Folgeschäden gezielt verhindern |
26.10.2015 09:46 Uhr |
Von Claudia Borchard-Tuch / Oftmals entstehen Nierenschäden als Folge anderer chronischer Erkrankungen wie Diabetes mellitus oder Funktionsstörungen des Herzens. Beim sogenannten kardiorenalen Syndrom beispielsweise wirkt sich der erhöhte Druck in den Nierenvenen negativ auf die Nierenfunktion aus.
Nierenschäden sind daher vor allem bei älteren, multimorbiden Patienten häufig. Schwere Nierenerkrankungen, bei denen die Filtrationsleistung beider Nieren um die Hälfte reduziert ist, finden sich ab dem sechsten Lebensjahrzehnt bei 3 Prozent, ab dem siebten bei 12,9 Prozent der Menschen, insbesondere bei Patienten mit Bluthochdruck, anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes mellitus.
Gesunde Nieren entfernen aus dem Blut fortwährend Abfallprodukte des Stoffwechsels wie Harnstoff, Harnsäure oder Kreatinin und geben diese in den Harn ab. Dasselbe gilt für viele aufgenommene Fremdstoffe, zum Beispiel Medikamente, die nicht weiter abgebaut werden können.
Außerdem regulieren die Nieren den Flüssigkeitsgehalt des Körpers, kontrollieren die Konzentration von Salzen und Mineralstoffen und sind wesentlich an der Einstellung des Säure-Basen-Haushalts beteiligt. Fallen diese lebenswichtigen Funktionen der Nieren aus, tritt der Tod innerhalb von ein bis zwei Wochen ein.
An der Harnbildung sind etwa eine Million kleine Einheiten (Nephrone) beteiligt. Jedes Nephron setzt sich aus einem Nierenkörperchen (Glomerulum) und einem Nierenröhrchen (Tubulus) zusammen. Das Glomerulum besteht wiederum aus einem Gefäßknäuel, das von der Bowman-Kapsel wasserdicht umhüllt wird. Bei der Bowman-Kapsel lassen sich zwei Schichten unterscheiden: das innere (viszerale) und das äußere (parietale Blatt). Zwischen dem inneren und äußeren Blatt besteht ein Abstand, der sogenannte Bowman’sche Kapselraum.
Zunächst filtrieren die Nierenkörperchen den sogenannten Primärharn aus dem durchfließenden Blut in den Kapselraum. Dabei durchläuft der Harn drei Schichten: die Innenschicht der Glomerulum-Kapillaren, die glomeruläre Basalmembran und das innere Blatt der Bowman-Kapsel mit spezialisierten Zellen, den Podozyten. Bei dieser sogenannten Blut-Harn-Schranke fungiert die Basalmembran als Hauptbarriere (siehe Grafik).
Leistungsstarker Filter
Pro Tag filtrieren die Nierenkörperchen 180 Liter Primärharn ab, das entspricht 125 Millilitern pro Minute. Dieses Filtratvolumen bezeichnet man als glomeruläre Filtrationsrate (GFR). Das Filtrat wird in die Nierenröhrchen geleitet, wo der größte Teil – vor allem Wasser – dem Körper wieder zugeführt wird, auch tubuläre Resorption genannt. Manche Stoffe werden dem Blut aber auch aus den kleinen Gefäßen entzogen, die die Tubuli umgeben, und dann ausgeschieden, als tubuläre Sekretion bezeichnet. Mehrere Tubuli vereinen sich zu einem Sammelrohr, und mehrere Sammelrohre münden gemeinsam in das Nierenbecken. Hier gelangt der Urin durch die Harnleiter (Ureter) in die Blase und von da aus weiter in die Harnröhre (Urethra).
Als typisches Zeichen einer eingeschränkten Nierenfunktion gilt die erhöhte Kreatininkonzentration im Serum, der sogenannte S-Kreatinin-Wert. Kreatinin ist das Abbauprodukt des Kreatins, das in der Leber gebildet und in der Muskulatur als Kreatinphosphat gespeichert wird. Bei Frauen liegt der S-Kreatinin-Wert normalerwiese unter 0,9 mg/dl (80 µmol/l) und bei Männern unter 1,1 mg/dl (97 µmol/l).
In der Regel steigt das S-Kreatinin erst dann an, wenn die Filtrationsleistung um 50 Prozent verringert ist, das heißt wenn die glomeruläre Filtrationsrate unter 60 ml/min liegt. Ist dies der Fall, fühlen sich die Patienten häufig müde und ihre Hautfarbe verändert sich: Sie ist oft braungelblich pigmentiert und wirkt schmutzig-fleckig über Stirn und Schläfen (Café-au-lait-Kolorit). Ödeme entstehen dann nicht nur an den Beinen, sondern oft auch im Gesicht. Auch der Geruch nach Urin (Foetor uraemicus) weist auf eine schwere Nierenerkrankung hin.
Möglichst frühe Diagnose
In frühen Stadien der Erkrankung sind die Symptome noch so gering, dass die Befragung des Patienten nur selten darauf hinweist. Eventuell erhärtet die Familienanamnese einen Verdacht: Waren oder sind mehrere Familienmitglieder von einer Nierenerkrankung betroffen, sollte der Arzt eine erblich bedingte Erkrankung in Erwägung ziehen.
Schon früh deuten bestimmte Merkmale auf Störungen in der glomerulären Basalmembran hin. Bereits bei geringen Schäden enthält der Harn erhöhte Konzentrationen an Albumin und Erythrozyten. Als Mikro- beziehungsweise Makrohämaturie bezeichnen Mediziner die Ausscheidung von Blut im Urin. Doch nur bei der Makrohämaturie ist das Blut auch sichtbar. Da jedoch auch Nierensteine, gut- und bösartige Tumoren der ableitenden Harnwege oder eine Blasenentzündung zu Blut im Harn führen können, ist der Nachweis einer Hämaturie allein noch wenig aussagekräftig.
Einen ersten Hinweis auf vorliegende Schäden oder Erkrankungen liefern Urin-Teststreifen (zum Beispiel Combur Test®). Neben Testfeldern für das spezifische Gewicht, den Urin-pH, Leukozyten, Nitrit, Glucose, Ketonkörper, Urobilinogen, Bilirubin und Hämoglobin enthalten die Teststeifen auch das Feld »Protein«. Mit diesem Testfeld kann Albumin ab einer Nachweisgrenze von 80 mg/l erkannt werden. Andere Eiweiße werden hingegen nicht erfasst.
Ist die Nierenerkrankung durch zu hohen Blutdruck oder Diabetes mellitus bedingt, liegen die Albuminwerte meist zwischen 20 bis 200 mg/l (Mikroalbuminurie). Ein Teststreifen, mit dem Albuminkonzentrationen ab 20 mg/l nachgewiesen werden können, ist der Micral-Test®.
Noch spezifischer und sensitiver ist die Bestimmung der Albuminkonzentration im Urin mithilfe der Nephelometrie, die Werte bis weit unter 20 mg/l erfasst. Mit diesem optischen Analyseverfahren wird ein Lichtstrahl durch Suspensionen geschickt. Dabei wird ein Teil des Lichtes absorbiert, ein Teil seitlich gestreut. Die Nephelometrie misst das seitlich austretende Streulicht, das in direktem Verhältnis zur Konzentration der enthaltenen kleinen Partikel, beispielsweise Albumin, steht.
Spezielle Zellen in den Tubuli, der sogenannte juxtaglomeruläre Apparat, helfen mit, den Flüssigkeits- und Kochsalzhaushalt zu regulieren. Fällt der Blutdruck ab, sinkt die Nierendurchblutung, ist die Kochsalzkonzentration in der Tubulusflüssigkeit erhöht und wird das sympathische Nervensisytem stimuliert, gibt der juxtaglomeruläre Apparat Renin ins Blut ab. Dort setzt das Enzym aus Angiotensinogen, einem Bluteiweiß, Angiotensin I frei, das durch das Angiotensin-Conversions-Enzym (ACE) zu Angiotensin II umgebaut wird. Angiotensin II erhöht den Blutdruck, indem es die Gefäße verengt und die Aldosteronproduktion der Nebennierenrinde steigert. Das wiederum hat zur Folge, dass dort mehr Salz und Wasser zurückgehalten werden.
Auch die Sonographie ermöglicht es, bestimmte Nierenerkrankungen in einem frühen Stadium zu erkennen. Allerdings müssen dann die morphologischen Veränderungen ausgeprägt sein, beispielsweise durch Zysten oder kristalline Ablagerungen im Nierengewebe wie Calciumsalze.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind bei Menschen mit Niereninsuffizienz häufig und verringern die Lebenserwartung der Patienten. Beim kardiorenalen Syndrom führt eine Funktionsstörung des Herzens zur Verschlechterung der Nierenfunktion, beim renokardialen Syndrom gehen die Einschränkungen von der Niere aus und verursachen die Herzstörungen.
Kardiorenales Syndrom
Beim kardiorenalen Syndrom bewirkt vor allem der erhöhte Druck in den Nierenvenen, dass die glomeruläre Filtrationsrate und die Natriumausscheidung vermindert werden. Bereits in frühen Stadien der Herzinsuffizienz wird das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) aktiviert (siehe Kasten). Außerdem beeinflussen Angiotensin II und Aldosteron auch die Zellen der Nierenkörperchen (Tubuli) und des Herzmuskels. Das kann dazu führen, dass sich beide Organe vergrößern (Hypertrophie), die betroffenen Zellen untergehen (Apoptose) und sich Bindegewebsfasern vermehren (Fibrose). Ist die beeinträchtigte Nierenleistung Folge einer Herzinsuffizienz, verordnen Ärzte je nach vorherrschender Störung Diuretika, Adenosin-A1-Rezeptor-Antagonisten, Vasopressinrezeptor-Antagonisten, positiv inotrope Substanzen oder Natriuretisches Peptid.
Renokardiales Syndrom
Beim renokardialen Syndrom nimmt die glomeruläre Filtrationsrate ebenfalls ab, sodass auch hier das RAAS-System sowie das sympathische Nervensystem aktiviert werden. Damit wird weniger Wasser und Natrium ausgeschieden. Das Blutvolumen steigt und ebenso die Vorlast. Als Vorlast bezeichnen Mediziner den Dehnungszustand der linken Herzkammer unmittelbar vor der Kontraktion (Systole). Eine ständig erhöhte Vorlast überfordert das Herz und so entwickelt sich langfristig eine Herzinsuffizienz. Zu den wichtigsten Arzneimitteln gegen die Herzinsuffizienz als Folge einer Niereninsuffizienz zählen die Diuretika.
Bei chronischer Niereninsuffizienz wird nicht mehr ausreichend Calcitriol (1,25-Dihydroxycholecalciferol) gebildet, die stoffwechselaktive Form des Vitamin D (Cholecalciferol). Cholecalciferol wird erst in der Niere in Calcitriol, die biologisch aktive Form überführt. Fehlt Calcitriol, nimmt die Knochensubstanz durch unzureichenden Einbau von Mineralstoffen (CKD-MBD, Chronic kidney disease-mineral bone disorder) langfristig Schaden. Um das zu verhindern, verordnen Ärzte den Patienten Phosphatbinder und substituieren das Vitamin D.
Sowohl Herz- als auch Niereninsuffizienz gehen mit einer Funktionsstörung der inneren Schicht von Blutgefäßen einher, auch endotheliale Dysfunktion genannt. Diese Störung betrifft alle Funktionen des Endothels, beispielsweise die Regulation der Weite und Durchlässigkeit der Gefäße sowie die Hemmung der Thrombozytenaggregation.
Misslingt es, durch Arzneimittel diese Risikofaktoren zu beherrschen, entwickelt sich das Vollbild der Atherosklerose. Mit Arzneimitteln wird versucht, den Volumenhaushalt zu regulieren, das RAAS zu blockieren und die Beschwerden zu lindern. Bei Patienten mit fortgeschrittener Niereninsuffizienz ist die regelmäßige Dialysebehandlung meist unumgänglich.
Diabetes und Niereninsuffizienz
Zu den wichtigen therapeutischen Maßnahmen zum Schutz der Nieren gehören die Senkung von Bluthochdruck und erhöhten Blutfett- und -glucosewerten. Etwa 30 Prozent aller Patienten mit terminalem Nierenversagen sind Diabetiker. Ist die Nierenfunktion eines Diabetikers bereits beeinträchtigt, muss der Arzt das Antidiabetikum sorgfältig auswählen beziehungsweise dosieren, damit sich die Arzneistoffe wegen der reduzierten Ausscheidung nicht im Körper anreichern. So sind beispielsweise Sulfonylharnstoffe kontraindiziert bei einer Kreatinin-Clearance unter 30 ml/min, andernfalls muss der Arzt die Dosis verringern, einzige Ausnahme ist Gliquidon. Nimmt der Patient Metformin, sollte der Arzt dessen Nierenfunktion regelmäßig überprüfen. Der Wirkstoff ist kontraindiziert, wenn die Kreatinin-Clearance unter 60 ml/min liegt. Die sorgfältige fachliche Betreuung der Patienten – auch in der Apotheke – kann dazu beitragen, Komplikationen infolge der Diabeteserkrankung vorzubeugen. /