Ein Leben lang geschützt |
21.09.2015 10:29 Uhr |
Von Michael van den Heuvel / Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Berliner Robert Koch-Institut hat neue Empfehlungen veröffentlicht. Aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse haben die Experten die Schemata bei der Pneumokokken-, der Meningokokken-, der Gelbfieber-Impfung und der passiven Immunisierung gegen Windpocken angepasst. Stationär behandelte Kleinkinder profitieren von einer Schluckimpfung gegen Rotaviren.
»Impfungen gehören zu den wirksamsten und wichtigsten präventiven medizinischen Maßnahmen«, stellen die Experten des Robert-Koch-Instituts (RKI) im »Epidemiologischen Bulletin« klar. Die handelsüblichen Vakzine sind gut verträglich und führen zu einer starken Immunantwort. Nur selten kommt es zu gravierenden unerwünschten Wirkungen.
Infektionen führen weitaus häufiger zu körperlichen Schäden, wie der letzte Masernausbruch in Deutschland gezeigt hat. Vor allem Masern sind wegen möglicher Komplikationen gefährlich. Dazu zählen Lungenentzündungen (Masernpneumonie) und Entzündungen der Gehirnhäute (Meningoenzephalitis). Zwischen Oktober 2014 und April 2015 erkrankten allein in Berlin mehr als 1.000 Menschen. Anfang 2015 infizierten sich in Berlin, Thüringen und Sachsen wöchentlich rund 50 Menschen neu. Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina sowie aus Serbien hatten epidemiologischen Untersuchungen zufolge das Virus eingeschleppt. Aufgrund der niedrigen Durchimpfungsrate in Deutschland breiteten sich die Viren so stark aus. Eine Impfpflicht wurde trotz kontroverser Debatten nicht eingeführt.
Weiterhin verfolgen Gesundheitspolitiker das Ziel, durch Aufklärung der Bevölkerung hohe Impfquoten zu erreichen. Diese ermöglichen es, einzelne Erreger lokal zu eliminieren. Außerdem sollten die Grundimmunisierungen bereits bei Säuglingen und Kleinkindern durchgeführt werden. Der aktualisierte Impfkalender enthält darüber hinaus Hinweise für Jugendliche und Erwachsene. Besonders wichtig ist der Schutz vor Diphtherie, Haemophilus influenzae Typ b, Hepatitis B, Masern, Meningokokken, Mumps, Pertussis , Pneumokokken, Poliomyelitis, Rotaviren, Röteln, Tetanus, Varizellen sowie vor humanen Papilloma- und Influenzaviren. Alle Impfungen sollten auf Empfehlung des RKI möglichst früh erfolgen. Gerade bei Kindern haben sich Kombinationsimpfstoffe bewährt, denn so lässt sich die Zahl der unangenehmen Injektionen weiter verringern. Hier bietet sich an, dass Eltern die Früherkennungsuntersuchungen U1 bis U9 und eventuell auch die U10 und U11 nutzen. Weitere Möglichkeiten sind die Untersuchungen zum Schuleingang, während der Schulzeit, nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz sowie die Vorsorgeuntersuchungen im Erwachsenenalter.
Pneumokokken: neues Impfschema
Aktuell empfiehlt die STIKO: Säuglinge sollten drei statt bisher vier Dosen eines Pneumokokken-Konjugatimpfstoffs erhalten. Sie rät zum »2+1-Impfschema« mit zwei Grundimmunisierungen im Alter von zwei und vier Monaten sowie einer Auffrischung zwischen dem 11. und dem 14. Lebensmonat. Neue Daten zur Wirksamkeit machen diese Änderung möglich. Allerdings bleibt es beim bisherigen »3+1-Schema« mit drei Grundimmunisierungen und einer Auffrischung, wenn das Kind vor der 37. vollendeten Schwangerschaftswoche auf die Welt kommt.
Ohne Schutz vor Pneumokokken können die Bakterien gefährlichen Infektionen wie eine Lungenentzündung (Pneumonie) verursachen, an die sich oft eine Hirnhautentzündung (Meningitis) anschließt. Weltweit sterben mehrere Millionen Menschen an einer durch Pneumokokken verursachten Infektion, darunter mehr als eine Million Kinder.
Meningokokken: Empfehlung für Risikopatienten
Seit Dezember 2013 gibt es einen Impfstoff gegen Meningokokken der Serogruppe B (Bexsero®). Etwa 70 Prozent aller Erkrankungen lassen sich auf diesen Serotyp zurückführen. Ab sofort rät die STIKO allen Personen mit Grunderkrankungen, sich gegen Meningokokken B impfen zu lassen. Dazu einige Beispiele: Patienten mit genetisch bedingten Defiziten des Immunsystems infizieren sich bis zu 10.000 Mal häufiger mit Meningokokken als gesunde Menschen. Bei Funktionsstörungen der Milz ist das Risiko 20-fach erhöht. HIV-Infektionen erhöhen das Risiko nur geringfügig. In vielen Fällen wird der Arzt seinen Patienten zur Impfung raten. Für eine generelle Empfehlung ist es noch zu früh, da bisherige Studienergebnisse und die daraus resultierende Evidenz noch nicht ausreichen, so die STIKO.
Meningokokken gelangen durch Tröpfchen über die Schleimhäute in den Körper. Ist das Immunsystem geschwächt, vermehren sie sich rasant. Die Betroffenen erkranken an Hirnhautentzündung (Meningitis) und Blutvergiftung (Sepsis). Aufgrund der wenig spezifischen Symptome wird bei Kleinkindern die Infektion mit Meningokokken oft zu spät erkannt. Schätzungsweise 40 Prozent aller Erkrankungen betreffen Kinder unter vier Jahren, insbesondere Säuglinge im ersten Lebensjahr. Entscheidend ist, dass diese rechtzeitig geeignete Antibiotika wie Penicillin G oder Ceftriaxon erhalten. Doch aufgrund eines zu späten Therapiebeginns sterben immer noch 10 Prozent aller Betroffenen.
Gelbfieberprophylaxe: Auffrischung überflüssig
Vor einem Aufenthalt in bekannten Gelbfieber-Endemiegebieten, etwa im tropischen Afrika und in Südamerika, sollten sich Reisende unbedingt impfen lassen. Das Gelbfieber-Virus gelangt möglicherweise bei einem Mückenstich in den Körper – unabhängig von der Art der Mücke. Aufgrund von Gerinnungsstörungen kommt es zu starken Blutungen und einige Organe nehmen Schaden. Unbehandelt sterben 20 Prozent aller Patienten.
Ein attenuierter, also abgeschwächter, Lebendimpfstoff bietet Schutz. In Deutschland dürfen nur Ärzte in Gelbfieber-Impfstellen die Vakzine spritzen. Anhand der Daten zu mehr als 600 Millionen verabreichten Impfdosen gehen Biologen und Mediziner aktuell von einem lebenslangen Schutz aus. Deshalb rät die STIKO von Auffrischimpfungen ab und beruft sich hier auf Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO.
Gegen Gelbfieber dürfen Schwangere nur bei eindeutiger Indikation und nur nach sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiken geimpft werden. Stillende sollen die Impfung gar nicht erhalten, da in Einzelfällen gestillte Säuglinge an Meningoenzephalitis erkrankten.
Allerdings profitieren Menschen mit geschwächter Immunabwehr von Auffrischimpfungen oder auch Kinder, deren Immunsystem noch zu schwach ist, beispielsweise Kinder, die im Alter von weniger als zwei Jahren erstmals geimpft wurden. Problematisch ist die Situation bei Frauen, die die Gelbfieber-Impfung in der Schwangerschaft erhielten, bei HIV-Infizierten und bei Menschen, die gleichzeitig eine Mumps-Masern-Röteln-Impfung (MMR) erhalten hatten.
Durch die neuen STIKO-Empfehlungen wird wahrscheinlich der Bedarf an Gelbfieber-Impfstoffen sinken. Vielleicht entspannt sich dadurch auch die Versorgungssituation, denn Anfang 2014 klagten Apotheker und PTA über Lieferengpässe. Impfstoffe werden generell nur von wenigen Pharmafirmen produziert. Wird eine Charge nicht freigegeben, hat das verheerende Folgen für die Versorgung.
Windpocken: Wirkungsvolle Postexpositionsprophylaxe
Die Erreger der Windpocken, Varizella-Zoster-Viren, werden durch Tröpfcheninfektionen übertragen. Bei Kindern verläuft die Krankheit eher mild und die typischen Hautläsionen heilen rasch ab. Erkranken Erwachsene erstmals, sind die Symptome viel schwerer und die Hautläsionen deutlich mehr, im Extremfall sind Lungen- und Leberentzündungen die Folge sowie eine Meningoenzephalitis.
Um sich durch eine Impfung vor diesen Komplikationen zu schützen, steht aktuell ein attenuierter Windpocken-Lebendimpfstoff zur Verfügung. Doch dieser reicht in vielen Fällen nicht aus. Zur Postexpositionsprophylaxe greifen Ärzte, wenn sich bisher nicht geimpfte Schwangere, Abwehrgeschwächte oder Neugeborene möglicherweise mit den Viren infiziert haben. Die Injektion von Varizellen-Zoster-Immunglobulinen nach dem Kontakt verhindert den Ausbruch der Erkrankung.
Jetzt hat die STIKO ihre Empfehlung für Frühgeborene deutlich erweitert: Der Zeitraum der Gabe eines Immunglobulins wurde auf bis zu zehn Tage nach dem Erregerkontakt ausgeweitet, bis jetzt galten 96 Stunden.
Rotaviren: auch bei Frühchen sinnvoll
Rotaviren sind die häufigste Ursache für schwere Durchfallerkankungen. Den bisherigen Empfehlungen zufolge sollen Säuglinge die Schluckimpfungen zur Immunisierung gegen Rotaviren (RV) ab dem Alter von sechs Wochen in Form von zwei beziehungsweise drei Dosen mit einem Mindestabstand von vier Wochen erhalten. Laut der aktuellen Ausgabe des »Epidemiologischen Bulletins« empfehlen Ärzte den Lebendimpfstoff auch für Babys, die auf einer Krankenhausstation versorgt werden, auch wenn sie zu früh geboren wurden. In der Begründung heißt es: »Der Nutzen, dass hospitalisierte Säuglinge durch die RV-Impfung vor einer nosokomialen RV-Infektion geschützt werden, überwiegt deutlich das äußerst geringe Erkrankungsrisiko anderer hospitalisierter Patienten durch die denkbare Übertragung von RV-Impfviren.«
Die aktuellen Empfehlungen der STIKO richten sich zwar in erster Linie an Ärzte. Dennoch sollten auch PTA und Apotheker die Neuerungen kennen, denn sie sind oft die erste Anlaufstelle für besorgte Eltern. Manche lehnen Impfungen ab oder sind verunsichert, weil Medien häufig in aller Ausführlichkeit über einzelne Impfschäden berichten. Wie vielen Menschen eine schwere bis lebensbedrohliche Erkrankung durch die rechtzeitige Impfung erspart wurde, ist keine Nachricht wert. /