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Aus für Plastiktüten

Impulse aus dem Norden

21.09.2015  10:29 Uhr

Von Christiane Berg / Zu Beginn dieses Jahres ist Wolfs Apotheke in Bredstedt von der Initiative »Küste gegen Plastik« mit dem Titel »Andersmacher« ausgezeichnet worden. In der Apotheke von Karsten Werner geht keine Plastiktüte mehr über den HV-Tisch. Seine Argumente für diese Aktion schildert der Apotheker im Gespräch mit PTA-Forum.

Taschen, Flaschen, Eimer, Kanister, Verpackungen, Schalen, Deckel: »Für uns Küstenbewohner ist das Problem Plastikmüll unübersehbar. Der Müll wird uns jeden Tag buchstäblich vor die Füße gespült«, berichtet Werner. »Ob am Deich, auf den Halligen oder den Inseln: Neben großen Mengen Plastikmüll liegen im Spülsaum der Nordsee immer wieder auch Seevögel und Fische, die deutlich sichtbar an den Folgen der Plastikverschmutzung verendet sind. Der Müll und die Tiere finden sich vor allem dort, wo die Strände nicht regelmäßig für die Touristen gereinigt werden.« Aufgrund dieser Tatsache hätten er und seine Mitarbeiterinnen begonnen, sich grundsätzlich mit dem Thema Plastik und Meeres­verschmutzung zu beschäftigen, so Werner. Der Plastikmüll in den Meeren hat ein Ausmaß angenommen, das nur noch durch einen grundlegenden Sinneswandel zu verringern sei. »Zu diesem Sinneswandel wollen wir beitragen«, sagt der Apotheker.

Aktion in Bredstedt

In Wolfs Apotheke sind Plastiktüten Ende des letzten Jahres durch schnell verwitternde Papiertüten ersetzt worden. Um den »Tütenwandel« bekannt und die Kundschaft mit den neuen Tüten vertraut zu machen, sind diese in einer Weihnachtsaktion mit Zeitungen an die Haushalte der Region verteilt worden. »Wer eine solche Tüte in seiner Zeitung fand, erhielt Rabatte auf seine Einkäufe, wenn er sie mit zu uns in die Apotheke brachte.« Seitdem ist in der Apotheke die Frage »Brauchen Sie eine Tüte?« durch »Haben Sie eine Tasche dabei?« abgelöst worden.

Werner und sein Team wollten die Kunden nicht nur dazu bewegen, für ihren Einkauf eigene Stofftaschen mitzubringen, sondern sie grundsätzlich für die Thematik Plastikmüll sensibi­lisieren. Der Apotheker ist sich dessen bewusst, dass seine Aktion nur ein winzig kleiner Tropfen auf den heißen Stein ist. Ein komplett plastikfreies Leben ist derzeit nicht mehr denkbar. »Plastikmüll ist nur eines von zahlreichen umweltpolitischen Problemfeldern, deren Folgen wir heute noch gar nicht erahnen«, konstatiert er und lässt dennoch keine Gefühle der Resignation, Hilf­losigkeit und Ohnmacht aufkommen, denn die seien kontraproduktiv.

Der Apotheker ist davon überzeugt, dass der Einzelne viel bewirken kann, wenn er eingespielte Verhaltensmuster durchbricht. Und er denkt bereits über weitere Möglichkeiten nach, Plastik in seiner Apotheke zu meiden und dabei auch seine Kunden »mitzunehmen«. »Die Frage ist immer: Wer fängt an? In China kann ich nichts bewirken, sondern nur bei mir selbst und vor Ort«, so Werner.

Küste gegen Plastik

Der Verein »Küste gegen Plastik« wurde 2014 gegründet. Dreizehn Einheimische aus Nordfriesland und Dithmarschen haben sich zusammengetan, um gegen die an der Westküste allgegenwärtige Plastikplage zu kämpfen. »Wir haben erkannt, dass es mit dem Einsammeln von Müll allein nicht getan ist. Wir wollen Impulse setzen, die zu einem grundsätzlich anderen Umgang mit Plastik und Plastikmüll führen«, erklärt die Vereinsvorsitzende Jennifer Timrott. »Eng mit dem Wasser verbunden, identifizieren wir Küstenbewohner uns mit dem Meer. Diese Identifi­kation ist für uns gleichzeitig auch Motivation, gegen den Plastikmüll anzu­gehen. Durch entsprechende Aktionen, Petitionen und Informationen wollen wir nicht nur Ortsansässige, sondern auch Urlaubsgäste erreichen und so ebenfalls im Binnenland Zeichen setzen«, so Timrott und weiter: »Wir nutzen die Tüten als Einstiegsdroge in das Plastikbewusstsein der Menschen.« Denn in der Plastiktüte sieht der Verein den plakativsten Aufhänger für Aktionen und Projekte.

Becher, Kanister, Taue, Körbe, Puppenbeine, Sandförmchen, Getränkekisten: Auf You tube hat die Initiative ein Video mit dem Titel »Deichspaziergang« auf der Hallig Hooge im Herbst 2014 veröffentlicht. Der Film lässt erahnen, wie es um die Weltmeere bestellt ist. Insbesondere nach Stürmen sind die Deiche, so weit das Auge reicht, mit Plastikprodukten übersät. »Es ist, als würde das Meer sich übergeben. Wie ein Hilfeschrei«, kommentiert Timrott.

Sie freut sich über die Tatsache, dass immer mehr Nordseefischer ihren Plastik-Beifang mit an Land bringen und dort in entsprechende Entsorgungs-Container werfen. Dazu angeregt wurden sie durch Projekte wie »Fishing for Litter« des Naturschutzbundes Deutschland e. V. (NABU Bundesverband), Berlin, und der schleswig-holsteinischen Landesregierung. Obwohl in Deutschland im Vergleich zu anderen Anrainerstaaten der Meere ein relativ wirksames Abfall-, Rohstofftrennungs- und Recycling-System existiert, gelangt ein erheblicher Teil der Plastiktüten durch Nachlässigkeit und Gedankenlosigkeit in die Umwelt und somit in die Meere. Hier sieht Timrott dringenden Handlungsbedarf: »Jedes Jahr verlieren bis zu 100 000 Meeressäuger und eine Million Meeresvögel das Leben. Sie strangulieren sich beim Nestbau, zum Beispiel in den Steilklippen von Helgoland. Sie ersticken und ertrinken. Sie verhungern mit vollen Mägen, da Plastik ihren Verdauungsapparat verstopft.«

Studien zufolge haben neun von zehn toten Eissturmvögeln Plastikteile im Magen. Auch Seehunde, Robben und Schweinswale fallen den Polymeren zum Opfer, da sie den im Wasser schwimmenden Plastik-Müll mit Nahrung verwechseln. Welche Gefahr von Plastikmüll für die Tiere ausgeht, zeigt erschütternd der Film »Midway« von Chris Jordan. Der Trailer ist auf you­tube zu sehen.

Besorgniserregend ist auch das weltweite Phänomen der Müllstrudel. So hat sich unter anderem im Nord­pazifik ein Plastikmüllstrudel mit den Ausmaßen Zentraleuropas gebildet. Timrott dazu: »Das Problem Plastikmüll in den Weltmeeren ist gravierend, ohne dass die Konsequenzen bislang auch nur abschätzbar sind.«

Müll im Meer

»Europas Meere sind – trotz einzelner Erfolge – in keinem guten Zustand. Auch in der deutschen Nord- und Ostsee sind viele Arten bedroht.« Das unterstreicht auch Nils Möllmann, Meeresschutzexperte beim NABU-Bundesverband, Berlin, und betont, dass viele Alltagsartikel aus Plastik bis zu 450 Jahre in der Umwelt überdauern, bis sie sich zersetzen. Doch auch danach ist das Problem keineswegs gelöst, im Gegenteil: Durch Wind, Wetter, Salzwasser, Wellen und UV-Strahlung wird Plastik in Mikroteilchen zerlegt, die wiederum von Plankton, Muscheln und Fischen aufgenommen werden. Die darin enthaltenen Giftstoffe können so auch den Weg auf die Teller der Verbraucher finden.

Kleinste Kunststoffteilchen entstehen nicht nur bei der Zersetzung von Kunststoffabfällen, sondern kommen zudem bei der Herstellung von Kosmetika, Zahnpasten und Reinigungsmitteln zum Einsatz. Laut ersten Hinweisen werden sie durch die Abwasserbehandlung nicht vollständig zurückgehalten und gelangen in Flüsse, Seen und Meere. Für Mensch und Tier gelten die Teilchen auch deshalb als gefährlich, weil sie Syntheseausgangsstoffe und Weichmacher wie Bisphenol A und Phthalate enthalten. Zudem können sie im Wasser beispielsweise Insektizide und Pestizide binden, die sich später im Magen-Darm-Trakt von Lebewesen wiederfinden.

Zeit zum Handeln drängt

Pestizide, Insektizide, Bisphenol und Phthalate werden zu den derzeit etwa 800 bekannten endokrinen Disruptoren (EDs) gezählt, über deren genaue Auswirkungen seit Jahrzehnten gestritten wird. Der Begriff leitet sich von griechisch endo = innen und krinein = ausscheiden sowie lateinisch disrumpere = zum Erliegen bringen ab. In Fachkreisen wird diskutiert, dass insbesondere Phthalate unter anderem für das vermehrte Auftreten von hormonabhängigen Tumoren in Prostata, Hoden und Brust verantwortlich sind. Angenommen wird, dass die EDs im menschlichen Organismus Hormonrezeptoren blockieren beziehungsweise die Synthese, den Abbau oder den Transport von Hormonen negativ beeinflussen. »Selbst wenn sich das Gefährdungspotenzial für den Menschen zum jetzigen Zeitpunkt nicht konkretisieren lässt, ist dennoch Vorsicht im Umgang mit EDs angeraten«, so das Umweltbundesamt (UBA).

»Die Zeit zum Handeln drängt«, sagt Möllmann. Als einen Hoffnungsschimmer für Europas Meere sieht er die europäische Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL). »2015 ist ein entscheidendes Jahr.« In diesem Jahr, so Möllmann, werden nationale Maßnahmenprogramme der EU-Staaten zum Schutz von Arten und Lebensräumen vor menschlichen Aktivitäten wie Müll- und Schadstoffeinträge festgelegt.

Doch diese Programme müssten dringend nachgebessert werden, wenn sie wirklich zeitnah den ökologischen Zustand der Meere verbessern sollen. Bereits Ende 2014 haben die deutschen Umweltverbände in einem »Schattenpapier« dringend notwendige Zusatzmaßnahmen zum Meeresschutz formuliert. »Wir setzen uns weiter dafür ein, dass politisches Geschacher und sektorale Lobbyinteressen dem Ziel von gesunden und produktiven Meeren nicht zuwiderlaufen«, sagt Möllmann.

Laut EU-Verpackungsrichtlinie sollen die Mitgliedsstaaten bis zum Jahr 2025 die Menge dünnwandiger Einwegtüten europaweit um 80 Prozent beziehungsweise auf 40 Tüten pro Kopf reduzieren. In Deutschland verbraucht jeder Bürger aktuell durchschnittlich 76 dünnwandige Einwegtüten im Jahr. Während die Bundesregierung auf freiwillige Maßnahmen des Handels setzt, plädiert der NABU für eine Steuer oder Sonderabgabe, um das Ziel zu erreichen.

Rote Karte zeigen

»Sicher ist, dass die mit Plastiktüten und Mikroplastik verbundenen Probleme mit jedem Tag zunehmen, an dem sie in die Natur eingebracht werden.« Daher begrüßt Möllmann es, dass viele Menschen bereits heute aktiv werden. Ganz egal, ob sie Mehrweg- und Stofftaschen benutzen oder Obst, Gemüse, Käse und Brot unverpackt einkaufen: »Vermeidung von Plastik im Alltag muss an oberster Stelle stehen.«

»Die umwelt- und meeresfreundlichste Tüte ist die, zu der gar nicht erst gegriffen wird«, unterstreicht auch Timrott. Der Verein »Küste gegen Plastik« betreibt nicht nur entsprechende Öffentlichkeitsarbeit, sondern macht auch anders Druck: »Ganz oben auf unserer Agenda steht die Forderung nach alternativen Produkten und Verpackungen. Industrie und Handel müssen tätig werden.«

Um möglichst viele Menschen im Alltag zu aktivieren, wird der Verein demnächst rote Karten drucken. Diese Karten können Kunden im Supermarkt an Regale heften, in denen sie sich Produkte in plastikfreier Verpackung wünschen. »Wir werden die Initiative mit Facebook-Aktionen unterstützen. Die Händler werden so auf unser großes Bedürfnis nach plastikfreien Verpackungen aufmerksam gemacht und können ihrerseits Druck auf die Hersteller ausüben«, verdeutlicht Timrott.

Jeder kann etwas bewegen und bei entsprechendem Engagement oft ganz ungeahnte Erfolge erzielen. Das zeigt unter anderem das Beispiel des Lebensmittelhändlers Karsten Johst in St. Peter-Ording, den der Verein »Küste gegen Plastik« ebenfalls mit dem Titel »Andersmacher« ausgezeichnet hat. Auch Johst hat eine Aktion »Wider die Plastiktüte« gestartet und denkt über weitere Maßnahmen nach, um Plastikmüll im Supermarkt zu vermeiden. Johsts Entschluss, beim Thema Tüten einen ersten Unterschied zu machen, hat sich herumgesprochen und wird bereits honoriert: Den Verzicht auf Plastiktüten nennen einige Kundinnen als Grund, dass sie ihre Lebensmittel nur noch bei ihm kaufen. /

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