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Impfskepsis

Aufklärung über Impfmythen

Datum 10.10.2016  10:45 Uhr

Von Carina Steyer / Immer mehr Eltern orientieren sich nicht an den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut (RKI). Sie halten nur bestimmte Impfungen für notwendig oder lassen ihr Kind gar nicht impfen. Die Gründe dafür sind vielseitig.

Es genügt ein kurzer Blick in Elternforen im Internet, um zu erkennen: Das ­Thema Impfen polarisiert. Dort wird von stundenlangem Schreien nach der Impfung berichtet, über Wesensver­änderungen bis hin zu Entwicklungs­störungen. Dazu gibt es Warnungen an andere Eltern, ihre Kinder bloß nicht impfen zu lassen. Sachliche Argumente finden dort kaum Gehör.

Wissenschaftlich fraglich

Ein ähnliches Bild bietet sich auf impfkritischen Websites, auf die man bei der Recherche schnell stößt. Die vermeintlichen Gefahren von Impf­ungen werden eindrucksvoll und hochemotional geschildert. Auch längst ­widerlegte Impfmythen, etwa ein Zu­sammenhang zwischen der Masern-Mumps-Röteln-(MMR)-Impfung und der Ent­stehung von Autismus, werden weiter verbreitet. Hintergrund dieser Geschichte ist eine Studie, die 1998 im Fachjournal »The Lancet« veröffentlicht worden war. Der Mediziner Andrew Wakefield hatte darin behauptet, bei zwölf autistischen Kindern eine Schädigung der Darmflora durch die MMR-Impfung entdeckt zu haben, ­die die Entstehung von Autismus begünstigt hätte. Später stellte sich heraus, dass Wakefield Geld für die Studie von einer Anwaltskanzlei erhalten hatte, die eine Schadensersatzklage von ­Eltern autistischer Kinder vorbereitete. Die Mitautoren distanzierten sich später von seinen Schlussfolgerungen in der Untersuchung, »The Lancet« zog den Artikel schließlich zurück und Wakefield wurde die Zulassung entzogen. Darauf folgende Studien konnten nie einen Zusammenhang bestätigen.

Skeptiker und Gegner

In Deutschland sind einer bundesweiten, repräsentativen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) aus dem Jahr 2011 zufolge 35 Prozent der Eltern impf­skeptisch eingestellt, das heißt, sie haben schon einmal aufgrund von Vorbehalten einzelne Impfungen abgelehnt. Nur 1 Prozent zählt laut der Umfrage, an der 3000 Elternpaare mit Kindern zwischen 0 und 13 Jahren teilnahmen, zu den ­absoluten Impfgegnern. Diese Eltern ­lehnen jegliche Impfungen ab, weil sie deren Sinn generell anzweifeln. Einige Vertreter, darunter der Biologe Stefan Lanka, sind zum Beispiel der Ansicht, es gäbe keine Viren. Sie argumentieren, die Existenz infektiöser Viren widerspräche dem Sinn des Lebens.

Impfskeptische Eltern dagegen stellen nicht grundsätzlich infrage, dass Impfungen vor Krankheiten schützen und lehnen diese auch nicht generell ab. Sie haben aber eigene Ansichten über Notwendigkeit, Sicherheit und Wirksamkeit sowie den Zeitpunkt ­einzelner Schutzimpfungen. Diese ­decken sich nicht immer mit den offi­ziellen Empfehlungen der STIKO, und so werden einzelne Impfungen ausgelassen oder verschoben.

Die Angst vor Nebenwirkungen, Impfschäden und einer zu starken Be­lastung des kindlichen Immunsystems ist unter Impfskeptikern wesentlich weiter verbreitet als unter Impfbefürwortern. Gleichzeitig unterschätzen Skeptiker die Gefahren durch impfbare Krank­heiten häufig. So stuften impfskep­tische Eltern in der BZgA-Umfrage ­Kinderlähmung, Tetanus und Diphtherie zwar als gefährlich ein, Masern, Mumps, Röteln, Keuchhusten und Windpocken nahmen sie jedoch als weniger bedrohlich wahr als Eltern ohne Vorbehalte.

Gefühltes Risiko

Die Gründe, warum sich impfskeptische Eltern für oder gegen eine Impfung entscheiden, sind unterschiedlich. Einige Eltern etwa nehmen das Risiko von Nebenwirkungen beziehungs­weise eines Impfschadens mit lebens­langer Beeinträchtigung als wesentlich höher wahr als die möglichen Folgen einer Erkrankung. Sie entscheiden sich subjektiv zum Wohle ihres Kindes gegen die Impfung. Psychologen beschreiben dies als »Risks as Feelings«: Die Eltern treffen ihre Entscheidung aufgrund eines gefühlsmäßig vermittelten Risikos, nicht aufgrund einer sachlichen Analyse.

Sämtliche Verdachtsfälle für Impfkomplikationen, die von Ärzten, Gesundheitsämtern und Verbrauchern gemeldet werden, erfasst das Paul-­Ehrlich-Institut (PEI). Im Bulletin zur ­Arznei­mittelsicherheit 2/2016 wurden im Juni Daten aus 2014 ver­öffentlicht: Demnach wurden in diesem Jahr ins­gesamt 3720 Verdachtsfälle einer Impfkomplikation gemeldet. Die häufigsten Nebenwirkungen waren lokale Reaktionen, Fieber und Kopfschmerzen. Neun Kinder im Alter zwischen 3 und 25 Monaten sowie zwei Erwachsene über 70 Jahre sollen 2014 an den Folgen einer Impfkomplikation verstorben sein. In 43 Fällen gibt es Berichte zu bleibenden Schäden nach einer Impfung.

Das PEI prüft diese schwerwiegenden Verdachtsfälle und bewertet, wie wahrscheinlich ein Zusammenhang mit der Impfung ist. Laut PEI konnten acht der gemeldeten Todesfälle aufgeklärt werden: Sechs Personen sind an einer anderen Erkrankung verstorben, nicht an einer Impfkomplikation. Bei zwei Kindern gingen die Komplikationen auf einen seltenen Immundefekt zurück, der zum Zeitpunkt der Impfung nicht bekannt war. Als Folge der Impfung hätten beide Kinder eine komplizierte Virusinfektion mit tödlichem Verlauf entwickelt. Derartige Verläufe seien sehr selten und seit 1995 die einzigen Fälle, bei denen eine Infektion mit abgeschwächten Impfviren bei bestehendem Immundefekt tödlich verlaufen sei. Das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis der Impfung bei Kindern ändere sich dadurch nicht, so das PEI.

Von den als bleibende Schäden gemeldeten Fällen ist nach PEI ein Zusammenhang mit der Impfung bei sechs Abszessbildungen mit Abheilung unter Narbenbildung, einer Granulombildung, einer Darminvagination sowie drei Fällen von Narkolepsie bei Erwachsenen nach einer Impfung mit dem Grippeimpfstoff Pandemrix® belegt.

Wenn Eltern eine Impfung schlichtweg für nicht erforderlich halten, sprechen Experten von Impfmüdigkeit. Eine zunehmende Impfmüdigkeit ist nicht nur unter Eltern, sondern in der gesamten Bevölkerung zu beobachten. Nach einer weiteren BZgA-Umfrage aus dem Jahr 2014 hat ein Viertel von fast 4500 Befragten zumindest teilweise Vorbehalte gegenüber dem Impfen. 6 Prozent stehen dem Impfen »(eher) ablehnend« gegenüber. Ein Grund dafür ist wohl, dass die Folgen impfbarer Krankheiten ­heute kaum noch sichtbar sind, es gibt ­keine oder nur noch wenige Krankheits­fälle. Die Bedrohung, zu erkranken, wird als so gering eingeschätzt, dass eine Impfung überflüssig erscheint. Dass in Ländern mit weniger guten Impfquoten nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation jährlich 1,5 Millionen Menschen an impfbaren Krankheiten sterben, ist vielen Menschen in den Industrieländern nicht bewusst.

Organisationsprobleme

Gerade für Familien mit mehr als drei Kindern und für Alleinerziehende kann ein Arztbesuch für eine Impfung laut der BZgA-Umfrage auch zum Organisationproblem werden. Abhilfe könnten hier organisierte Impfungen in Schulen oder Kindergärten schaffen. Nicht wenige Eltern vergessen eine Impfung auch einfach. Mit Impferinnerungen per SMS oder einem Anruf aus der Arztpraxis kann ihnen meist geholfen werden.

Impfskeptische Eltern sind die Zielgruppe für Maßnahmen zur Steigerung der Impfbereitschaft. Eine einzige Strategie, die alle Eltern überzeugt, gibt es jedoch nicht. Zachary Horne, Psychologe an der Universität Illinois in den USA, plädiert aufgrund seiner Studiendaten dafür, den Eltern die Gefahren einzelner Krankheiten zu verdeutlichen. Das Widerlegen von Impf­mythen habe bei seinen Studienteilnehmern nicht zum Erfolg geführt, so Horne. Professor Brendan Nyhan (Dartmouth College) und Dr. Jason Reifler (Universität Exeter) dagegen haben in ihrer Untersuchung gezeigt, dass Informationsbroschüren mit Krankheits­gefahren, Warnhinweisen und Bildern erkrankter Kinder nicht nur die Angst vor der Erkrankung, sondern auch vor Risiken und Nebenwirkungen der Impfung verstärken. Wurden Fehlinformationen dagegen direkt benannt und mit Fakten widerlegt, änderten die Impfskeptiker ihre Meinung. Vor allem ein respektvolles Gespräch, bei dem Bedenken und Ängste ernst genommen werden und das Nutzen-Risiko-Verhältnis einzelner Impfungen transparent dargelegt wird, kann Eltern ­helfen, eine auf Fakten basierende Impfentscheidung zu treffen.

Impfpflicht sinnvoll?

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) fordert seit Langem eine gesetzliche Impfpflicht. Ob diese das Problem wirklich lösen würde, ist jedoch fraglich. In der Regel beschränkt sich die Impfpflicht auf einzelne Impfungen mit niedriger Impfquote. Die Psychologin Dr. Cornelia Betsch vom Institut für Sozial-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie der Universität Erfurt hat gemeinsam mit ihrem Kollegen Dr. Robert Böhm von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hoch­­schule Aachen untersucht, ­welche Auswirkungen die Einführung einer teilweisen Impfpflicht haben würde. Dafür wurde eine Probandengruppe zunächst zu einer fiktiven Impfung verpflichtet und durfte sich anschließend freiwillig für oder gegen eine weitere Impfung entscheiden. Die zweite Gruppe hatte von Anfang an die Wahl.

Während Impfbefürworter keine Schwierigkeiten mit der Verpflichtung hatten, waren impf­skeptische Probanden verärgert. Im Vergleich zu den Skeptikern in der Gruppe mit Entscheidungs­freiheit, sank ihre Bereitschaft für die zweite Impfung um 40 Prozent. Die Wissenschaftler bezeichnen das Verhalten als »psychologische Reaktanz«: Personen, die in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt werden, wollen ihre Freiheit bei der nächsten Entscheidung zurückerobern. Da es sich bei den Studienteilnehmern um Studenten handelte, ist das Ergebnis zwar nicht direkt auf impf­skeptische Eltern übertragbar. Aber es zeigt, dass eine Impfpflicht sorgfältig überdacht werden sollte.

Seit dem 1. September gibt es in Deutschland zumindest eine Be­ra­tungs­pflicht: Eine Beratung zum Impfschutz durch den Kinderarzt ist nun vorgeschriebener Bestandteil der ­U-Unter­­suchungen. /

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