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Hyposensibilisierung

Toleranz erlernen

12.10.2015  10:57 Uhr

Von Verena Arzbach / Die Hyposensibilisierung ist die einzige Möglichkeit, eine Allergie kausal zu behandeln. Ihre Wirksamkeit ist mittlerweile für viele Indikationen gut belegt. Eine sublinguale Variante und kürzere Therapieschemata haben die Behandlung einfacher, anwendungsfreundlicher und auch sicherer gemacht.

Die Hyposensibilisierung oder spezifische Immuntherapie (SIT) ist die einzige kausale immunmodulierende Therapie bei allergischen Erkrankungen. Eine SIT kann dann sinnvoll sein, wenn der Patient unter starken allergischen Beschwerden leidet, die mit einer symptomatischen Therapie nicht in den Griff zu bekommen sind, und wenn es nicht möglich ist, das Allergen komplett zu meiden. Das ist zum Beispiel bei Pollen oder Hausstaubmilben der Fall. Nicht unerheblich bei der Entscheidung, ob eine SIT sinnvoll ist, ist auch immer der individuelle Leidensdruck des Patienten, nicht zuletzt deshalb, weil ihm die Behandlung ein großes Maß an Kooperation und Therapietreue abverlangt.

Eine SIT kann den Verlauf allergischer Erkrankungen positiv beeinflussen. Im besten Fall sind die Patienten nach der Behandlung vollkommen symptomfrei. Bei den meisten bleiben allerdings Beschwerden bestehen, jedoch treten diese deutlich milder und seltener auf. Auch lässt sich mit der Hyposensibilisierung häufig ein Fortschreiten der Allergie aufhalten. So kann zum Beispiel der Übergang von einer allergischen Rhinitis zum Asthma bronchiale, der sogenannte Etagenwechsel, verhindert werden. Zumeist ist es sinnvoll, schon bei Kindern und Jugendlichen mit starken Allergiesymptomen frühzeitig mit einer SIT zu beginnen, um die Entstehung neuer Allergien zu verhindern und das Risiko für Asthma bronchiale zu senken.

Allergische Symptome sind die Folge einer überschießenden Reaktion des Immunsystems gegenüber im Grunde harmlosen Substanzen. Den typischen allergischen Symptomen wie Juckreiz, Niesen, tränenden Augen oder Atemnot geht immer eine Sensibilisierung beim ersten Kontakt mit dem Allergen voraus. Die B-Zellen des Immunsystems produzieren Immunglobulin E-(IgE)-Antikörper gegen das Allergen, die sich an Mastzellen heften. Bei der nächsten Begegnung binden die IgE-Antikörper dann an das Allergen. Die Mastzellen schütten da­raufhin gespeichertes Histamin aus, den Hauptbotenstoff, der die Allergie- Beschwerden auslöst.

Mit der Hyposensibilisierung lassen sich Allergien vom Soforttyp angehen, die durch IgE-Antikörper vermittelt werden, zum Beispiel Allergien gegen Pollen, Hausstaub­milben, Schimmelpilze oder Tierhaare. Die Allergenextrakte werden bei der SIT entweder über die Subkutis der Haut oder über die Schleimhaut im Mundraum über einen längeren Zeitraum dem Immunsystem kontinuierlich zugeführt. Der Patient, der ja bereits gegenüber dem Allergen sensibi­lisiert ist, reagiert dabei mit einer ­lokalen Entzündung von Haut oder Schleimhaut. Die Allergenextrakte ­diffun­dieren ­zunächst in das Gewebe und werden dort von Zellen aufge­nommen. Danach nehmen dendritische Zellen oder B-Zellen die Allergene auf und transportieren sie in die Lymph­knoten. Gleichzeitig können sich im Körper Immunkomplexe aus Allergenen und IgE-Antikörpern bilden und die Mastzellen aktivieren.

Umprogrammierung

Mithilfe der SIT soll das Immunsystem lernen, das Allergen zu tolerieren und sich an größere Mengen gewöhnen. Für den genauen Wirkmechanismus gibt es verschiedene Erklärungsmodelle: So werden sowohl neue als auch bestehende IgG-Antikörper aktiviert, die die Antigen-Antikörper-Immunantwort blockieren. Daneben kommt es zur Aktivierung T-regulatorischer Zellen, die wiederum die Aktivierung von B-Zellen und die spezifische T-Zell-Antwort auf das Allergen hemmen. Auch werden Botenstoffe induziert, die die lokale allergische Entzündung dämpfen.

SCIT ...

Bei der klassischen Form der Hyposensibilisierung – der subkutanen Immuntherapie (SCIT) – injiziert der Arzt den Allergenextrakt in den Oberarm des Patienten. Bei der Langzeitform der SCIT steigert er etwa über acht Wochen die Dosis kontinuierlich bei einmal wöchentlicher Injektion, dann stellt er auf eine Erhaltungsdosis von einer Injektion pro Monat um. In der Regel dauert die Behandlung insgesamt drei Jahre. Bei Pollenallergikern kann der Arzt eine Kurzzeit-SCIT in Betracht ziehen, mit der bereits bei mehr als 90 Prozent der Allergiker eine Besserung erzielt werden kann. Diese präsaisonale Hyposensibilisierung startet einige Monate vor der Pollensaison und wird während des Pollenflugs been­det. Hier sind insgesamt nur vier Injektionen nötig.

Nach einer Injektion muss der ­Patient mindestens 30 Minuten unter ärztlicher Beobachtung bleiben, denn es könnte zu einer anaphylaktischen ­Reaktion kommen, eine mögliche Komplikation, die jedoch sehr selten auftritt. Häufiger sind dagegen Lokalreaktionen an der Einstichstelle. Am rest­lichen Tag sollte der Patient auf alles, was allergische Symptome triggern beziehungsweise verstärken könnte, verzichten. Dazu zählen zum Beispiel körperliche Anstrengung, Alkohol­genuss oder ein Besuch in der Sauna.

Zwischen einer SCIT-Injektion und einer Impfung sollte mindestens ein Abstand von einer Woche liegen. Patienten müssen bedenken: Impfungen sollten in der Erhaltungsphase durchgeführt und zwischen zwei monat­lichen Injektionen verabreicht werden. Sofort notwendige Impfungen, zum Beispiel gegen Tetanus nach einer Verletzung, sind aber jederzeit sofort möglich. Patienten mit allergischem Asthma sollten während der Behandlung ein Peak-Flow-Protokoll führen. In regelmäßigen Abständen empfiehlt sich bei ihnen außerdem eine Lungenfunktionsuntersuchung.

Belegte Wirksamkeit

Die Wirksamkeit der SCIT bei der allergischen Rhinokonjunktivitis infolge ­einer Pollenallergie ist laut der aktuellen Leitlinie zur (allergen-)spezifischen Immuntherapie bei IgE-vermittelten allergischen Erkrankungen im Erwachsenenalter durch viele Studien sehr gut belegt. Für eine SCIT im Kindes- und Jugendalter gibt es weniger ­Stu­dien, trotzdem gilt die Wirksamkeit als belegt. Bei Hausstaubmilbenallergie ist die Wirksamkeit bei Erwachsenen und im Kindesalter ebenfalls nach­gewiesen, obwohl es hierzu weniger klinische Untersuchungen gibt. Auch zur SCIT bei Schimmelpilzallergie ­existieren nur wenige kontrollierte Studien, ebenso zur Anwendung bei Tierallergien (vor allem gegen Katzenhaare). Hier bewerten Experten die Datenlage als unsicher, es gibt nur kleine Studien mit teilweise methodischen Mängeln. Auch bei der atopischen Dermatitis ist die Studienlage nicht überzeugend, heißt es in der Leitlinie.

... und SLIT

Eine Hyposensibilisierung, die als SLIT, also als sublinguale Immuntherapie, durchgeführt wird, ist anwendungsfreund­licher als die SCIT. Denn der Patient verabreicht sich den Allergenextrakt in Form von Tropfen oder einer Tablette selbst, indem er ihn unter die Zunge (sublingual) träufelt beziehungsweise legt. Die Therapieform hat für den Patienten einen großen Vorteil: Er kann die Behandlung selbst zu Hause durchführen, ohne bei jedem Termin den Arzt aufsuchen zu müssen. Bei der ersten Dosis sollte allerdings auch die SLIT beim Arzt unter Aufsicht durchgeführt werden, damit dieser im Fall einer anaphylaktischen Reaktion schnell helfen kann.

Die Wirksamkeit der SLIT ist bei der allergischen Rhinokonjunktivitis infolge Gräserpollenallergie für Erwachsene und Kinder sehr gut und bei Allergien gegen Baumpollen für Erwachsene gut belegt. Bei der Hausstaubmilbenallergie dokumentieren aktuelle kontrollierte Studien ebenfalls die Wirksamkeit bei Erwachsenen. Bei allergischem Asthma gibt es dagegen nur eine begrenzte Anzahl an Studien. Neuere Untersuchungen belegen allerdings eine Wirksamkeit auf Asthmasymptome bei Gräserpollenallergie bei ­Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen und eine Wirksamkeit bei Asthma aufgrund von Hausstaubmilbenallergie bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 14 Jahren.

Bei einigen SLIT-Präparaten ist es möglich, die Hyposensibilisierung bereits während der Pollenflugsaison zu beginnen. Bei akuten Entzündungen oder Verletzungen der Mund-Rachen-Schleimhaut, bei größeren Eingriffen im Mund (zum Beispiel Zahnextraktion), bei akuter Gastroenteritis oder bei unkontrolliertem Asthma sollte kein Allergenextrakt zur SLIT eingenommen werden. Die SLIT sollte wie die SCIT mindestens über drei Jahre anberaumt werden.

Die zur Hyposensibilisierung angebotenen Präparate sind sehr heterogen; sie können sich auch für dieselbe Indikation in ihrer Zusammensetzung und Allergendosis stark unterscheiden. Zum Einsatz kommen bei der SCIT nicht ­modifizierte (native) Allergenextrakte und chemisch modifizierte Extrakte, sogenannte Allergoide. Letztere haben weniger reaktive B-Zell-Epitope und damit eine reduzierte IgE-Bindung. Die Allergenextrakte zur SLIT werden als wässrige Lösungen oder Tabletten angeboten. Eine Übersicht gibt die Tabelle.

Grenzen der Therapie

Schwierig ist eine Hyposensibilisierung bei Patienten mit schwer kontrollierbarem Asthma. So sind sowohl SCIT als auch SLIT bei Erwachsenen mit nur teilkontrolliertem oder unkontrolliertem Asthma bronchiale generell kontra­indiziert. Bei kontrolliertem beziehungsweise bei inter­mittierendem Asthma ist die SCIT für einzelne Präparate aber gut untersucht und als Therapieoption empfehlenswert, sofern ein Zusammenhang zwischen den asthma­tischen Beschwerden und dem Allergen besteht, heißt es in der Leitlinie. Bei Kindern kann nach Abwägung des ­ Arztes gegebenenfalls auch bei teilkontrolliertem Asthma mit selten auftretenden Beschwerden eine Hyposensi­bilisierung erwogen werden. Während einer Schwangerschaft ist nicht mit einer SIT zu beginnen. Laut Leitlinie ist es allerdings ratsam, während der Schwangerschaft eine bereits begonnene SCIT bei einer lebensbedrohlichen Allergie gegen Insektengift bei guter Verträglichkeit fortzusetzen.

Präparate zur spezifischen Immuntherapie (exemplarisch)
allergoide SCIT-Allergene Acaroid®, Allergovit®, Clustoid®, Depigoid®,Depiquick®, Pollinex quattro®, Purethal®, Roxoid®, TA t.o.p.
nicht modifizierte SCIT-Allergene Alk-depot SQ®, Alk 7®, Avanz®, Novo-Helisen® depot, Tyro Milbe
allergoide SLIT-Allergene Lais®
nicht modifizierte SLIT-Allergene Grazax®, Oralair®, Oralvac® Compact, Slitone-plus®, Slitone-ultra®, Staloral®, Sublivac® Fix, Sulgen®

Eine Therapie mit Betablockern (auch lokal als Ophthalmika) ist in einigen Fachinformationen als Kontra­­in-dikation einer SCIT gelistet. Möglicherweise erhöht sich bei der gleichzeitigen Anwendung das Risiko unerwünschter Atemwegsreaktionen und die Gefahr, dass eine im Notfall erforderliche Adrenalintherapie weniger effektiv ist. Eine SLIT ist bei der Behandlung mit Betablockern nicht grundsätzlich kontraindiziert, doch es gibt Unterschiede zwischen den einzelnen Präparaten. Nicht geeignet ist die SLIT bei Patienten mit einer chronischen Erkrankung der Mundschleimhaut.

Nicht ohne Nebenwirkungen

Sowohl die SCIT als auch die SLIT gelten bei sachgerechter Applikation als sicher und gut verträglich. Dennoch treten bei der SCIT sehr häufig lokale Reaktionen an der Stichstelle mit Rötung, Schwellung und Juckreiz auf. Diese sind aber durch Kühlung oder topische Glucocorticoide oder systemische Antihist­aminika meist gut zu behandeln. Systemische allergische Reaktionen sind möglich, aber relativ selten. Das können leichte bis schwere Formen von Reaktionen der Haut, des Gastrointestinaltrakts, der Atemwege oder des Herz-Kreislauf-Systems sein.

Bei der SLIT treten unerwünschte schwere systemische Reaktionen im Vergleich zur SCIT seltener auf. Dies­bezüglich hat die SLIT also ein besseres Sicherheitsprofil. Häufig kommt es ­allerdings zu dosisabhängigen, lokalen Nebenwirkungen. Je nach Präparat ­treten bei 40 bis 75 Prozent der Betroffenen vorübergehende Schleim­haut­reaktionen wie Juckreiz, Missempfindungen in der Mundhöhle, Schwellungen der Mundschleimhaut oder Hals­reizungen auf. Meist berichten Pa­­tienten zu Beginn der SLIT über diese Beschwerden, die in der Regel ein bis drei Wochen nach Therapiebeginn ­wieder abnehmen. PTA und Apotheker können Patienten in der Apotheke ­darauf hinweisen, um einen Therapieabbruch wegen dieser Nebenwirkungen zu vermeiden.

Gute Aussichten

Das Ende der Fahnenstange bei der SIT ist noch nicht erreicht: In der Entwicklung befinden sich zum Beispiel Präparate zur epidermalen Immuntherapie, die als Pflaster angewendet werden können. Eine intralymphatische SIT könnte in Zukunft mit insgesamt nur drei bis sechs Injektionen eine ähn­liche Immunantwort wie die herkömmliche SIT hervorrufen. Solche Verfahren werden momentan in klinischen Studien in Phase II oder in der frühen Phase III getestet und könnten in einigen Jahren in der Praxis ein­gesetzt werden. Bereichern könnten die Allergologie möglicherweise auch Kombinationstherapien, zum Beispiel mit dem Anti-IgE-Antikörper Omalizumab, die die SIT auch für Patienten mit schwerem Asthma zugänglich ­machen sollen. /

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