Milde Symptome, milde Wirkung |
14.08.2018 16:17 Uhr |
Von Elke Wolf / Pflanzliche Arzneimittel sind als Alternative zu chemisch-synthetischen vor allem im frühen Stadium des benignen Prostatasyndroms eine probate Therapieoption, zumal sie von betroffenen Männern gut akzeptiert werden. Welche pflanzlichen Präparate können ihre traditionelle Anwendung mittlerweile mit validen Studien zur Wirksamkeit untermauern?
Dass das Gewebe der Prostata etwa ab dem 35. Lebensjahr zu wachsen beginnt, ist physiologisch. Die meisten Männer spüren davon zunächst gar nichts. Mit den Lebensjahren macht sich die Gewebevermehrung der Prostata, die die Harnröhre wie eine Faust umschließt, dann aber doch zunehmend bemerkbar. Bei knapp einem Drittel der Männer über 65 Jahren verursacht diese Hyperplasie Beschwerden. Zu den obstruktiven Symptomen durch Einengung der Harnröhre zählen abnehmender Harnstrahl, Nachträufeln und Restharnbildung. Die Obstruktion kann bis zum Harnverhalt führen. Zu den irritativen Symptomen gehören gesteigerter Harndrang (Polyurie) und gehäuftes nächtliches Wasserlassen (Nykturie). Die Probleme des benignen Prostatasyndroms (BPS) korrelieren aber nur grob mit der Größe der Drüse.
Phytopharmaka sind eine gute Ergänzung für die Phase des kontrollierten Zuwartens (»watchful waiting«) und der Verhaltenstherapie, die die Leitlinie zur Therapie des benignen Prostatasyndroms in der Fassung von 2014 bei milden Beschwerden vorsieht (siehe nebenstehender Kasten). Diese Strategie ist allerdings nur bei Patienten mit geringem Leidensdruck möglich, die zunächst ihren Lebensstil ändern wollen. An der Einengung der Harnröhre ändert allerdings auch ein anderer Lebensstil nichts, weshalb diese Strategie nicht für Männer geeignet ist, deren Prostata besonders schnell oder nach innen wächst.
Spezielle Verhaltensmaßnahmen können in der Phase des kontrollierten Zuwartens helfen, Beschwerden rund um das Wasserlassen zu mildern. PTA und Apotheker können Betroffenen folgende leitliniengerechte Maßnahmen vorschlagen:
In jedem Fall wichtig: Während des kontrollierten Zuwartens und der Einnahme von Phytopharmaka bedarf die Prostata regelmäßiger ärztlicher Kontolluntersuchungen. Die Grenzen einer Phytotherapie sollte der Patient klar mit dem Urologen besprechen, der Beginn der Therapie mit chemisch-synthetischen Arzneistoffen darf genauso wie der richtige Zeitpunkt für eine Operation nicht verpasst werden.
Phytotherapeutika, welche in klinischen Studien eine Überlegenheit gegenüber Placebo gezeigt haben, können bei Patienten mit geringen bis moderaten Beschwerden und Leidensdruck eine Therapieoption sein, wenn chemisch definierte Präparate abgelehnt werden, heißt es in der Leitlinie. In der Tat sind verschiedene pflanzliche Präparate in Deutschland zur Therapie des BPS im Stadium I und II (nach Alken, siehe Tabelle) zugelassen. Die Leitlinienautoren diskutieren ausführlich das Für und Wider der verschiedenen Pflanzenextrakte – ohne allerdings eine allgemeine Empfehlung für deren Anwendung auszusprechen. Derzeit befindet sich die Leitlinie unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Urologie in Überarbeitung.
Einteilung der Schweregrade des benignen Prostatasyndroms nach Alken. Zur quantifizierbaren Erfassung der Symptomatik wird heute der International Prostate Symptom Score (IPSS) verwendet. Dafür wird der betroffene Patient bezüglich seiner Probleme beim Wasserlassen befragt.
Stadium | Bezeichnung | Symptom |
---|---|---|
I | kompensierte Erkrankung, Reizblasenstadium | verzögerter Miktionsbeginn, häufiges und nächtliches Wasserlassen, keine Restharnbildung |
II | beginnende Dekompensation, Restharnstadium | zunehmende Miktionsbeschwerden, Restharnbildung |
III | dekompensierte Erkrankung, Dekompensationsstadium | Harnverhalt oder Überlaufinkontinenz, Rückstauschäden an den Nieren |
Das Fehlen abschließender Empfehlungen zum Einsatz von Phytopharmaka mag der Problematik geschuldet sein, die mit diesen speziellen Arzneimitteln zusammenhängt. Der Wirkstoff ist immer ein Extrakt, und da die in den Präparaten eingesetzten Extrakte mit unterschiedlichen polaren Extraktionsmitteln hergestellt werden, sind sie unterschiedlich zusammengesetzt. Die Ergebnisse klinischer Studien sind somit nicht auf andere Extrakte übertrag- beziehungsweise vergleichbar.
Was die Qualität von Studien betrifft, bemängelt der Studienausschuss der Leitlinie hauptsächlich die gewählte zu kurze Behandlungsdauer, die zu geringe Patientenzahl oder nicht geeignete Endpunkte. Gefordert werden randomisierte doppelblinde 12-Monatsstudien, die mindestens 100 Probanden einschließen.
Von Kernen bis Palmen
Für die Phytopharmaka spricht ihre relativ geringe Nebenwirkungsrate – unerwünschte Wirkungen befinden sich auf Placeboniveau – im Vergleich zu α-Blockern und 5α-Reduktasehemmern. Dieses günstige Nutzen-Risiko-Profil mag ein Grund dafür sein, dass die Compliance bei den Extrakt-Präparaten im Allgemeinen recht gut ist.
Bis heute ist unklar, welche der identifizierten Inhaltsstoffe der Pflanzenextrakte bioaktiv in Erscheinung treten und für die Wirksamkeit verantwortlich sind. Besonderes Augenmerk gilt jedoch den Phytosterolen und den freien Fettsäuren. Für die verschiedenen Extrakte sind proliferationshemmende, antiandrogene und antiphlogistische Effekte dokumentiert. Molekularpharmakologisch sind hemmende Wirkungen etwa auf die 5α-Reduktase, auf die Cyclooxygenase und die Lipoxygenase nachgewiesen.
In der Leitlinie aufgeführt sind Früchte der Sägepalme (Sabal serrulata, Serenoa repens), Südafrikanisches Sternengras (Hypoxis rooperi), Phytosterole aus Wurzeln von Pinien und Kiefern, Brennnesselwurzel (Urtica dioica), Kürbiskerne (Cucurbita pepo), Roggenpollenextrakte (Secale cereale) und die Rinde des afrikanischen Pflaumenbaums (Pygeum africanum).
Zu den am häufigsten verwendeten und bestuntersuchten Phytotherapeutika zur BPS-Behandlung gehören Extrakte aus den Früchten der Sägepalme, die Phytosterole und vor allem freie und veresterte Fettsäuren enthalten. Ihnen wird die Hauptwirkung der angenommenen Effekte zugeschrieben. International wurden die meisten Studien mit dem französischen Sabal-Päparat Permixon® durchgeführt. Diese Zubereitung steht jedoch in Deutschland nicht zur Verfügung.
Orientierung am HPMC
Das Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC) der europäischen Arzneimittelbehörde hat vor etwa zwei Jahren diesen Dickextrakt mit dem Droge-Extrakt-Verhältnis (DEV) von 7 bis 11:1 (Auszugsmittel Hexan) mit dem Status »well-established use« versehen. Die Wirksamkeit dieses Extrakts gilt in den Dosierungen 320 mg/Tag und zweimal 160 mg/Tag aufgrund der guten Studienlage als belegt. Mehrere leitlinienkonforme Studien dokumentieren die signifikante Überlegenheit des Extrakts gegenüber Placebo; verglichen mit den Standardtherapeutika Tamsulosin und Finasterid bestand Wirkäquivalenz bezüglich Verbesserung des IPSS (International Prostate Symptom Score) und Uroflowmetrie-Parameter.
Hierzulande erhältliche Sabalextrakte haben zwar ein ähnliches Droge-Extrakt-Verhältnis wie Permixon, werden jedoch mit Ethanol als Auszugsmittel gewonnen. Und so ist im zugehörigen HMPC-Assessment-Report zu lesen, dass den ethanolischen Sabalextrakten aufgrund der schwächeren Studienlage nur der »traditional use« zugewiesen werden konnte.
Gleiches gilt für die Brennnesselwurzel und ihre Extrakte. Wenige Studien, die zudem heterogen und qualitativ nicht hochwertig sind, reichen nicht für eine valid belegbare Wirksamkeit. Nur zwei qualitativ akzeptable und kontrollierte klinische Studien mit größerer Patientenzahl und einer Studiendauer von mindestens sechs Monaten sind vorhanden. Deren Ergebnisse sind allerdings widersprüchlich. Die Studien wurden mit dem Präparat Bazoton® als Verum durchgeführt.
Deutlich besser sieht es mit der Fixkombination aus Sabal- und Brennnesselextrakt aus. Die in Prostagutt® forte vorliegende Extraktmischung ist in vier kontrollierten klinischen Studien mit mindestens sechsmonatiger Behandlungsdauer in der Dosierung zweimal 160 mg/120 mg/Tag gut untersucht. In zwei Studien wurde gegen Placebo, in den anderen beiden gegen Finasterid beziehungsweise Tamsulosin verglichen. In allen Untersuchungen verbesserte sich der IPSS, meist auch die sekundären Parameter wie Uroflowmetrie und Restharnmenge.
Sterolgemisch als Extrakt
Für Phytosterolextrakte existieren lediglich zwei placebokontrollierte Studien über einen Zeitraum von sechs Monaten. Die Studien erfolgten mit Harzol® beziehungsweise mit Azuprostat®. Die Prüfpräparate schnitten gegenüber Placebo deutlich besser ab, was auch eine unabhängige Metaanalyse bestätigt. Phytosterol war Placebo hinsichtlich des IPSS, der Uroflowmetrie-Parameter und der Restharnmenge klar überlegen. Harzol® ist derzeit das einzige Phytopharmakon in Deutschland, das eine unbegrenzte Zulassung nach §31 Absatz 3 Arzneimittelgesetz für diese Indikation innehat.
Was sind Phytosterole? Dabei handelt es sich nicht um einen Gesamtextrakt aus einem Pflanzenteil, sondern um eine definierte Pflanzeninhaltsstofffraktion, die früher nach dem Hauptbestandteil β-Sitosterol deklariert wurde. Das Europäische Arzneibuch definiert Phytosterol als ein Gemisch aus Sterolen, das zu mindestens 70 Prozent aus β-Sitosterol besteht. Als Hauptphytosterolquelle dienen die Wurzeln des südafrikanischen Sternengrases oder das Holz von Pinien und Kiefern.
Kürbissamenextrakte sind eine weitere Option, den Prostatasymptomen beizukommen. In der HMPC-Monographie sind sie mit dem Status »traditional use« versehen worden. Sowohl im dazugehörigen Assessment-Report als auch in der Leitlinie ist zu lesen, dass es nur eine qualitativ gute, kontrollierte klinische Studie gibt. Diese betrifft das heutige Granu Fink® Prosta forte 500 mg, ehemals Prosta Fink® forte. Zwar wurde ein signifikanter Unterschied im IPSS sowie in der Miktionsfrequenz zwischen Placebo und Verum nachgewiesen. Bei den sekundären Parametern wie Uroflowmetrie, Restharnmenge, Prostatavolumen gab es aber keine signifikanten Unterschiede. Entsprechende Präparate loben neben der antientzündlichen und abschwellenden Wirkung auch eine positive Beeinflussung der glatten Muskulatur in der Blase und Prostata aus.
Am schlechtesten stellt sich die Studienlage zu dem Roggenpollen-Präparat Pollstimol® dar, das bis 2011 unter der Bezeichnung Cernilton® vertrieben wurde. Es liegt nur eine einzige Studie vor. Diese ist zudem fast 30 Jahre alt und entspricht in keiner Weise den heutigen Anforderungen. /