Nicht immer eine Erkältung |
26.09.2016 11:28 Uhr |
Von Ulrike Viegener/ Halsschmerzen und Heiserkeit sind eine Domäne der Selbstmedikation. In der Wintersaison liegt es nahe, von einer banalen Erkältung als Grund auszugehen, wenn es im Hals schmerzt. Doch auch andere – zum Teil ernste – Ursachen können sich hinter diesen Beschwerden verbergen.
Kratzen im Hals ist oft das erste Zeichen einer nahenden Erkältung. Schuld ist in über 90 Prozent aller Fälle ein viraler Infekt, wobei Rhino- und Coronaviren sowie Respiratorische Synzytial-Viren (RSV) im Vordergrund stehen. Schnell wächst sich das Kratzen zu handfesten Halsschmerzen aus, die oft mit Schluckbeschwerden und Heiserkeit einhergehen. Die Schleimhaut im Rachenraum ist gerötet und geschwollen und weist damit die typischen Zeichen einer Entzündung auf. Es hat sich eine akute Pharyngitis entwickelt.
Je nach Ausdehnung des Infektes unterscheiden Fachärzte zwischen Rhinopharyngitis, Tonsillopharyngitis und Pharyngolaryngitis, bei denen entweder die Nasenschleimhaut, die Rachenmandeln oder der Kehlkopf beteiligt sind. Oft lassen sich diese Krankheitsbilder allerdings nicht exakt voneinander abgrenzen.
Nachdem sich die Erkältungsviren im Rachenraum festgesetzt haben, dringen sie von dort aus in tiefere Etagen der Atemwege vor. Eine akute Bronchitis ist die Folge. Damit nimmt die Erkältung ihren typischen Verlauf, und zu Schnupfen und Halsschmerzen gesellt sich auch noch der Husten hinzu.
Gleich in der ersten Infektionsphase vermehren sich die Viren massiv. Daher gilt es, diesen großen Erregeransturm möglichst frühzeitig zu verhindern. Dann besteht die Chance, den Infekt im Keim zu ersticken. Zu empfehlen ist alles, was das Immunsystem in Schwung bringt. Andererseits macht es Sinn, dem Körper Ruhe zu gönnen, damit er sich voll auf die Virusabwehr konzentrieren kann. Als pflanzliches Arzneimittel kann zur Unterstützung des Immunsystems ein Extrakt aus der Wurzel der Kapland-Pelargonie empfohlen werden. Die aus Südafrika kommende Heilpflanze eignet sich auch in der akuten Phase einer Erkältung, besonders wenn sich die Bronchien entzündet haben.
Auch wenn ein Wirksamkeits- nachweis durch wissenschaftliche Studien fehlt, sind manche traditionellen Hausmittel bei Halsschmerzen durchaus empfehlenswert. Folgende Tipps führt die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin in der Leitlinie »Halsschmerzen« auf:
Eine gegen Viren gerichtete Therapie zur Anwendung im Rachenraum gibt es nicht. Lokalantiseptika, die aus Lutschtabletten, Gurgellösungen und Sprays freigesetzt werden, wirken nur an der Oberfläche. In tiefere Gewebeschichten gelangen die Wirkstoffe nicht. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) lehnt die Anwendung von Lokalantiseptika daher in ihrer Leitlinie »Halsschmerzen« ab.
Vorsicht mit lokalen Antibiotika
Auch Lokalantibiotika werden bei Halsschmerzen gerne eingesetzt, obwohl dazu meist gar keine Indikation besteht. Da banale Atemwegsinfekte in aller Regel nicht durch Bakterien, sondern durch Viren hervorgerufen werden, sind Antibiotika völlig wirkungslos. Anders sieht es im Fall einer bakteriellen Superinfektion aus, die aber nicht die Regel ist. Allerdings finden Bakterien durch die Vorarbeit der Erkältungsviren – Schleimhautentzündung mit Schleimproduktion – meist lokal ideale Bedingungen vor, um ihrerseits einen Angriff zu starten. Meist handelt es sich dabei um Streptokokken. Antibiotika sollten nur dann eingesetzt werden, wenn eine bakterielle Beteiligung tatsächlich nachgewiesen ist. Dies gilt auch für Rachentherapeutika mit lokal wirksamen Antibiotika. Die Indikation für deren Anwendung sollte auch deshalb sehr streng gestellt werden, weil das Risiko eventuell lebensbedrohlicher allergischer Reaktionen besteht.
Vorrangiges Ziel der lokalen Therapie bei akuter Pharyngitis ist die Symptomlinderung. Daher sind Rachentherapeutika mit Lokalanästhetika zu empfehlen. Sie sind geeignet, Halsschmerzen zu bessern und das Schlucken zu erleichtern. Allerdings ist die potentielle Nebenwirkung der Methämoglobinämie zu bedenken, die vor allem Kinder betreffen kann. Bei einer Methämoglobinämie tritt vermehrt Methämoglobin im Blut auf – ein Hämoglobin-Derivat, das keinen Sauerstoff transportieren kann.
Auch Ambroxol, das vor allem als sekretolytisch wirksames Hustenmittel bekannt ist, besitzt lokalanästhetische Eigenschaften und wird deshalb in Form von Lutschtabletten bei Halsschmerzen eingesetzt. In der Bewertung schneidet Ambroxol vergleichsweise gut ab.
In einer Analyse der Stiftung Warentest war Ambroxol das einzige Mittel gegen Halsschmerzen, das bei den Testern nicht durchgefallen ist. Alle anderen Lokaltherapeutika wurden von den Testern mit dem Stempel »nicht geeignet« versehen. Das günstige Rundum-Profil von Ambroxol wird komplettiert durch seine gute Verträglichkeit und das geringe Allergiepozential. Bei Kindern ist der Alkoholanteil einiger Präparate zu beachten.
Lutschpastillen – mit oder auch ohne Wirkstoff – regen den Speichelfluss an. Dies ist wichtig, um die Schleimhäute feucht zu halten und den Abtransport von Erreger-haltigem Sekret zu fördern. Tabletten mit Emser Salz sind in dieser Hinsicht besonders empfehlenswert. Lutschtabletten, die Hyaluronsäure und Extrakte aus Isländisch Moos enthalten, sorgen ebenfalls für eine gute Befeuchtung der Rachenschleimhaut. Grundsätzlich sind zuckerfreie Lutschpastillen zu bevorzugen.
Bei einer ausgeprägten Pharyngitis kommt zur Schmerzlinderung die orale Gabe von Ibuprofen und Paracetamol in Betracht. Der analgetische Effekt einer Einzeldosis dieser Wirkstoffe hält häufig über mehrere Stunden an. Auch für Acetylsalicylsäure (ASS) ist in einer kontrollierten Studie bei Erwachsenen eine entsprechende Wirksamkeit dokumentiert, die sich durch Kombination mit Coffein offenbar noch steigern lässt. Wegen der Gefahr des zwar sehr seltenen, aber gefährlichen Reye-Syndroms sollten laut DEGAM-Leitlinie Nummer 14 (Halsschmerzen) Kinder unter 15 Jahren kein ASS einnehmen.
Lange Liste möglicher Ursachen
In den meisten Fällen treten Halsschmerzen im Rahmen banaler Erkältungskrankheiten auf. Die große Herausforderung während des Beratungsgesprächs in der Apotheke besteht darin, zu erkennen, ob möglichweise eine andere Erkrankung die Halsschmerzen und Heiserkeit verursacht hat. Im Verdachtsfall ist ein Arztbesuch angeraten, damit dieser gegebenenfalls zügig eine adäquate Behandlung einleitet.
Einige gezielte Fragen während des Beratungsgesprächs, etwa nach der Dauer und der Intensität der Beschwerden, liefern wichtige Anhaltspunkte dafür, dass der Betrofffene seine Beschwerden nicht selbst behandeln sollte. Bei chronischen oder einseitigen Halsschmerzen, bei starken Schmerzen verbunden mit Fieber über 39 °C, eitrigen Mandeln oder geschwollenen druckempfindlichen Lymphknoten sind beispielsweise die Grenzen der Selbstmedikation erreicht.
Verdacht auf Mandelentzündung
Starke, zum Ohr ausstrahlende Halsschmerzen mit Schluckbeschwerden und höherem Fieber deuten auf eine akute Mandelentzündung (Tonsillitis) hin, die meist durch einen Virusinfekt in Kombination mit einer bakteriellen Superinfektion hervorgerufen wird. Die Mandeln sind dann typischerweise gerötet, angeschwollen und oft von einem fleckigen weißlichen Belag überzogen.
Bei Verdacht auf eine akute Tonsillitis sollten die Betroffenen umgehend einen Arzt konsultieren, der in der Regel Antibiotika verordnen wird. Dies ist auch deshalb erforderlich, weil die Gefahr besteht, dass es durch Ausstreuen der Erreger zu gefährlichen Komplikationen kommt. Außerdem entwickelt sich möglicherweise ein lokaler eitriger Abszess, wenn die akute Tonsillitis nicht richtig ausheilt.
Das Pfeiffersche Drüsenfieber – auch Kuss-Krankheit genannt – wird durch das Epstein-Barr-Virus ausgelöst. Viele Menschen sind mit dem Virus infiziert, ohne dass sie jemals Beschwerden verspüren. Bricht die Erkrankung aus, geht sie mit den typischen Symptomen einer akuten Mandelentzündung einher. Zudem können auch bei Pfeifferschem Drüsenfieber bakterielle Superinfektionen vorkommen.
Scharlach: Halsschmerz plus Erdbeerzunge
Gehen Halsschmerzen mit einer sogenannten Erdbeerzunge einher, liegt Scharlach als Verdachtsdiagnose nahe. Scharlach ist keine reine »Kinderkrankheit«, sondern tritt auch im Erwachsenenalter auf. Auslöser sind Toxin-produzierende Streptokokken, von denen es mehrere Subtypen gibt. Das erklärt, warum trotz in früheren Jahren erworbener Immunität eine erneute Erkrankung nicht ausgeschlossen ist. Typisch sind der oft tiefrot gefärbte Gaumen und die glänzend rote Zunge. Hohes Fieber, weißlich belegte Mandeln sowie ein charakteristischer Ausschlag am Körper zählen ebenfalls zum Krankheitsbild. Scharlach muss antibiotisch behandelt werden, auch um Folgeschäden zu verhindern.
Bei Laryngitis »Sprechverbot«
Sind Halsschmerzen von starker Heiserkeit bis hin zu einem völligen Stimmverlust begleitet, hat der Virusinfekt wahrscheinlich zu einer Entzündung des Kehlkopfes oder der Stimmbänder geführt (Laryngitis). Oft kommt noch trockener Reizhusten hinzu. Die wichtigste Behandlungsmaßnahme ist die Schonung der Stimme, wobei die Betroffenen wissen sollten, dass Flüstern die Stimme nicht schont, sondern sogar strapaziert. /
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.