Forever young? |
02.07.2018 15:06 Uhr |
Von Michael van den Heuvel / Die meisten Menschen wollen alt werden ohne sich alt zu fühlen. Neben Kosmetika und Nahrungsergänzungsmitteln greifen Konsumenten in den USA verstärkt zu Hormonen. Viele Präparate gibt es als Nahrungsergänzungsmittel. Was sollten PTA und Apotheker wissen, falls Kunden nachfragen?
Nahrungsergänzungsmittel mit DHEA (Dehydroepiandrosteron), auch Prasteron genannt, sind seit Jahren bei amerikanischen Senioren im Trend. Konsumenten erhalten die Präparate auch ohne medizinischen Rat in Drogerien oder Supermärkten.
DHEA entsteht im Körper über mehrere Zwischenstufen aus Cholesterin. Die Biosynthese läuft bei Männern in der inneren Schicht der Nebennierenrinde und bei Frauen zusätzlich in den Ovarien ab. Aus DHEA bilden sich sowohl männliche als auch weibliche Sexualhormone. Schon früh fanden Wissenschaftler heraus, dass der DHEA-Spiegel im Serum stark altersabhängig ist: Damit lag es nahe, DHEA zu verabreichen, um einen Mangel bei Senioren auszugleichen. Ob Patienten davon tatsächlich profitieren, ist ungewiss. Etliche Foren preisen lebensverlängernde Effekte an. Auch bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bei Krebs, Osteoporose oder Diabetes mellitus soll das Molekül Effekte zeigen. Cochrane Österreich, ein Netzwerk unabhängiger Wissenschaftler, hat vor wenigen Monaten Publikationen hinsichtlich ihrer Aussagekraft unter die Lupe genommen.
Zur geistigen Leistungsfähigkeit fanden Wissenschaftler Arbeiten mit 624 Frauen und Männern zwischen 44 und 85 Jahren ohne neurologische Grunderkrankungen. Sie erhielten 50 bis 57 mg DHEA oder Placebo über mehrere Monate bis zwei Jahre hinweg. Änderungen kognitiver Fähigkeiten wurden über etablierte Tests aus der Psychologie erfasst. Dabei zeigten sich keine signifikanten Unterschiede. Wegen methodischer Schwächen, beispielsweise geringer Teilnehmerzahlen, sind viele Veröffentlichungen nicht sehr aussagekräftig.
Weitere Untersuchungen widmeten sich der Lebensqualität von 287 Frauen während und nach ihren Wechseljahren sowie 262 älteren Männern. Hier reichte das Dosisspektrum von 10 bis 1600 Milligramm DHEA pro Tag. Die Anwendungsdauer schwankte zwischen einer Woche und zwei Jahren. Keine Studie konnte positive Effekte im Vergleich zu Scheinmedikamenten nachweisen.
Sexuelle Funktionsstörungen waren ebenfalls ein Thema zahlreicher Arbeiten mit 287 Frauen und 221 Männern. Die Dosierungen lagen bei 10 und 1600 Milligramm pro Tag für eine Woche bis ein Jahr. Sexuelle Probleme wie Erektionsstörungen oder Schmerzen wurden über Fragebögen erfasst. Bei Teilnehmerinnen gab es statistisch signifikante Unterschiede. Allerdings bezweifeln Cochrane-Spezialisten, dass der Effekt stark genug ist, um auch im Alltag Relevanz zu haben. Männer profitierten nicht vom Lifestyle-Pharmakon.
Alter | Weiblich | Männlich |
---|---|---|
1 – 4 Jahre | 0,47 – 19,4 μg/dl | |
5 – 10 Jahre | 2,8 – 85,2 μg/dl | |
10 – 14 Jahre | 33,9 – 280 μg/dl | 24,4 – 247 μg/dl |
15 – 19 Jahre | 65,1 – 368 μg/dl | 70,2 – 492 μg/dl |
20 – 24 Jahre | 148 – 407 μg/dl | 211 – 492 μg/dl |
25 – 34 Jahre | 98,8 – 340 μg/dl | 160 – 449 μg/dl |
35 – 44 Jahre | 60,9 – 337 μg/dl | 88,9 – 427 μg/dl |
45 – 54 Jahre | 35,4 – 256 μg/dl | 44,3 – 331 μg/dl |
55 – 64 Jahre | 18,9 – 205 μg/dl | 51,7 – 295 μg/dl |
65 – 74 Jahre | 9,4 – 246 μg/dl | 33,6 – 249 μg/dl |
> 75 Jahre | 12 – 154 μg/dl | 16,2 – 123 μg/dl |
Da die DHEA-Serumspiegel stark schwanken, wird meist der DHEA-Sulfat-Wert bestimmt
Quelle: Laborlexikon.de
Risiken weitgehend unerforscht
Und nicht zuletzt ging es um die körperliche Leistungsfähigkeit. Hier fanden Experten Veröffentlichungen mit insgesamt 661 Teilnehmern zwischen Mitte 50 und Mitte 70. Es gab starke Unterschiede bei der Konzeption. Teilnehmer bekamen 50 und 100 Milligramm DHEA pro Tag oder Placebos für drei bis zwölf Monate. Sportprogramme kamen teilweise mit hinzu, was den Vergleich stark erschwerte. Außerdem bestimmten Forscher unterschiedliche Parameter, etwa die Handkraft, in anderen die Presskraft der Beinmuskulatur. »Die Ergebnisse fallen teilweise zugunsten von DHEA aus, sind jedoch widersprüchlich«, heißt es in der Cochrane-Auswertung. Deshalb sei es momentan nicht möglich, die Relevanz abschließend zu bewerten. Wichtig wäre, ob ältere Menschen ihren Alltag besser bewältigen oder seltener stürzen.
Bleibt als Fazit: DHEA zeigt nach aktueller Studienlage wahrscheinlich keine Wirkung als Anti-Aging-Präparat. Aufgrund fehlender Daten lässt sich nicht abschließend klären, ob sich das Leben dadurch verlängert oder ob sich altersbedingte Leiden verbessern. Cochrane-Experten halten große Effekte jedoch nicht für sehr wahrscheinlich.
Bei kurzfristig angelegten Untersuchungen mit 200 mg pro Tag über 24 Wochen hinweg traten vor allem leichte androgene Nebenwirkungen auf. Bislang ist nicht klar, ob DHEA langfristig das Risiko von Brustkrebs, Prostatakrebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes mellitus erhöht. Hohe Dosen könnten auch zu Reizbarkeit und Schlafstörungen führen.
Gute Nacht, Alterung
Neben DHEA ist Melatonin Bestandteil zahlreicher amerikanischer Nahrungsergänzungsmittel. Unsere Epiphyse bildet das Hormon aus Serotonin. Es steuert den Tag-Nacht-Rhythmus. Befürworter von Anti-Aging-Effekten führen mehrere Argumente an. Bei Senioren sinkt der Melatoninspiegel, und Menschen schlafen schlechter. Gleichzeitig wirkt das Molekül antioxidativ. Im Tierversuch verlängerte sich die Lebenszeit von Mäusen, die Melatonin über ihr Futter erhielten, um 20 Prozent. Ob sich die Versuchsergebnisse auf Menschen übertragen lassen, ist ungewiss.
In Webforen tauchen außerdem Berichte zu Somatropin auf. PTA und Apotheker kennen das Wachstumshormon in Zusammenhang mit der Behandlung von Kleinwüchsigkeit, falls sich die Epiphysenfuge in Knochen noch nicht geschlossen hat. Somatropin ist auch unter den Namen Somatotropes Hormon (STH) oder Human Growth Hormone (HGH) im Handel. Normalerweise produziert unser Hypophysenvorderlappen das Hormon in ausreichender Menge. Maximalwerte werden in der Pubertät erreicht. Im Erwachsenenalter führt ein labordiagnostisch nachgewiesener Mangel zu vielfältigen Symptomen. Die Muskelmasse sinkt, die Körperfettmasse steigt, und die Knochen werden poröser. Kardiovaskuläre Risiken kommen mit hinzu. Ohne Therapie verringert sich die Lebenserwartung. Das rechtfertigt noch lange keinen Einsatz des Hormons als Anti-Aging-Präparat ohne medizinische Indikation. Bei gesunden Menschen führt Somatropin nach Abschluss des Knochenwachstums zur Akromegalie, also zu Knochenwucherungen.
In Deutschland zählen DHEA, Melatonin et cetera nicht zu den Nahrungsergänzungsmitteln. Apotheker können Präparate laut § 73 Absatz 3 Arzneimittelgesetz jedoch importieren. Das Deutsche Apotheken Portal hat alle erforderlichen Schritte zusammengestellt (https://bit.ly/2HiV2wV). In den meisten Fällen sind ärztliche Verordnungen erforderlich.
Neue Moleküle aus der Forschung
Aus wissenschaftlicher Sicht ist Anti-Aging aber trotzdem nicht auszuschließen. Das zeigen mehrere Veröffentlichungen.
Im Mittelpunkt neuer Arbeiten steht Ghrelin (Growth Hormone Release Inducing). Es bildet sich in der Magenschleimhaut und der Bauchspeicheldrüse, hat aber nicht nur appetitanregende Eigenschaften. Ghrelin bindet an spezielle Rezeptoren der Hypophyse. Anschließend werden Wachstumshormone freigesetzt. Injizierten Forscher älteren Mäusen Ghrelin, entsprach ihre Lernleistung deutlich jüngeren Tieren. Gleichzeitig verbesserte sich die neuronale Vernetzung. Die Hoffnung auf neue Medikamente, um der Gehirnalterung entgegenzuwirken, ist groß. Noch dazu fanden Wissenschaftler im Blut von Parkinson-Patienten niedrige Ghrelin-Spiegel. Weitere Studien sind geplant.
Auch das Klotho-Protein hat interessante Eigenschaften. Stellen genetisch veränderte Mäuse größere Mengen des Hormons her, verlängert sich ihre Lebenszeit um 20 bis 30 Prozent. Ein Defekt im zugehörigen Gen, um Klotho auszuschalten, führte zu Alterserkrankungen wie Arteriosklerose, Hautatrophie, Muskelschwund oder Osteoporose. Klotho wirkt als Cofaktor, damit der Fibroblasten-Wachstumsfaktor 23 (FGF23) wirken kann. FGF23 steuert vor allem den Phosphat- und Vitamin D-Stoffwechsel.
Sein chemischer Verwandter, das Protein FGF21, überraschte Forscher ebenfalls. Es bremste die Alterung des Immunsystems bei Versuchstieren. Das hat folgenden Hintergrund: Zu Beginn der Geschlechtsreife bildet sich der Thymus von selbst zurück. Im Organ werden aus Vorläuferzellen reife T-Lymphozyten. Erhöhten Forscher bei Mäusen den FGF21-Spiegel durch genetische Modifikationen, stoppten sie die Rückbildung ihrer Thymusdrüse. Nager lebten bis zu 40 Prozent länger als Vergleichstiere mit normalen FGF21-Werten./