Zwischen Anti- und Probiotikum |
07.09.2015 09:37 Uhr |
Von Elke Wolf / Rund ein Fünftel aller Patienten, die Antibiotika einnehmen, entwickeln Durchfall. Dies ist meist eine mehr oder weniger harmlose, wenn auch unangenehme Begleiterscheinung. Doch besonders bei älteren Patienten mit eingeschränkter Gesundheit besteht das Risiko einer pseudomembranösen Kolitis. Dann kann eine Prophylaxe mit Probiotika sinnvoll sein.
Grundsätzlich können alle Antibiotika durch Schädigung der physiologischen Darmflora Durchfall auslösen. Bei Cephalosporinen, Clindamycin und Aminopenicillinen ist die Durchfallwahrscheinlichkeit sehr hoch, etwas geringer fällt das Risiko bei Makroliden und Chinolonen aus, noch geringer bei Tetracyclinen, Penicillin und Cotrimoxazol. Meist beginnt der Durchfall in den ersten Tagen nach Therapiebeginn, er kann aber auch noch später einsetzen.
Die häufigste Form von Antibiotika-induzierten Durchfällen ist im ambulanten Bereich wie in der Klinik die osmotische Diarrhö. Da die antimikrobiellen Wirkstoffe neben den krankheitsauslösenden auch die für den Körper wichtigen Bakterien töten, gerät das Gleichgewicht der Darmflora ins Wanken. Im Darm werden beispielsweise Kohlenhydrate aus der Nahrung von den Bakterien der Darmflora abgebaut. Fehlen nun diese Keime, werden Ballaststoffe im Dickdarm nicht ausreichend abgebaut und weniger kurzkettige Fettsäuren gebildet. Diese ziehen Wasser aus dem umliegenden Gewebe in den Darm. Durchfall ist die Folge. Das alte Hausrezept »Tee und Zwieback« kann oft schon helfen, da es die Kohlenhydratzufuhr drosselt.
Aber Antibiotika können auch auf anderem Wege dafür sorgen, dass das stille Örtchen zum Daueraufenthaltsort wird. Das Ungleichgewicht in der Darmflora begünstigt das Wachstum des Bakteriums Clostridium difficile – besonders bei älteren chronisch erkrankten Patienten. Sein Toxin löst eine akute Kolitis aus, eine ausgedehnte Darmwandentzündung mit abdominalen Krämpfen und Fieber. Die Entzündung kann so schwerwiegend sein, dass die Gefahr weiterer intestinaler Komplikationen, wie Darmverschluss, Darmperforation oder Sepsis, besteht, die eine Operation erforderlich machen oder gar lebensbedrohlich verlaufen können. Aktuell gehen Wissenschaftler davon aus, dass rund 25 Prozent der Antibiotika-assoziierten Durchfälle durch C. difficile verursacht sind. Damit nimmt diese Infektion inzwischen den vierten Rang bezüglich der Häufigkeit nosokomialer, also im Krankenhaus erworbener Infektionen, ein. Und zunehmend sind nicht nur ältere, sondern auch jüngere Patienten außerhalb des Krankenhauses betroffen.
Problemkeim C. difficile
Der Erreger ist deshalb so problematisch, weil seine Sporen gegen Standardhygienebedingungen resistent sind und sowohl in Patienten als auch in der Umwelt wochen- bis monatelang überleben können. So werden sie durch Pflegepersonal oder Angehörige weitergegeben. Dabei ist der Erreger hoch infektiös und kontagiös – im Tiermodell genügen zwei Bakterien zum Auslösen der Infektion. Die Einhaltung hoher Hygienestandards inklusive strikter Isolierung von Patienten, patientenbezogener Nutzung von Medizinprodukten sowie täglicher Wechsel der Bettwäsche ist deshalb essenziell.
Einmal aufgenommen, können die ruhenden Sporen unter günstigen Bedingungen ins aktive vegetative Stadium wechseln. Wenn zum Beispiel die Schutzmechanismen der normalen Mikroflora des Darms gestört sind, wie etwa bei Patienten, die mit Breitbandantibiotika behandelt werden oder kürzlich behandelt wurden, können die vegetativen C. difficile den Darm besiedeln. Nach einer antibakteriellen Behandlung der C.-difficile-Infektion können Sporen im Darm von Patienten persistieren und irgendwann einen Rückfall initiieren. Das genau ist das Problem der derzeitigen Standardtherapie bestehend aus Metronidazol und Vancomycin. Es sind Rückfallraten von annähernd 50 Prozent innerhalb eines Monats dokumentiert. Das seit etwa zwei Jahren verfügbare neue Antibiotikum Fidaxomicin scheint die Rezidivrate zwar um etwa die Hälfte senken zu können, dennoch bleibt C. difficile ein Problemkeim.
Probiotika stärken Darmflora
Schon länger gibt es Hinweise, dass Probiotika bei der Behandlung einer Antibiotika-assoziierten Diarrhö hilfreich sein könnten. Die lebensfähigen Mikroorganismen werden oral aufgenommen, gelangen in den Darm, wo sie sich ansiedeln und einer möglichen Fehlbesiedlung im Darm entgegenwirken sollen. Probiotika werden entweder als Nahrungs- oder Nahrungsergänzungsmittel, einzelne Probiotika mit definierter Spezies auch als Arzneimittel angeboten. Sie stellen eine extrem heterogene Gruppe mit unterschiedlichen Mikroorganismen wie Bakterien oder Hefen dar, die miteinander kaum vergleichbar sind. Deshalb sind auch Studienergebnisse zu einem bestimmten Probiotikum nicht auf andere übertragbar. Allgemein gültige Aussagen sind deshalb kaum zu treffen.
Verschiedene Studien bescheinigen lyophilisierten Kulturen der medizinischen Hefe Saccharomyces boulardii und verschiedenen Lactobacillenarten wie L. rhamnosus das größte Potenzial, einem Antibiotika-induzierten Durchfall entgegenzuwirken. So zeigt etwa eine Metaanalyse aus dem Jahr 2005, dass die Gabe von Saccharomyces boulardii parallel zum Antibiotikum die Wahrscheinlichkeit, durch die Therapie Durchfall zu bekommen, um mehr als 60 Prozent sinken lässt.
Durch die zusätzliche Einnahme von Probiotika während oder kurz nach Beginn einer Antibiotikabehandlung kann auch das Risiko für eine C.-difficile-assoziierte Diarrhö bei Kindern und Erwachsenen signifikant gesenkt werden. Sowohl eine Cochrane-Analyse aus dem Jahr 2013 als auch eine groß angelegt kanadische Studie aus dem Jahr 2012 ermittelten hierfür zumindest mittelgradige Evidenz. Demnach lässt sich die Wahrscheinlichkeit, nach einer Antibiotikatherapie an einer C.-difficile-Infektion zu erkranken, durch die Einnahme eines Probiotikums um 64 beziehungsweise 66 Prozent reduzieren.
Wichtig für die Beratung in der Apotheke: Die Zubereitungen enthalten unterschiedliche Mengen an lebenden Kulturen. Für einen raschen Therapieerfolg ist es wichtig, eine hohe Dosis einzunehmen. Kinder unter zwei Jahren dürfen keine Probiotika in der Selbstmedikation erhalten. Lactobazillen sind gar erst für Kinder ab sechs Jahren zugelassen. /