Schutz mit Lücken |
12.10.2015 10:57 Uhr |
Von Verena Arzbach / Den besten Schutz vor einer Grippeerkrankung bietet die alljährliche Influenzaimpfung. Ein Schutz, der bei vielen Deutschen allerdings nicht vorhanden ist: Experten rufen daher vor Beginn der Grippesaison vor allem Angehörige von Risikogruppen dazu auf, sich in jedem Jahr neu gegen die Influenza impfen zu lassen.
Influenzaviren können durch direkten Kontakt, durch Tröpfcheninfektion und auch über Oberflächen wie Türgriffe oder Geldscheine leicht von Mensch zu Mensch übertragen werden. Während einer Grippewelle besteht also für jeden ein großes Risiko, sich zu infizieren. Für bestimmte Personengruppen ist eine Influenza- Erkrankung allerdings besonders gefährlich. So besteht gerade bei älteren Menschen, chronisch Kranken und Schwangeren die Gefahr, dass eine Grippe schwer verläuft und mit lebensbedrohlichen Komplikationen einhergeht.
Gerade diese Risikogruppen sollten sich den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut (RKI) zufolge jedes Jahr aufs Neue gegen Influenza impfen lassen. Diese Empfehlungen kommen allerdings längst nicht bei jedem an. In Deutschland war bei Personen über 60 Jahren laut einer Studie des RKI in der Saison 2013/14 nur knapp die Hälfte geimpft. Bei den chronisch Kranken im Alter von 18 bis 59 Jahren lag die Impfquote sogar nur bei 23 Prozent. Dabei fordert die Weltgesundheitsorganisation WHO für Risikogruppen eine Influenza-Impfquote von mindestens 75 Prozent. Im Vorfeld der Grippesaison haben Experten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) und des RKI in einer gemeinsamen Pressemitteilung daher vor gefährlichen Impflücken gewarnt.
In der Untersuchung des RKI hatten die Forscher Probanden auch danach gefragt, warum sie sich gegen die Grippeschutzimpfung entscheiden. Am häufigsten nannten die Befragten Misstrauen gegenüber der Impfung und die Annahme, dass eine Grippeerkrankung nicht gefährlich sei. Etwa die Hälfte der Über-60-Jährigen und/oder der chronisch Kranken nahm fälschlicherweise auch an, dass die Influenza-Impfung selbst eine Erkrankung verursachen kann.
Bilanz
Die Arbeitsgemeinschaft Influenza des RKI erhebt in jedem Jahr grippebezogene Daten aus den Arztpraxen und rechnet diese hoch. Im September hat sie nun ihren jährlichen Bericht veröffentlicht. Demzufolge hatten in der vergangenen Grippesaison besonders ältere Menschen über 60 Jahre schwere Krankheitsverläufe. Hochrechnungen gehen insgesamt von rund 6,2 Millionen grippebedingten Arztbesuchen in der Saison 2014/2015 aus, ins Krankenhaus kamen deshalb Schätzungen zufolge etwa 31 000 Patienten. Die Werte lagen nur leicht unter denen der schweren Grippewelle 2012/2013.
Jedes Jahr neu
Da sich Influenzaviren ständig genetisch verändern, muss die Zusammensetzung der Impfstoffe in jedem Jahr angepasst werden. Experten empfehlen, sich möglichst vor dem Jahreswechsel und damit vor dem möglichen Beginn einer Grippewelle impfen zu lassen. Bis das Immunsystem nach der Impfung einen wirksamen Schutz aufgebaut hat, dauert es etwa zwei Wochen.
Influenza-Viren zählen zu den Orthomyxoviren. Sie werden in verschiedene Gattungen unterteilt: Für die Influenza beim Menschen sind die Influenza-Viren A und B bedeutend. Die dritte Virus-Gattung, das Influenza- C-Virus, spielt bei Erkrankungen des Menschen nur eine untergeordnete Rolle. Influenza-A-Viren können ihre Oberflächenstruktur besonders rasch verändern. Durch Punktmutationen der Oberflächenproteine Hämagglutinin (HA) und Neuraminidase (NA) entstehen regelmäßig neue Virus-Varianten. Mithilfe von HA kann das Virus an die Wirtszelle binden. Das Enzym NA spaltet Sialinsäurereste von Proteinen und hilft dabei, die Viren nach der Replikation aus infizierten Zellen auszuschleusen. Mediziner unterscheiden insgesamt 16 HA- und 9 NA-Serotypen.
Influenza-A-Viren werden nach dem jeweiligen Subtyp benannt, zum Beispiel A(H3N2). Beim Influenza-B-Virus gibt es keine HA- und NA-Subtypen, seit einigen Jahren zirkulieren weltweit zwei genetische Stammlinien, die Yamagata- und die Victoria-Linie.
Die WHO gibt jedes Jahr im Februar eine Empfehlung zur Impfstoffzusammensetzung für die folgende Saison für die nördliche Hemisphäre heraus. »Die Impfstoffe für die neue Saison 2015/2016 unterscheiden sich in zwei der drei Komponenten gegenüber der vorangegangenen Saison«, erläutert Klaus Cichutek, Präsident des PEI. Ausgetauscht wurde gemäß der WHO-Empfehlung der zum Influenzatyp A gehörende H3N2-Stamm und der Influenzatyp B-Stamm. Die H1N1-Komponente ist seit der Influenza-Saison 2010/11 unverändert.
Neben den trivalenten Impfstoffen sind auch zwei tetravalente Impfstoffe zugelassen, die einen zweiten B-Stamm als vierte Komponente enthalten. Eine Übersicht aller zugelassenen Influenza-Impfstoffe mit den Angaben zur Altersgruppe steht auf der PEI-Webseite zur Verfügung (www.pei.de/influenza-impfstoffe).
Bedingt geschützt
In der vergangenen Saison hatte die Impfung nur eingeschränkten Schutz vor der Grippe geboten. Denn der zirkulierende H3N2-Stamm hatte sich genetisch verändert, als die Impfstoffproduktion bereits begonnen hatte. Bei diesem sogenannten Gendrift kommt es zu Punktmutationen im ‑Virusgenom, die eine Änderung der Oberflächenstruktur bedingen. Der veränderte Stamm war immerhin bei 62 Prozent der Influenzavirusnachweise gefunden worden, wie Daten des Nationalen Referenzzentrums für Influenza zeigen. Die Impfeffektivität gegen eine laborbestätigte Influenza insgesamt betrug daher nach Berechnungen des RKI in der vergangenen Saison nur 27 Prozent. In anderen Jahren lag die Wirksamkeit meist zwischen 40 und 60 Prozent, heißt es in der Pressemitteilung. /