Neue Wirkstoffe in klinischer Prüfung |
24.08.2015 11:04 Uhr |
Von Ursula Sellerberg / Schätzungsweise eine Million Bundesbürger leidet an der Alzheimer-Krankheit. Die Vorhersagen sind düster: Bis zum Jahr 2050 soll sich die Zahl der Erkrankten verdoppeln. Die Krankheit ist bislang nicht heilbar, verschiedene Medikamente können jedoch den Gedächtnisverlust verlangsamen.
Etwa ein Viertel bis ein Drittel der Menschen über 85 Jahren sind dement – zwei Drittel der Betroffenen leiden an der Alzheimer-Krankheit. Mediziner definieren »Demenz« als schwerwiegenden Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit durch ausgeprägte und lang anhaltende Funktionsstörungen im Gehirn.
Die Erkrankung beginnt bereits viele Jahre, bevor der Patient selbst oder seine Angehörigen sie wahrnehmen. Das ist nicht verwunderlich, denn der Verlauf ist meist schleichend. Die Gedächtnisleistung und andere kognitive Fähigkeiten verschlechtern sich nach und nach. Das macht sich durch unterschiedliche Symptome bemerkbar: Die Orientierung in Raum und Zeit geht verloren, die Aufmerksamkeit leidet und die Erkrankten haben Schwierigkeiten, sich richtig auszudrücken. Zudem kommen häufig nicht-kognitive Symptome wie Stimmungsschwankungen, Misstrauen, Reizbarkeit, Depressionen, Aggressivität, starke Unruhe oder Teilnahmslosigkeit hinzu.
Bei Alzheimer-Demenz gehen Nervenzellen und Synapsen verloren, vor allem in den Gehirnregionen Hippocampus, Nucleus basalis und der Großhirnrinde. Die genaue Krankheitsursache ist wissenschaftlich noch nicht umfassend geklärt. Weit verbreitet ist heute die Ansicht, dass Eiweißablagerungen zwischen und in den Nervenzellen eine Schlüsselrolle spielen, die sogenannten Amyloidplaques. Zudem ist bei Alzheimer-Demenz das Tau- Protein in den Gehirnzellen verändert. Durch Anlagerung anderer intrazellulärer Strukturen entstehen dann Neurofibrillenbündel. Beide Eiweißablagerungen kann der Körper nicht mehr abbauen. Dies führt zu Fehlfunktionen in den betroffenen Gehirnregionen und letztlich zum Absterben von Nervenzellen.
Bei Alzheimer-Demenz kommt es im Gehirn auch zu einem Mangel des Botenstoffs Acetylcholin. Andererseits ist zu viel Glutamat vorhanden. In der Folge dieser Dysbalance kann das Gehirn Nervensignale nicht mehr richtig verarbeiten. Die zur Alzheimerbehandlung eingesetzten Arzneimittel beeinflussen das Gleichgewicht der Botenstoffe Acetylcholin und Glutamat. Sie stärken entweder das Acetylcholinsystem oder hemmen die Glutamatwirkung.
Cholinesterasehemmer
Die drei Wirkstoffe Donezepil, Galantamin und Rivastigmin blockieren das Enzym Acetylcholinesterase und sorgen so dafür, dass in den Synapsen mehr Acetylcholin zur Verfügung steht. Sie dienen der symptomatischen Behandlung leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz. Zudem können die Substanzen das Fortschreiten der Erkrankung leicht verzögern. Wissenschaftlich ist aber noch nicht gesichert ist, ob sie auch die Endphase der Erkrankung hinausschieben, in der oft eine Pflege im Heim nötig wird. Ärzte verordnen ihren Demenzpatienten heute am häufigsten Cholinesterasehemmer.
Alle drei Wirkstoffe können unter anderem zu Übelkeit, Erbrechen, Schwindel oder Durchfällen führen. Um eine möglichst gute Verträglichkeit zu erreichen, sollte die Behandlung mit diesen Wirkstoffen einschleichend erfolgen, das heißt, die Dosis wird langsam gesteigert. Wird die Therapie länger als drei Tage unterbrochen, muss sie wieder mit einer geringen Dosis begonnen und langsam gesteigert werden. Aufgrund der durch Acetylcholin vermittelten Erhöhung der Magensäuresekretion klagen Patienten unter der Therapie häufig über Sodbrennen. Diese Nebenwirkung lässt sich mildern, wenn die den Acetylcholinesterasehemmer mit der Mahlzeit einnehmen. Ärzte sollten Alzheimer-Patienten nach Möglichkeit keine anticholinergen Wirkstoffe, wie trizyklische Antidepressiva oder Neuroleptika, verordnen. Denn diese Arzneimittel hemmen die Acetylcholin-Wirkung und können so die Wirksamkeit der Antidementiva schwächen sowie die geistigen Fähigkeiten der Patienten weiter beeinträchtigen.
Für die meisten Patienten ist die abendliche Einnahme einer Donezepil-Tablette empfehlenswert. Bei einigen Patienten wirkt Donezepil allerdings anregend, diese sollten die Tablette morgens einnehmen.
Galantamin verstärkt zusätzlich die Wirkung des Acetylcholins durch direkte Stimulation des Rezeptors. Retardtabletten nehmen die Patienten meist morgens mit dem Frühstück. Möglich ist aber auch die zweimal tägliche Gabe von unretardiertem Galantamin. Wenn ein Patient aufgrund von Schluckbeschwerden Galantamin-Tropfen erhält, muss er diese in Wasser eintropfen und unmittelbar danach trinken. Zu beachten ist außerdem, dass Galantamin-Tropfen nach Anbruch nur drei Monate haltbar sind.
Rivastigmin kann peroral oder als Wirkstoffpflaster verabreicht werden. Die Vorteile der Pflaster: Sie sind einfach anzuwenden und verursachen seltener Nebenwirkungen im Magen-Darm-Trakt.
Da manche Patienten mit Hautrötungen und Juckreiz reagieren, sollte das Wirkstoffpflaster täglich auf eine andere Hautstelle am Rücken, am Oberarm oder am Brustkorb aufgeklebt werden. PTA und Apotheker sollten bei der Abgabe darauf hinweisen, das alte Pflaster immer zu entfernen, bevor ein neues aufgeklebt wird. Leider kommt es immer wieder zu Überdosierungen, weil Patienten beziehungsweise Angehörige dies nicht beachten. Symptome einer Überdosierung von Rivastigmin sind Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Blutdrucksteigerungen oder Halluzinationen. Nach dem Aufkleben eines Wirkstoffpflasters sollten die Hände gründlich gewaschen werden, denn der Wirkstoff reizt die Augen.
NMDA-Rezeptor- Antagonisten
Memantin hemmt den Neurotransmitter Glutamin, indem es dessen Rezeptor blockiert. So wird verhindert, dass zu viel Glutamat die Nervenzellen schädigt oder zerstört. Memantin ist der einzige Vertreter der Klasse der NMDA (N-Methyl-D-Aspartat)-Rezeptor-Antagonisten. Es ist zugelassen zur Behandlung von Patienten mit moderater bis schwerer Alzheimer-Demenz. Memantin verzögert den Abbau geistiger Fähigkeiten, und auch Fähigkeiten wie Zähneputzen oder Anziehen bleiben durch die Memantineinnahme etwas länger erhalten.
Der Arzneistoff ist meist gut verträglich und wird ebenfalls einschleichend dosiert. Da der Wirkstoff anregend wirkt, sollten die Patienten die letzte Dosis spätestens um 16 Uhr einnehmen.
Piracetam
Piracetam wird seit etwa 25 Jahren bei Hirnleistungsstörungen älterer Patienten eingesetzt. Allerdings hat der Wirkstoff in den letzten Jahren an Bedeutung verloren. Die Substanz ist nicht speziell zur Therapie von Alzheimer-Demenz zugelassen, sondern zur symptomatischen Behandlung von chronischen hirnorganisch bedingten Leistungsstörungen im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzepts. Laut Fachinformation lässt sich jedoch nicht vorhersagen, ob der Patient individuell auf das Medikament anspricht, also muss der Arzt einen Versuch machen.
Ginkgo
Die Wirksamkeit von Ginkgo-Extrakten gegen Alzheimer wurde im Jahr 2008 vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) untersucht. Dafür wurden verschiedene Studien ausgewertet, bei denen die Patienten pro Tag 240 mg des Ginkgo-Extrakts EGb 761 einnahmen. Der Nutzen wurde belegt für das Therapieziel »Aktivitäten des täglichen Lebens«. Für die Therapieziele »kognitive Fähigkeiten« und »allgemeine psychopathologische Symptome« fand das IQWiG immerhin Hinweise auf einen Nutzen.
Ginkgo-Präparate sind rezeptfrei, können aber laut OTC-Ausnahmeliste bei Demenzen auch zu Lasten der GKV verordnet werden. Das Fertigarzneimittel Tebonin konzent 240® erhielt eine Zulassung zur Besserung von geistigen Leistungseinbußen und zur Verbesserung der Lebensqualität bei leichter Demenz. Bei der Abgabe eines Ginkgo-Präparats in der Selbstmedikation sollten PTA oder Apotheker auf mögliche Wechselwirkungen mit blutverdünnenden Arzneimitteln hinweisen.
Wirkstoffe in der Pipeline
Verschiedene Wirkstoffe werden derzeit mit Alzheimer-Patienten in klinischen Studien erprobt. Sie sollen zielgerichteter als die bisher zugelassenen Arzneimittel ins Krankheitsgeschehen eingreifen und bei rechtzeitiger Gabe die geistigen Fähigkeiten über längere Zeit bewahren.
Derzeit sind nach Angaben des Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) rund 20 Wirkstoffe gegen Alzheimer-Demenz in Phase III der klinischen Entwicklung: Die drei monoklonalen Antikörper (erkennbar an der Endsilbe -mab) Aducanumab, Gantenerumab und Solanezumab sollen das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen, indem sie den Abbau von Amyloid-Plaques fördern. Andere Substanzen sollen beispielsweise die Bildung der Plaques oder der Tau-Fibrillen hemmen.
Welche dieser Wirkstoffe tatsächlich eine Zulassung gegen Alzheimer-Demenz bekommen werden, ist noch ungewiss und bleibt abzuwarten. Denn Alzheimer-Forscher brauchen ein dickes Fell gegen Misserfolge: In dem Zeitraum von 2002 bis 2012 scheiterten 99,7 Prozent aller Projekte, bei denen ein neuer Alzheimer-Wirkstoff entwickelt werden sollte. /