Not« in Aumühle bei Hamburg, Schleswig-Holstein, ähnliche Ziele, wenn auch nach einem anderen Konzept. Ehrenamtlich Aktive sammeln Arzneimittel bei Apotheken, Arztpraxen, pharmazeutischen Herstellern oder Großhändlern ein. Danach sichten Experten alle Spenden nach vordefinierten Kriterien. Die Präparate müssen noch mindestens ein Jahr lang haltbar sein, bei Arztmustern dürfen maximal zwei Tabletten fehlen. Entsprechende Blister werden zugeschnitten und Kartons neu beschriftet.
Präparate, die für andere Länder vorgesehen sind, werden mit Beipackzetteln und Informationen in der jeweiligen Sprache versehen. Ein Teil der Präparate bleibt aber in Deutschland, zum Beispiel in der »Krankenstube für Obdachlose« oder Praxen für Bedürftige ohne gesetzliche Krankenversicherung. Vorab nehmen öffentliche Apotheken die vorsortierten Präparate entgegen und verteilen sie nach eingehender Prüfung weiter.
Die Projekte zeigen eindrucksvoll, wie es PTA und Apothekern gelingt, Bedürftige mit dringend benötigten Arzneimitteln zu versorgen. Auf Konzepte der Bundesregierung warten sie schon lange nicht mehr. /