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Polycythaemia vera

Die Haut im Blick behalten

29.08.2016  11:27 Uhr

Von Gudrun Heyn / Oft haben Patienten mit der bösartigen Blutkrebserkrankung Polycythaemia vera eine lange Odyssee hinter sich, bis ihre Krankheit erkannt wird. Zur Therapie stehen derzeit zwei Arzneimittel zur Verfügung. Nun fordern Mediziner, während der Behandlung auf unerwünschte Hautreaktionen zu achten.

Bei Polycythaemia vera (PV) macht die unkontrollierte Neubildung von Blutzellen im Knochenmark das Blut dickflüssiger. Dadurch ist das Risiko für lebensbedrohliche thromboembolische Komplikationen wie Schlaganfall deutlich erhöht. Um diese Gefahr zu senken, verordnen Ärzte den meisten Patienten Zytostatika.

Doch diese Therapie ist zum Teil mit stark belastenden Nebenwirkungen verbunden. »Für die Patienten ist es sehr wichtig, dass insbesondere unerwünschte Hautreaktionen so früh wie möglich diagnostiziert werden, damit rechtzeitig auf eine Zweit­linientherapie umgestellt werden kann«, betonten der Onkologe Professor Dr. Martin Griesshammer und der Dermatologe Professor Dr. Rudolf Stadler vom Johannes Wesling Klinikum Minden auf einer von Novartis Pharma unterstützten Veranstaltung in Berlin.

Nicht unter Kontrolle

In Deutschland erkranken jährlich bis zu 1600 Menschen an Polycythaemia vera. Die meisten Betroffenen sind bei der Diagnose zwischen 60 und 65 Jahre alt. Wesentliches Kennzeichen der Erkrankung ist eine Mutation im Janus-Kinase-2-Gen (JAK2-Gen). Bei etwa 98 Prozent der Patienten ist diese Mutation vorhanden. Sie führt zur Überaktivität der JAK2-Tyrosinkinase mit der Folge, dass sich blutbildende Zellen unkontrolliert vermehren, vor allem Erythro­zyten, aber meist auch Thrombozyten und Leukozyten. Außerdem lässt sich bei den Patienten eine gesteigerte Produktion an entzündungsfördernden Botenstoffen und Wachstumsfaktoren nachweisen.

Das Beschwerdebild einer PV besteht aus einem Potpourri an möglichen Symptomen. »Wenn Kopfschmerzen oder Sehstörungen im Vordergrund stehen, ist klar, dass die Patienten zunächst nicht unbedingt Hilfe bei einem Hämatologen suchen«, sagte Griesshammer. Daher vergehen häufig Jahre, bis die richtige Diagnose gestellt ist.

Zu den allgemeinen Symptomen einer PV gehören chronische Erschöpfung (Fatigue), Schlaflosigkeit sowie brennender Juckreiz, der bei Wasserkontakt ausgelöst wird (aquagener Pruritus). Bei der Entstehung von Fatigue und Juckreiz spielen entzündungsfördernde Botenstoffe eine wichtige Rolle. Störungen der Blutzirkulation in den kleinen Gefäßen führen zu mikrovaskulären Symp­tomen wie Sehstörungen, Kopfschmerz, und Schwindel. Sind die großen Gefäße beeinträchtigt, äußert sich dies in makrovaskulären Beschwerden wie der Schaufensterkrankheit (periphere arterielle Verschlusskrankheit) oder tiefen Venenthrombosen. Besonders gefürchtet sind thromboembolische Komplikationen wie Myokardinfarkt, Schlaganfall und Lungenembolie, die für 45 Prozent aller Todesfälle der PV-Patienten verantwortlich sind.

»Im Spätstadium kann eine PV zudem in eine akute myeloische Leukämie übergehen«, so Griesshammer. Doch selbst unter den harmlos erscheinenden Symptomen der PV wie Fatigue, Juckreiz oder Sehstörungen leiden die Kranken meist erheblich.

Ziel der Standardtherapie

Hauptziel der PV-Therapie ist also, das Risiko für Myokardinfarkt, Schlaganfall und Lungenembolie zu senken. Daneben soll sie die beeinträchtigenden Symptome beseitigen oder lindern und die Gefahr von Spätfolgen verringern, beispielsweise die Entstehung einer krankhaft vergrößerten Milz (Splenomegalie).

Aderlass gilt als schnellste und einfachste Methode, um den Volumen­anteil an zellulären Elementen im Blut (Hämatokrit) unter einen bestimmten Zielwert zu senken und damit die Fließeigenschaften des Blutes zu verbessern. Die zusätzliche Gabe des Thrombozytenaggregationshemmers Acetylsalicylsäure dient zur Vorbeugung von Thrombosen. Bei mehr als 50 Prozent der Patienten müssen Ärzte jedoch die Aderlass-Therapie beenden, weil Unverträglichkeiten auftreten oder die Erkrankung fortschreitet. Aber auch bei Patienten mit einem hohen Komplikationsrisiko reicht diese Methode nicht aus. Die Standardtherapie für diese Kranken ist die Gabe von Hydroxyurea (HU, Hydroxycarbamid). Das altbewährte Zytostatikum verringert rasch die Zellzahl im Blut. Doch HU eignet sich nicht für alle PV-Patienten gleich gut. »Mehr als 20 Prozent benötigen im Langzeitverlauf eine andere Therapie«, informierte Griesshammer. Etwa 10 Prozent der Behandelten entwickeln eine Resistenz gegenüber HU. Mindestens 13 Prozent der Patienten sprechen zudem nur unvollständig auf die Therapie an oder reagieren mit schweren Nebenwirkungen (HU-Intoleranz).

Starke Hautveränderungen

HU-Intoleranz äußert sich in vielen verschiedenen Beschwerden, beispielsweise Übelkeit, Appetitlosigkeit, Hautveränderungen und Pneumonitis, einer entzündlichen Veränderung der Lunge. »Vor allem unerwünschte Hautveränderungen sind der Grund, weshalb Hydroxyurea eine problematische Substanz sein kann«, sagte Griesshammer. Zu den schweren Hautnebenwirkungen einer HU-Therapie gehören Geschwüre an den Beinen (Beinulzerationen) und heller Hautkrebs wie Plattenepithelkarzinome und Basaliome.

Bei manchen Patienten bilden sich auch Schleimhautgeschwüre, die besonders im Mund stark belastend sind. »Viele Patienten sagen, ich kann das nicht aushalten«, berichtete der Onkologe. Zu den weniger schwerwiegenden bis gutartigen Hautveränderungen einer HU-Therapie zählen Haarausfall, Hyperpigmentierungen und Nagelveränderungen.

Zusammenhang belegt

Noch vor zehn Jahren ordneten Ärzte diese Nebenwirkungen nicht der HU-Therapie zu. Heute ist der Zusammenhang durch Studien belegt. So ergab eine Studie, dass Hauttoxizitäten bei 54 Prozent der mit HU behandelten Patienten auftreten, hingegen waren es nur 8 Prozent in der Patientengruppe, die beispielsweise mit den nicht für PV-Patienten zugelassenen Substanzen Interferon-alpha oder Busulfan behandelt wurden.

An der Studie nahmen 110 Patienten mit myeloproliferativen Neoplasien teil, zu denen auch die PV gehört. Die mittlere Beobachtungszeit betrug 10 Jahre. »Am häufigsten haben wir Beinulzerationen beobachtet, gefolgt von Plattenepithelkarzinomen, Vorstufen des Plattenepithelkarzinoms (Aktinische Keratose) und Basaliomen«, sagte Griesshammer. Die unerwünschten Hautveränderungen traten teils sehr früh, manchmal aber auch erst nach vielen Therapiejahren auf.

»Wichtiger Bestandteil einer optimalen Behandlung der PV ist daher ein therapiebegleitendes Hautmonitoring für Patienten unter HU-Therapie«, betonten Griesshammer und Stadler. Nach Ansicht der beiden Mediziner sollte ein Dermatologe die Haut der Patienten mindestens einmal jährlich am ganzen Körper untersuchen, um eine HU-Intoleranz frühzeitig zu erkennen. Zudem sollten die Patienten über Vorsorgemöglichkeiten informiert werden. Dazu gehören die regelmäßige Basispflege der Haut mit rückfettenden, feuchtigkeitsspendenden Cremes oder Lotionen und ausreichender Sonnenschutz. »HU-Patienten sollten Sonnenschutzmittel mit einem Lichtschutzfaktor von 50 verwenden«, empfahl Stadler. So lassen sich Hautveränderungen möglicherweise abmildern, jedoch keine HU-Intoleranz aufhalten.

Therapie bei HU-Resistenz

Zur Therapie von Patienten mit einer HU-Resistenz oder -Intoleranz ist seit März 2015 der Tyrosinkinase-Inhibitor Ruxolitinib zugelassen. Die Substanz hemmt die Aktivität der Januskinasen 1 und 2 und wird daher auch als Janus­kinase-Inhibitor bezeichnet.

Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Ruxolitinib im Vergleich mit HU oder nicht zugelassenen Substanzen wie Interferon-alpha wurde in der Response-Studie geprüft. Die Studie ergab, dass der Januskinase-Inhibitor das Blutbild deutlicher verbessert als in der Vergleichsgruppe und damit das Thromboserisiko senkt. Bei 38 Prozent der Ruxolitinib-Patienten verkleinerte sich die Milz, in der Vergleichsgruppe bei 1 Prozent. Zudem senkte Ruxolitinib die Symptomlast der Patienten deutlich, beispielsweise Schwitzen im Wachzustand um 100 Prozent gegenüber 4,4 Prozent und Juckreiz um 94,9 Prozent gegenüber 2,1 Prozent. »Für die Betroffenen bedeutet eine frühzeitige Umstellung der Therapie daher auch wesentlich mehr Lebensqualität«, fasste Griesshammer die Studien­ergebnisse zusammen.

Die häufigsten Nebenwirkungen waren in beiden Gruppen Blutarmut (Anämien) und Lymphozytenmangel, jeweils gering ausgeprägt. Schwere Nebenwirkungen traten unter den besten bei PV verfügbaren Therapien deutlich häufiger auf als unter Ruxolitinib (44 Prozent gegenüber 28,8 Prozent). Leichte Herpes-Zoster-Infektionen wurden dagegen vermehrt bei Ruxolitinib-Patienten beobachtet.

Mittlerweile liegen Erfahrungen aus mehr als drei Jahren Therapie mit Ruxolitinib vor. »Die Daten zeigen, dass der überwiegende Teil der Kranken auch weiterhin so gut auf Ruxolitinib anspricht wie zu Beginn der Behandlung«, resümierte Griesshammer. /

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