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Burn-out und Depression

Fließende Grenzen

08.09.2017  11:54 Uhr

Von Barbara Erbe / Rund 10 Prozent aller Deutschen leiden nach Erhebungen des Robert-Koch-Instituts unter chronischem Stress. Die Folge können Wochen oder auch Monate andauernde Erschöpfungszustände sein. Hinter der Diagnose Burn-out verbirgt sich allerdings meist eine De­pression, die man auch so nennen und behandeln sollte, betonen Experten.

Im Gegensatz zum Krankheitsbild der Depression sei der Begriff Burn-out bis heute nicht klar definiert, berichtet Annette Schlipphak, Vizepräsidentin des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen und Betriebspsychologin in einer Bundesbehörde. In den 1970er-Jahren bezeichnete der US-amerikanische Psychoanalytiker Herbert Freudenberger als Burn-out eine Krise eines sozial engagierten Menschen, der nicht mehr die Kraft hat, sein hohes Engagement aufrechtzu­erhalten, und dadurch innerlich ausbrennt.

Heute wird das Syndrom in den verschiedensten beruflichen, aber auch sozialen Zusammenhängen diskutiert. Die meisten Burn-out-Betroffenen hätten besonders hohe Ansprüche an sich selbst und wollen alles perfekt machen – ob in Schule, Büro, Pflege oder Manage­ment, erläutert die Gesundheitspsychologin. »Das kann eine ganze Weile gut gehen, aber irgendwann wird der Stress zu groß.«

Denn die Stresshormone Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin versetzen den Körper in Alarmbereitschaft, um in kritischen Situationen Energiereserven zu aktivieren. Sie bleiben ein bis zwei Tage aktiv und bauen sich erst nach rund drei Tagen komplett wieder ab. Deshalb sind Erholungsphasen nach Stresssituationen unverzichtbar. Wer da­gegen über einen längeren Zeitraum täglich Stress hat, lebt in ständiger Alarmbereitschaft und kommt gar nicht mehr herunter. Er reagiert langfristig mit körperlicher, emotionaler und kognitiver Erschöpfung. Dazu zählen chronische Müdigkeit und fehlende Energie ebenso wie die schwindende Fähigkeit, Empathie für andere auf­zubringen und sich in Mitmenschen einzufühlen, dazu kommen Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. »Bei einigen Betroffenen mündet das in Angstzuständen oder depressiven Verstimmungen«, berichtet Schlipphak. Sie betont, dass die Ursache dieser Erschöpfung dann nicht der Stress an sich ist. Mit diesem könnten die meisten Menschen vorübergehend durchaus umgehen. Vielmehr ist es es die andauernde Überforderung – durch selbstgestellte und/oder von anderen kommende Anforderungen – , die zu der beschriebenen Erschöpfung führt.

Nicht vermischen

Da es keine international akzeptierten Diagnosekriterien für den Burn-out gibt, verständen Menschen unter der Bezeichnung verschiedenes, sagt Professor Dr. Ulrich Hegerl, Vorstands­vorsitzender der Stiftung Deutsche Depress­ionshilfe, im Gespräch mit PTAForum. Er betont, dass Anzeichen wie starke Erschöpfung, verbunden mit innerer Unruhe, Schlafstörungen, dem Gefühl der Überforderung und der gefühlsmäßigen Überlastung alle auch im Rahmen depressiver Erkrankungen auftreten. »Ein Großteil der Menschen, die wegen Burn-out eine längere Auszeit nehmen, leidet de facto an einer depressiven Erkrankung.« Deshalb warnt der Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Leipzig davor, die Begriffe Stress, Burn-out und Depression miteinander zu vermischen.

Stress, gelegentliche Überforderung oder Trauer seien Teil des Lebens und müssten nicht medizinisch behandelt werden. »Eine Depression dagegen ist eine schwere, oft lebensbedrohliche Erkrankung, die sich wesentlich von dem vorübergehenden Gefühl der Erschöpftheit unterscheidet«, so Hegerl. Sie verharmlosend als Burn-out zu bezeichnen, verstärke das Unverständnis gegenüber depressiv Erkrankten.

Zeigten Betroffene für mindestens zwei Wochen Krankheitszeichen wie tiefsitzende Freudlosigkeit, Schwunglosigkeit, gedrückte Stimmung, Schuldgefühle, Schlafstörungen, Appetit­störungen oder Hoffnungslosigkeit, »leiden sie nicht an einem Burn-out, sondern an einer unerkannten Depression«, betont Hegerl. Das Etikett »Burn-out« könne ihnen dann sogar ge­fährlich werden. So fördere beispielsweise langer­ Schlaf, wie er gestressten Menschen empfohlen wird, eher die Depress­ion. Schlafentzug sei dagegen ein etabliertes Behandlungsverfahren. »Auch ist dringend davon abzuraten, mit einer depressiven Erkrankung in den Urlaub zu fahren, wie es Burn-out-Betroffenen geraten wird. Denn die Depression reist mit, und der seelische Zustand wird in der fremden Um­gebung als noch unerträglicher erlebt.« Da der Burn-out in der Leistungsgesellschaft eher akzeptiert werde als die Depress­ion, falle es jedoch vielen Betroffenen zunächst leichter, sich wegen eines Burn-outs behandeln zu lassen statt wegen einer Depression.

Burn-out oder Depression – für PTA ist es zunächst einmal wichtig, die Möglichkeit einer unerkannten Depression im Hinterkopf zu haben, wenn sich Menschen mit Erschöpfungssymp­tomen in der Apotheke an sie wenden. Das ist umso dringlicher, da an Depressionen erkrankte Menschen meist erst nach Jahren eine zutreffende Diagnose bekommen. Sie wenden sich, wenn überhaupt, eher mit begleitenden körper­lichen als mit psychischen Beschwerden an einen Arzt, und längst nicht jeder (Haus-)Arzt ist für das Thema­ ausreichend sensibilisiert.

Alarmsignale

Schlipphak nennt eine Reihe von Kundenaussagen, bei denen PTA in der Apotheke hellhörig werden sollten – erst recht, wenn die Kundschaft gleichzeitig nach Johanniskraut und/oder Beruhigungs- oder Schlafmitteln fragt. »Ich schlafe schon seit Wochen schlecht«, »Ich spüre immer so einen Druck auf der Brust«, »Mir tut schon seit Langem immer der Rücken/der Kopf weh«, »Ich werde andauernd krank«. Je nachdem wie gesprächs­willig die Kunden sind, rät die Psycho­login PTA dazu, beispielsweise auf niedrig­schwellige Angebote der Krankenkassen zum Thema »Achtsamkeit« (MBSR beziehungsweise Mindfulness-Based Stress Reduction) aufmerksam zu machen. »Die Leute, die diese Kurse anleiten, sind in der Regel so gut qualifiziert, dass sie erkennen, ob hinter den Symptomen eine Depression steckt, und gegebenenfalls auch eine Behandlung anregen.«

Ebenfalls hilfreich kann es sein, zu fragen: »Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, einen Arzt zurate zu ziehen? Oder die Telefonsprechstunde zu nutzen, die Psycho­therapeuten seit April allen Kassenpatienten anbieten (müssen)?« Unter www.psychotherapiesuche.de bietet zudem der Psycho­therapie-Informa­tionsdienst Hilfe und Informationen an. Weitere Hilfsangebote für Rat- und Hilfesuchende in Sachen Depression sind die Sozialpsychiatrischen Dienste bei den Gesundheitsämtern sowie das deutschlandweite Info-Telefon Depression: 0800 33 44 5 33. Die Deutsche Depressionshilfe bietet unter www.deutsche-depressionshilfe.deunter ande­rem einen ein Selbsttest sowie viele Informationen und Adressen rund um das Thema Depression.

Mut zum Arztbesuch

Versteckt sich hinter einem Burn-out tatsächlich eine Depression, könne eine konsequente Behandlung mit Antidepressiva, Psychotherapie oder beidem die Depression wieder zum Abklingen bringen, sagt Hegerl. Allerdings bleibt ein erhöhtes Risiko bestehen, im weiteren Lebensverlauf erneut an einer Depression zu erkranken. Betroffene, die sich dauerhaft erschöpft fühlen und keine Lebensfreude mehr empfinden, sollten sich auf jeden Fall an ihren Hausarzt oder einen­ Neurologen oder Psychiater wenden­ – auch um auszuschließen, dass andere Erkrankungen wie etwa Schilddrüsenfunktionsstörungen oder chronische Infektionen dahiner­stecken.

Arbeit in Maßen wirke auf die meisten Menschen eher positiv und könne Depressionen vorbeugen. »Bei leichten Depressionen kann es vorteilhaft sein, wenn der Erkrankte bei reduziertem Arbeits­pensum im Arbeitsrhythmus bleibt, anstatt tagsüber grübelnd im Bett zu liegen«, sagt Hegerl. Sei mit Burn-out dagegen lediglich ein Erschöpfungs­syndrom bei zu wenig Schlaf und zu viel Arbeit gemeint, so sei entsprechend dem gesunden Menschenverstand Ausschlafen und Urlaub natürlich das Richtige.

Weniger Suizide

Dass die Zahl der Depressions­diagnosen in den Statistiken der Rentenversicherungsträger und der Kassen zugenommen hat, führt der Depressions-Experte darauf zurück, dass sich erstens inzwischen mehr Menschen Hilfe holen als früher­, zweitens Ärzte Depressionen besser erkennen und drittens Depressionen eher konkret benennen und nicht so häufig hinter Ausweich­diagnosen wie chronischer Rückenschmerz, Fibromyalgie oder chronischem Kopfschmerz versteck­en. Dafür, dass es nicht zu einer drastischen Zunahme depressiver Erkrank­ungen in den vergangenen 30 Jahren gekommen ist, sprechen übereinstimmend epidemiologische Studien und auch der laut Hegerl sensationelle Befund, dass sich die Zahl der Suizide pro Jahr von 18 000 Anfang der 1980er-Jahre auf heute etwa 10 000 sich fast halbiert­ hat. »Vermutlich, weil sich eben mehr Menschen mit Depressionen Hilfe holen und diese auch erhalten«, sagt Hegerl. /

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