Abwehr gegen Erreger |
07.09.2015 09:37 Uhr |
Von Carina Steyer / Heilpflanzen werden seit Jahrtausenden gegen Infektionskrankheiten eingesetzt. Einige pflanzliche Stoffe eignen sich aufgrund ihrer antimikrobiellen Wirkung durchaus zur Behandlung unkomplizierter und wiederkehrender Infektionen. Doch es gibt auch klare Grenzen.
Antibiotika gelten als wichtigste Möglichkeit zur Behandlung von bakteriellen Infektionskrankheiten. Allerdings erschwert die weltweite Ausbreitung von Resistenzen zunehmend die Behandlung. Das Interesse an therapeutischen Möglichkeiten aus der Natur steigt daher bei Patienten und in der Forschung.
Seit jeher werden Heilpflanzen beziehungsweise ihre Inhaltsstoffe zur Vorbeugung oder Heilung von Krankheiten eingesetzt. Im Prinzip enthält jede Pflanze Stoffe, die in irgendeiner Art und Weise antimikrobielle Eigenschaften aufweisen. Sie sind Teil des pflanzlichen Abwehrsystems und haben ein breites Wirkspektrum. Sie richten sich nicht nur gegen Bakterien, sondern meist auch gegen Viren und Pilze.
Die Erreger werden meist mit einem Gemisch unterschiedlicher Stoffe abgewehrt. Dabei ist von Vorteil, dass es aufgrund der Komplexizität der unterschiedlichsten Wirkstoffgemische keine Resistenzentwicklung gibt. Einige dieser antimikrobiellen Inhaltsstoffe lassen sich auch beim Menschen therapeutisch nutzen.
Zusätzlich bieten viele Pflanzen ein Reservoir an unterschiedlichsten Inhaltsstoffen, die den Pflanzen das Überleben sichern. Etwa Inhaltsstoffe, welche die Wundheilung fördern und die Gewebeneubildung anregen. Das ist für das pflanzliche Überleben essenziell, um etwa durch Raupenfraß entstandene Wunden schnellstmöglich zu verschließen. Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente stärken das Immunsystem. Ein großer Vorteil der antimikrobiellen Substanzen ist, dass sie die symbiontischen Bakterien im Darm des Menschen nicht schädigen. Sie werden bereits in oberen Darmabschnitten resorbiert. Durchfall oder Magen-Darm-Beschwerden als Nebenwirkung kommen daher in der Regel nicht vor.
Scharfmacher
Mitunter verfügen Pflanzen über raffinierte Abwehrstrategien, um sich vor Fraßfeinden oder pathogenen Mikroorganismen zu schützen. Dazu gehört etwa die sogenannte Glucosinolat-Myrosinase-Reaktion der Kreuzblütengewächse (Brassicaceae) und verwandter Familien (Tropaeolaceae), zu denen etwa Meerrettich und Kapuzinerkresse gehören. Dabei entstehen scharfe Senföle, auch Isothiocyanate genannt, mit deren Hilfe die Pflanze schädliche Insekten abwehrt und Bakterien und Pilze tötet.
Dazu werden die beiden Akteure des Abwehrmechanismus getrennt voneinander in den Pflanzen synthetisiert und gespeichert: die inaktiven Vorstufen der Senföle, Senfölglykoside oder Glucosinolate genannt, zum einen und zum anderen die Myrosinase, die aus den Glucosinolaten erst die aktiven Senföle freisetzt. Zerstören Schädlinge oder Mikroorganismen das pflanzliche Gewebe, wird die räumliche Trennung zwischen Myrosinase und den Senfölglykosiden aufgehoben, und die Spaltreaktion erfolgt.
Ihr antimikrobielles Potenzial machte die Senföle zu interessanten Kandidaten für die Arzneitherapie verschiedener Infektionen. Mittlerweile hat eine Vielzahl von Untersuchungen die antimikrobielle Aktivität verschiedener Senfölpräparationen beschrieben. Die meisten dieser Untersuchungen stehen in Zusammenhang mit Angocin® Anti-Infekt N, einer Fixkombination aus Kapuzinerkresse und Meerrettichwurzel. Dieses Phytopharmakon ist ein zugelassenes Arzneimittel, dessen Indikationen sowohl Infektionen im Bereich der Atemwege als auch der ableitenden Harnwege sind.
Entzündliche Erkrankungen der ableitenden Harnwege sind auch das bevorzugte Einsatzgebiet von Arbutin (wie in Cystinol® akut Dragees). Die Substanz kommt in Rosen- und Heidekrautgewächsen, besonders in den Blättern der Bärentraube, vor. Eine Wirkung gegen zahlreiche Bakterien, unter anderem Escherichia coli und Staphylococcus aureus, haben Forscher in Untersuchungen nachweisen können. Arbutin ist ein Hydrochinonglykosid, das in der Leber enzymatisch gespalten wird. Dabei wird Hydrochinon freigesetzt, das wiederum mit Glucuronsäure und Schwefelsäure konjugiert und so entgiftet wird. Im Harn nehmen Bakterien die Hydrochinon-Konjugate auf, diese werden zu freiem Hydrochinon gespalten und töten die Erreger schließlich ab. Lange galt die Empfehlung, dass der Harn für eine effektive Wirkung des Arbutins alkalisch sein müsse. Inzwischen ist aber bekannt, dass der pH-Wert keinen Einfluss auf die Wirksamkeit hat.
Dufte Medizin
Natürliche ätherische Öle haben meist einen angenehmen Geruch und sind vollkommen artspezifisch. Das heißt, Pflanzen wie Thymian, Salbei, Kamille, Arnika und Pfefferminze produzieren ein ganz individuelles ätherisches Öl. Die heilende Wirkung der Öle hat eine lange Tradition. Schon im Mittelalter verbrannten die Menschen aromatische Pflanzen zum Schutz vor der Pest. Heute weiß man um die antimikrobielle Wirkung der ätherischen Öle. Die genauen Wirkmechanismen einzelner Öle sind allerdings noch immer nicht vollständig aufgeklärt.
Ätherische Öle sind fettlöslich, können leicht Zellmembranen durchdringen und in den Bakterienstoffwechsel eingreifen. Untersuchungen zur Wirksamkeit von Teebaumöl auf Escherichia coli haben etwa gezeigt, dass das Öl die Integrität der bakteriellen Zytoplasmamembran schwächt und zusätzlich Transportproteine, Zellatmung und Energiehaushalt der Bakterien stört. Diese Mehrfach-Wirkung erschwert auch die Bildung von Resistenzen. Wissenschaftler vermuten, dass auch andere ätherische Öle ähnliche Mechanismen nutzen. Das prädestiniert sie etwa als Inhaltsstoffe für Mundspüllösungen zur Karies- und Parodontitis-Prophylaxe (wie CB12®, JHP® Rödler) oder für Erkältungspräparate (wie Soledum®, Babix®, Transpulmin®).
Russisches Penicillin
Im Zweiten Weltkrieg erhielt die beliebte Heil- und Gewürzpflanze Knoblauch den ungewöhnlichen Namen »russisches Penicillin«. Denn während die Westalliierten bereits Penicillin einsetzten, verwendete die Rote Armee der Sowjetunion Knoblauch, um Infektionen zu bekämpfen. In der Mitte des letzten Jahrhunderts isolierten Wissenschaftler erstmals durch Wasserdampfdestillation Allicin als einen der entscheidenden antimikrobiellen Wirkstoffe aus Knoblauch. Allicin wird gebildet, wenn die Zellwände verletzt werden. Zu erkennen ist das am typischen Knoblauchgeruch, der erst entsteht, wenn der Knoblauch geschnitten oder gepresst wird. Die antibakterielle Wirkung beruht auf der Hemmung von Enzymgruppen im Bakterium. Zum einen wird dadurch der Stoffwechsel des Bakteriums gestört, und zum anderen verliert es die Fähigkeit, andere Zellen anzugreifen.
Die von den Flechten Usnea barbata, Cetraria islandica und Cetraria tenuifolia produzierten Flechtensäuren zeigen ebenfalls eine antimikrobielle Wirksamkeit gegen zahlreiche Erreger. Aufgrund einer biologischen Besonderheit der Flechten ist der therapeutische Einsatz bisher allerdings nicht sehr verbreitet. Flechten wachsen so langsam, dass kaum Ausgangsmaterial zur Verfügung steht, zusätzlich ist die Löslichkeit sehr gering. Einzig Cetraria islandica, das Isländisch Moos, wird als Arzneipflanze verwendet. Als Schleimstoffdroge enthält Isländisch Moos neben den Flechtensäuren auch Pflanzenschleim, der die Oberfläche der Bronchialschleimhaut wie ein Schutzfilm abdeckt. Es wirkt reizlindernd und entzündungshemmend. Bei Rachenentzündungen oder einer Bronchitis ist Isländisch Moos ein bewährtes Mittel (wie Isla® Moos, isla® med hydro).
Vor allem bei leichten Infektionen, wie unkomplizierten Harnwegs-, Hals- und Atemwegsinfektionen, zeigen pflanzliche Präparate mit antimikrobiell wirksamen Inhaltsstoffen eine gute Wirkung. Auch kann wiederkehrenden Harnwegs- oder Halsinfektionen oft gut mit der Einnahme pflanzlicher Präparate vorgebeugt werden. Anders sieht es bei schweren, akuten Infektionen aus. Hier reicht die Wirkung pflanzlicher Stoffe nicht aus, um die Erkrankung effektiv zu behandeln. Der Einsatz von Antibiotika ist dann notwendig und sinnvoll. Ob pflanzliche Inhaltsstoffe künftig noch gezielter gegen akute bakterielle Infektionen eingesetzt werden können, wird die Forschung der kommenden Jahre zeigen. /