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Welt-Polio-Tag

Nur die Impfung schützt

16.09.2014  16:29 Uhr

Von Brigitte M. Gensthaler / Dank wirksamer Impfungen gilt die Poliomyelitis (Kinderlähmung) in Deutschland als ausgerottet. Doch dies ist kein Grund zur Sorglosigkeit. Am Welt-Polio-Tag weisen Experten auf die große Bedeutung der Schutzimpfung hin.

Seit 1998 wird weltweit am 28. Oktober der Welt-Polio-Tag begangen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, Unicef, erinnern damit an Dr. Jonas Edward Salk, der am 28. Oktober 1914 geboren wurde. Der amerikanische Arzt und Immunologe entwickelte den ersten Impfstoff gegen die Viruserkrankung. Mit der inaktivierten Polio-Vakzine (IPV) gab es ab 1955 erstmals einen spezifischen Schutz. Der Totimpfstoff muss gespritzt werden. Salks Konkurrent, der Arzt und Virologe Albert Sabin, setzte auf einen Lebendimpfstoff, der deutlich einfacher zu verabreichen war: die Schluckimpfung oder orale Polio-Vakzine (OPV).

»In Deutschland leiden heute rund 60 000 Menschen an den Folgen einer Poliomyelitis«, berichtet Nadine Hopfmann, Leiterin der Beratungs- und Geschäftsstelle des Bundesverbands Poliomyelitis e. V., im Gespräch mit PTA-Forum. Der Welt-Polio-Tag solle auf den Nutzen der Impfung, aber auch auf die Menschen aufmerksam machen, die mit den Folgen der Erkrankung leben müssen.

Lähmendes Virus

Die »Poliomyelitis anterior acuta« oder spinale Kinderlähmung ist eine hoch ansteckende, akut auftretende Viruserkrankung.

Die Erreger – es gibt drei Serotypen – gehören zu den Enteroviren. Sie werden oral-fäkal durch infizierte Lebensmittel übertragen, also über den Mund aufgenommen, vermehren sich im Verdauungstrakt und werden mit dem Stuhl ausgeschieden. Anders als der umgangssprachliche Name Kinderlähmung sagt, können sich Menschen in jedem Alter mit Polioviren anstecken, nicht nur Kinder. Allerdings verläuft die Infektion bei etwa 95 Prozent der Infizierten ohne erkennbare Beschwerden.

Nur etwa jeder 20. erkrankt deutlich sichtbar. Dann hängt der Verlauf stark von der Widerstandskraft und der Immunlage des Patienten sowie seinem Ernährungszustand ab. Die Patienten haben unspezifische Beschwerden wie Unwohlsein, Kopfschmerzen, Fieber, Erbrechen und Durchfall. Nach wenigen Tagen kann die Erkrankung ausheilen und hinterlässt eine lebenslange Immunität gegen den jeweiligen Poliovirus-Serotyp.

Bei circa jedem fünften Erkrankten dringen die Polioviren jedoch über den Blutstrom in Rückenmark und Gehirn ein und lösen Fieber, Kopfschmerzen und Nackensteifigkeit aus (meningitische Phase).

Zu den gefürchteten Muskel­lähmungen kommt es, wenn die Viren motorische Nervenzellen, insbesondere die Vorderhornzellen im Rückenmark, befallen und zerstören. Die sogenannten Motoneuronen kontrollieren die Muskel­bewegungen. Etwa 1 Prozent aller Polio-Infizierten erleidet diese paralytische Form der Polio, die auch die Atemmuskulatur betreffen kann.

Post-Polio-Syndrom

Die Polio-Erkrankung verändert das Leben der Betroffenen komplett; viele sind schwer gehbehindert oder auf den Rollstuhl angewiesen. Etwa 60 bis 70 Prozent leiden aber nicht nur an den »normalen« Spätfolgen der Polio, sondern sind zudem vom Post-Polio-Syndrom (PPS) betroffen. Das PPS gehört zu den seltenen Erkrankungen.

»Das PPS ist ein eigenständiges Krankheitsbild und tritt meist 20 bis 40 Jahre nach der Ersterkrankung auf«, informiert Hopfmann. Es sei wahrscheinlich die Folge einer dauerhaften Überlastung der intakten Motoneuronen. Patienten mit PPS sind schnell erschöpft, leiden an extremer Müdigkeit, haben Muskel-, Knochen- und Gelenkschmerzen und erneute Muskelschwäche sowie oft noch zusätzlich Schlaf- und Atemprobleme. Eine wirksame Vorbeugung ist nicht bekannt.

Da Polio in Deutschland seit Jahren ausgerottet ist, kennen viele Ärzte und Therapeuten auch PPS nicht. »Betroffene erhalten häufig falsche Diagnosen und Behandlungen und bekommen keine regelmäßigen Reha-Maßnahmen«, sagt Hopfmann. Typische Fehl­diagnosen seien Burn-out oder das Erschöpfungssyndrom.

Deutschlandweit gebe es erst sechs zertifizierte Kliniken für PPS-Patienten. Der Bundesverband Poliomyelitis e.V. selbst hat die Zertifizierungs-Richtlinie erarbeitet.

Polioviren noch aktiv

Im Jahr 2002 erklärte die WHO Europa offiziell für poliofrei – ein klarer Erfolg der großen Impfkampagnen. Im März 2014 erhielt die Region Südostasien dieses Prädikat. Damit konnte die WHO die vierte von sechs Weltregionen als poliofrei zertifizieren.

Aber das Ziel der WHO, das Virus weltweit auszurotten, ist noch nicht erreicht. So tritt die Erkrankung beispielsweise in Nigeria, Afghanistan und Pakistan weiterhin auf; im Bürgerkriegsland Syrien wurden im Oktober 2013 neue Fälle gemeldet. Flüchtlinge aus Syrien könnten das Virus auch nach Deutschland einschleppen, warnte das Robert Koch-Institut (RKI) im November 2013. Zudem wurden Poliomyelitis-Wildviren in Israel in einzelnen Abwasserproben nachgewiesen.

Die Experten der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut betonen, dass der Impfschutz auch in Deutschland unbedingt erforderlich sei. Die Zirkulation des Polio­virus könne nur verhindert und die Ausrottung (Eradika­tion) erreicht werden, wenn mehr als 95 Prozent der Bevölkerung geschützt sind.

Vier Impfungen für alle

Die STIKO empfiehlt die Impfung mit einem inaktivierten Poliomyelitis-Impfstoff (IPV) für alle Säuglinge, Kinder, Jugendliche und zur Auffrischung für Erwachsene mit besonderen Risiken. In Deutschland sind unterschied­liche IPV-Vakzinen (Kombi- und Einzelimpfstoffe) zugelassen, für die verschiedene Impfschemata gelten.

Die Grundimmunisierung besteht meist aus vier Impfungen, beginnend bei Säuglingen ab zwei Monaten. Die Auffrischung folgt im Alter von neun bis 17 Jahren. Weitere Auffrischimpfungen werden nicht mehr generell, sondern nur bei besonderen Situationen empfohlen. Dies gilt zum Beispiel für Reisen in Gebiete mit erhöhtem Infektionsrisiko oder bei beruflichen Tätigkeiten, die mit einem erhöhten Infektionsrisiko einhergehen, wenn die letzte Auffrischimpfung mehr als zehn Jahre zurückliegt.

Den Lebendimpfstoff, die orale Polio-Vakzine (OPV), empfiehlt die STIKO nicht mehr. Grund ist das – wenn auch sehr geringe – Risiko einer »Impfpolio« (Vakzine-assoziierte paralytische Poliomyelitis). Eine mit OPV begonnene Grundimmunisierung ist mit IPV zu komplettieren.

Vorsicht bei Narkosen

»Die Narkose ist ein wichtiges Thema für Post-Polio-Betroffene, denn viele vertragen Anästhetika nicht gut«, betont Nadine Hopfmann vom Bundesverband Poliomyelitis e. V. gegenüber PTA-Forum.

Prä- und postoperativ, aber auch am Operationstag sind besondere Maßnahmen nötig. Beispielsweise sollten Medikamente zur Prämedikation sedierend-anxiolytisch, aber nicht muskelrelaxierend wirken. Oft ist es erforderlich, die Menge von Lokalanästhetika zu reduzieren. Bei einer Allgemeinanästhesie gilt: möglichst keine Muskelrelaxation, möglichst wenig Opioide und allgemein gut steuerbare, kurz wirksame Substanzen einsetzen. Detaillierte Informationen hat der Bundesverband im Flyer »Narkosen bei Patienten mit Post-Polio-Syndrom« zusammengefasst.

Bundesverband Poliomyelitis e. V.
Freiberger Straße 33 09488 Thermalbad Wiesenbad
E-Mail: info(at)polio-selbsthilfe.de www.polio-selbsthilfe.de

Hauptaufgabe Aufklärung

Zu den Hauptaufgaben des Bundesverbands gehöre es, Betroffene und deren Angehörige sowie Ärzte, Therapeuten und Behörden über die Erkrankung und das PPS zu informieren, erklärt Geschäftsstellenleiterin Hopfmann. »Das machen wir ganzjährig, nicht nur am Welt-Polio-Tag.« Rund um den Gesundheitstag starten einzelne Selbsthilfegruppen – deutschlandweit sind etwa 70 Gruppen aktiv – kleinere Info-Aktionen. Anlässlich des 100. Geburtstags von Dr. Jonas Salk veranstaltete die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg in Kooperation mit dem Bundesverband Poliomyelitis e. V. und der Polio Initiative Europa e. V. bereits am 13. September ein Post-Polio-Symposium in Stuttgart.

Es sei begrüßenswert, wenn Apotheken sich am Welt-Polio-Tag engagieren wollen, sagt Hopfmann und verweist auf das umfangreiche Info-Material des Verbandes. »Besonders wichtig ist uns auch die Impfaufklärung.« Dazu hat der Verband einen eigenen Flyer entwickelt, den Apothekenteams ebenso wie die anderen Materialien in der Geschäftsstelle (Adresse siehe Kasten) anfordern können. /

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