Da leidet nicht nur der gute Geschmack |
26.10.2015 09:46 Uhr |
Von Manuela Kupfer / Störungen des Geschmackssinns treten in unterschiedlichen Formen auf. Die Ursachen sind vielgestaltig und reichen vom Schädel-Hirn-Trauma über Krebserkrankungen bis zur Einnahme bestimmter Medikamente. Doch immer geht damit eine – zum Teil starke – Beeinträchtigung der Lebensqualität einher.
Evolutionsgeschichtlich ist der Geschmackssinn von Bedeutung, da der Mensch so lebenswichtige Nährstoffe erkennen sowie giftige oder gesundheitsschädliche Stoffe meiden kann. Aus diesem Grund ist das menschliche Schmeckvermögen vermutlich zu mehr als 40 Prozent genetisch fixiert. Doch die gustatorischen Empfindungen sind ebenfalls stark geprägt durch Kultur und Lebensstil. Außerdem vermitteln der Genuss von Speisen und das Erleben einer Tischgemeinschaft Lebensfreude. Funktioniert dieser chemosensorische Sinn nicht (mehr) richtig, ist das Wohlbefinden der Betroffenen meist stark beeinträchtigt.
Jedes Jahr treten in Deutschland bei circa 50 000 bis 80 000 Menschen Störungen des Geruchs- und Geschmackssinns auf. Nur 5 Prozent aller Patienten, die sich mit Riech- und Schmeckstörungen an spezielle Kliniken wenden, leiden tatsächlich unter einer Störung des Geschmackssinns.
Verschiedene Formen
Die pathologische Veränderung des Geschmackssinns wird als Dysgeusie bezeichnet. Dysgeusien werden in qualitative und quantitative Schmeckstörungen unterteilt.
Am häufigsten kommen qualitative Schmeckstörungen vor, der komplette Geschmacksverlust ist selten. Menschen mit Parageusie empfinden oft einen bitteren oder metallischen Geschmack, mit Phantogeusie ebenfalls meist einen metallischen Geschmack. Oft findet sich auch eine Kombination qualitativer und quantitativer Störungen.
Schmeckstörungen können bei verschiedenen Krankheiten als Begleitsymptomatik auftreten oder durch Arzneimitteleinnahme im Sinne einer Nebenwirkung vorkommen. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) unterscheidet in ihren Leitlinien epitheliale, nervale und zentrale Ursachen von Schmeckstörungen. Epithelial verursacht ist eine Schädigung der Schmeckknospen, beispielsweise durch Infektionen, Strahlen- oder Chemotherapie, Medikamente (unter anderem Chlorhexidin, Terbinafin, Penicillamin), bei Sjögren-Syndrom, atrophischer Glossitis (perniziöse Anämie), Eisenmangel oder Erkrankungen der Mundschleimhaut. Als nervale Ursachen gelten Läsionen bestimmter Hirnnerven (Nervus facialis, Nervus glossopharyngeus, Nervus vagus), zum Beispiel durch Mittelohroperation, Tonsillektomie, Entfernung der Lymphknoten, Tumoren, Schädelbasisfrakturen, Neuritiden oder Diabetes mellitus.
Eine zentralnervöse Störung der Schmeckbahn ist unter anderem bei posttraumatischem Anosmie-Ageusie-Syndrom, Hirntumoren, Hirnstammläsionen, Epilepsie, Depressionen, Schizophrenie oder neurodegenerativen Erkrankungen gegeben.
Hauptursachen für Geschmacksstörungen sind Hals-Nasen-Ohren-Erkrankungen, hervorgerufen durch Unfälle, Operationen, Tumoren- oder Strahlenschäden, Exposition gegenüber toxischen Substanzen, iatrogene Ursachen (zum Beispiel zahnärztliche Behandlung oder Arzneimittel) und das Burning-Mouth-Syndrome. Auch nach Magenbypassoperationen tritt als Nebenwirkung häufig eine verminderte Geschmacksempfindung auf.
Arzneimittel können auf vielerlei Art den Geschmackssinn beeinflussen. Manche erzeugen bereits bei der Einnahme einen Eigengeschmack oder hinterlassen im Speichel einen (unangenehmen) Geschmack. Andere Medikamente verursachen Mundtrockenheit. Durch verminderten Speichel können die Geschmacksknospen gestört werden und somit auch die Geschmacksempfindung. Wie häufig Medikamente zu Schmeckstörungen führen, lässt sich schwer erfassen. Die meisten Betroffenen berichten erst dann ihrem Arzt über die Störung und die Vermutung, dass sie durch ein Arzneimittel induziert sein könnte, wenn die Störung schon sehr ausgeprägt ist. Außerdem kann es dazu keine doppelblinden placebokontrollierten Studien geben.
Bei Tumoren im inneren Ohrgang oder bei Erkrankungen des zentralen Nervensystems treten oft Geschmacksstörungen als Frühsymptome auf. Schädigungen des Nervus facialis haben typischerweise die Geschmacksblindheit nur auf einer Zungenhälfte zur Folge.
Genetisch bedingte Geschmacksstörungen sind selten, meist partiell und werden durch eine Veränderung der Rezeptorproteine verursacht, teilweise auch durch enzymatische Defekte. Beispiele aus der Klinik sind die familiäre Dysautonomie, auch Rily-Day-Syndrom genannt, und die Mukoviszidose, die alle mit einer Hypogeusie bis hin zur totalen Ageusie einhergehen.
Interessanterweise ist ein erhöhter Body-Mass-Index verbunden mit einer verringerten Schmeckempfindlichkeit verbunden. Das gilt allerdings auch für Anorexiepatienten.
Mit dem Alter vermindert sich die Sensibilität für Schmeckreize, wobei Schmecken im Vergleich zum Riechen als relativ robuste Wahrnehmung gilt. Insbesondere bitter und salzig nehmen ältere Menschen nur noch eingeschränkt wahr. Davon sind allerdings nicht alle Bitterstoffe gleichermaßen betroffen. So bleibt die Wahrnehmung von Harnstoff relativ gut erhalten, wohingegen die Sensitivität für Chinin deutlich abnimmt.
Der Leidensdruck bei Patienten mit Schmeckstörungen ist in der Regel sehr groß. Ein Geschmacksverlust ist oft verbunden mit unzureichender Nährstoffaufnahme, eingeschränkten Sozialaktivitäten und vermindertem Wohlbefinden bis hin zu Depressionen.
Die Therapie einer Schmeckstörung gehört grundsätzlich in die Hand eines Arztes. Doch kann auch der Facharzt in den meisten Fällen nur die Symptome behandeln. Zur symptomatischen Behandlung der Mundtrockenheit können PTA oder Apotheker Speichelersatzprodukte empfehlen. /