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Suizid im Alter

Des Lebens überdrüssig

22.06.2015  10:43 Uhr

Von Diana Haß / Ältere Menschen beenden ihr Leben weitaus häufiger selbst als angenommen. So ist bei Männern über 75 das Suizidrisiko fast fünfmal höher als im Durchschnitt der Bevölkerung. Jede zweite Frau, die sich das Leben nimmt, ist älter als 60. Die Botschaft der Experten auf diese alarmierenden Zahlen: Suizid bei alten Menschen kann verhindert werden.

Unmissverständlich stellten im Frühjahr 2015 die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) und das Nationale Suizidprogramm (NaSPro) in einem Memorandum fest: »Die Förderung der Suizidprävention im Alter benötigt mehr Aufmerksamkeit.« 

Ein Blick auf die Statistiken zeigt, dass sich in Deutsch­land immer mehr alte Menschen das Leben nehmen. So betrug im Jahr 2013 die Suizidrate in der Gruppe der Über-90-Jährigen bei den Männern 89,7 und bei den Frauen 17,4 pro 100 000 Einwohner. Zum Vergleich: Im Durchschnitt aller Altersgruppen liegt die Rate bei den Männern nur bei 18,9 und bei den Frauen bei 6,4. Unabhängig vom Alter wählen deutlich mehr Männer als Frauen den Tod aus eigener Hand: 2013 waren es 7449 Männer und 2627 Frauen.

Unterschiedliche Gründe

Dem Leben im Alter ein Ende zu setzen, hat vielfältige Gründe. »Allerdings spielen unheilbare Krankheiten und unerträgliches Leiden keine vorrangige Rolle«, stellt Privatdozent Dr. Reinhard Lindner klar. Lindner ist Oberarzt für Gerontopsychosomatik und Alters­psychotherapie an der Medizinisch-Geriatrischen Klinik Albertinen-Haus, Hamburg, und Sprecher der NaSPro-Arbeitsgruppe »Alte Menschen«. Angesichts der aktuellen Diskussion formuliert diese Arbeitsgruppe bewusst keinen konkreten Vorschlag zum assistierten Suizid. Sie weist jedoch darauf hin, dass die Möglichkeiten der Suizid­prävention am Lebensende oft nicht bekannt seien. Dazu gehört zum Beispiel das Recht, eine lebensverlängernde Behandlung abzulehnen und die vielseitigen Möglichkeiten der palliativen Versorgung zu beanspruchen, also einer Versorgung, die Schmerzen und Leiden wirksam lindert. Der eindeutige Standpunkt der NaSPro-Arbeitsgruppe lautet: »Die palliativmedizinische Versorgung und suizidpräventive Maßnahmen müssen Vorrang vor der Suizid­assistenz haben.«

Zu dem Gedanken, das Leben zu beenden, führen häufig unbewältigte Konflikte, als ausweglos empfundene Situationen oder Erkrankungen wie eine Depression. »Einer meiner Patienten war ein alter Mann. Als er morgens seine Armbanduhr nicht mehr lesen konnte, beschloss er, seinem Leben ein Ende zu setzen«, nennt Lindner als Beispiel und erläutert den Hintergrund: Der Mann hatte jeden Tag, bevor ein Pflegedienst für die Morgentoilette kam, seine Bettlaken in die Waschmaschine gesteckt, weil diese Zeichen einer Inkontinenz aufwiesen. Die Vorstellung, dazu nicht mehr fähig zu sein, war ihm unerträglich.

Im Verlauf der Therapie schälte sich die wahre Ursache für seine Ängste heraus. Im Zweiten Weltkrieg hatte er als junger Mann verwundet im Ärmel­kanal getrieben. In dieser Situation hatte er sich extrem wehrlos und ausgeliefert gefühlt, während um ihn herum andere Soldaten starben. »Er hatte massive Abhängigkeitsängste«, sagt der Psychotherapeut. Nachdem der wahre Grund ans Licht gekommen war, entwickelte der Mann wieder Lebenswillen und Lebensfreude. Dieses Beispiel nannte Lindner exemplarisch für viele weitere aus mehr als 20 Jahren Therapiepraxis.

Therapien sinnvoll

»Entgegen vieler Vorurteile kann eine Suizidgefährdung auch im hohen Alter noch erfolgreich behandelt werden«, berichtet der Experte. Erwiesener­maßen helfen Psychotherapie, Krisenintervention und Seelsorge suizid­gefährdeten alten Menschen bei Belastungen am Lebensende. Der Therapeut unterstützt sie dabei, Ressourcen zu aktivieren, die ihnen wiederum helfen, die Suizidgedanken zu bewältigen. Grundsätzliche Voraussetzung ist, dass er versteht, was sich hinter dem Gedanken an ein gewaltsames Lebens­ende verbirgt. »Suizidgedanken sind ambivalent und drücken nicht zwingend den Wunsch aus, von eigener Hand zu sterben«, sagt Lindner. Fast immer ist der Aspekt »Hilferuf« vorhanden. Das gilt im Alter sogar in besonderem Maß. Denn das Alter stellt Menschen vor Herausforderungen, denen sich viele nicht gewachsen fühlen.

Hinzu kommt die Tatsache, dass die leistungsorientierte Konsumgesellschaft Menschen mit dem Ausscheiden aus dem produktiven Erwerbsleben das Gefühl vermittelt, nicht mehr viel wert zu sein. Menschen, die diesen Leistungsgedanken verinnerlicht haben, geraten mit Eintritt in die Rente leicht in eine Sinnkrise. Feste und belastbare Beziehungen geben in dieser Lebens­situation Halt und neue Orientierung. Dasselbe gilt für eine »spirituelle Heimat«: Die positive Einstellung zu religiösen und spirituellen Inhalten – ebenso wie eine optimistische Grundhaltung – zählt zu den Schutzfaktoren vor Suizid.

Neue Herausforderungen

Altern bedeutet Veränderung, vor allem aber Verlust: Freunde und Partner sterben, viele Fähigkeiten nehmen ab, Krankheiten und Schmerzen stellen sich ein. Statt der Perspektive auf zukünftige Möglichkeiten steht die Endlichkeit des Lebens im Blickfeld. Vielen Menschen drängen sich dann Fragen nach dem Sinn ihres eigenen Lebens auf. Die Potenziale des Alterns und Alters zu sehen und zu nutzen, schützt vor Suizidgedanken. Hier ist nicht nur der Einzelne gefordert, sondern auch die Gesellschaft.

Finanzielle Sicherheit, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, eine adäquate Wohnsituation können Rückzug, Isolation und Vereinsamung im Alter verhindern. »Die erhöhte Suizidgefährdung alter Menschen ist auch ein gesundheits- und versorgungspolitisches Problem«, stellt die NaSPro-Arbeitsgruppe fest. Sie fordert ein grundsätz­liches Umdenken: Auf allen gesellschaftlichen Ebenen solle die begrenzte eigene Lebenszeit als Leitlinie für soziales Handeln gefördert werden. Wenn ein solches Umdenken stattfände, würde der abwertenden Aussage »alt ist wertlos« der Boden entzogen.

Ernstnehmen, helfen

Doch auch jeder Einzelne kann zur wirksamen Prävention von Suizid im Alter beitragen. »Ein Suizidversuch ist ein markantes Zeichen, das in einer Situation gesetzt wird, in der ein Mensch das Gefühl hat, er werde sonst nicht gehört«, erläutert Lindner. Deshalb sei es wichtig, im Gespräch mit dem älteren Menschen zu ergründen, worum es ihm eigentlich geht. Unvoreingenommen zuzuhören ist der erste und wichtigste Schritt, Suizid zu verhindern. Viele ältere Menschen vermissen einen Gesprächspartner, dem sie ihre Ängste, Sorgen und Wünsche mitteilen können. Möglicherweise brauchen sie eine belastbare Beziehung zu einem Arzt, einer Pflegeperson oder einem anderen Vertrauten.

Der nächste Schritt erfordert eine Krisenintervention, die sich am Einzelfall orientiert. Je nach individueller Situa­tion kann ein Seelsorger, ein Psychotherapeut oder eine psychosoziale Beratung helfen. Manchmal ist auch die Einnahme von Psychopharmaka angezeigt. Laut Untersuchungen suchen viele Menschen, die sich mit Suizid­gedanken plagen, vermehrt einen Arzt auf. Ihr Beweggrund ist, dass sie nach einem Ausweg aus ihrer als ausweglos empfundenen (Gefühls-)Lage suchen. Der Suizidgefährdete muss nur die zahlreichen Hilfsangebote finden – und dabei braucht er Unterstützung.

Anonymität gewahrt

»Gerade auch Mitarbeiter in Apotheken können hier ganz viel bewegen«, ist Lindner sicher. Der Gang in eine Apotheke fällt diesen Menschen oft noch leichter als der Arztbesuch. Dort hören ihnen PTA oder Apotheker meist offen und zugewandt zu. »Trotzdem gibt es den Verkaufstisch als Schranke und gewissermaßen als ein Schutzschild. Wer in eine fremde Apotheke geht, wahrt zudem seine Anonymität und hat die innere Sicherheit, dass er oder sie bei Bedarf sofort wieder gehen kann«, erläutert Lindner. Für viele Menschen in innerer Bedrängnis sind solche Faktoren wichtig. Damit eine Notsituation nicht in einen Suizid mündet, gilt es Auswege aufzuzeigen (siehe auch Interview). Wenn das gelingt, kann der Betroffenen die Krise psychisch gestärkt überwinden, in jedem Lebens-Alter. /

Weiterführende Adressen

Die Stiftung »Stark fürs Leben« hat sich die Förderung von Suizidprävention und Krisenintervention zur Aufgabe gemacht.
Im Internet zu finden unter www.stark-fuers-leben.de

Informationen rund um Suizidprävention gibt es unter
www.suizidpraevention-deutschland.de und www.suizidpropylaxe.de

Fachdienste, Therapeuten und Beratungs-Einrichtungen vor Ort sind auch zu finden über den »Arbeitskreis Leben« unter www.ak-leben.de

Die kostenlose Telefonseelsorge ist rund um die Uhr zu erreichen
unter Tel. 0800 1110111 oder 0800 1110222.

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