Möglichst früh und vorbereitet beraten |
26.10.2015 09:46 Uhr |
Von Gudrun Heyn / Jede Krebstherapie ist ein komplexer Prozess, den die Ärzte ständig an die jeweilige Situation des Patienten anpassen müssen. Außerdem gilt es, neue Entwicklungen und Arzneimittel zu berücksichtigen. Aktuell sind bereits mehr als 50 orale Krebsarzneimittel auf dem Markt, mit steigender Tendenz. Viele Patienten, die ambulant versorgt werden, wählen eine Stammapotheke, in der sie gut beraten und betreut werden.
Daher stand die pharmazeutische Beratung und Betreuung von Krebspatienten auch auf der zweiten Fachtagung Orale Krebstherapie in München im Fokus der Vorträge. Unter anderem zeigten die Referenten auf, wie eine gute Betreuung zu oralen Zytostatika gelingen kann, beispielsweise in Bezug auf typische Nebenwirkungen.
Weniger Infusionen bei einem Onkologen und mehr Freiheit bedeuten für die Betroffenen aber auch wesentlich mehr Eigenverantwortung. Daher sind die Patienten für eine gute Beratung und Betreuung in der Apotheke dankbar. PTA und Apotheker können Krebspatienten in ihrer Eigenverantwortung stärken. Zudem können sie zu einer Verringerung der Nebenwirkungen beitragen, und die Lebensqualität und Therapietreue (Adherence) der Kranken verbessern. Diese Beratung ist jedoch eine anspruchsvolle Aufgabe. »Sie erfordert fachliche Kenntnisse und eine gute Vorbereitung«, berichtete Apothekerin Stefanie Heindel von der Hohenzollern Apotheke am Ring in Münster auf der Fachtagung.
Die Betreuung von Krebspatienten setzt allerdings spezielle Kenntnisse zur oralen Krebstherapie voraus. Diese eignet sich das Apothekenteam am besten auf Schulungen oder Fachtagungen an. Zur weiteren Information können sie dann auch kostenlose Informationsquellen wie die Datenbank der Deutschen Gesellschaft für Onkologische Pharmazie (DGOP) nutzen. Diese enthält Monografien der in Deutschland zugelassenen, besonders beratungsaufwendigen oralen Tumortherapeutika und ermöglicht den Ausdruck von patientenindividuellen Einnahmeplänen und Informationen. Über den Link https://dgop-oralia.de ist sie zu erreichen.
»Das Apothekenteam sollte auf jeden Fall Informationen für Krebspatienten in schriftlicher Form bereit halten«, riet Heindel. So haben die Mitarbeiter der Hohenzollern Apotheke eigene Handzettel zu den häufigsten Nebenwirkungen oraler Krebstherapeutika, aber auch zum notwendigen Sonnenschutz entwickelt. Um im Bedarfsfall direkt reagieren zu können, sollten im Apothekensortiment die empfohlenen Arzneimittel vorrätig gehalten werden.
Nebenwirkungen im Fokus
Zu den besonders beratungsintensiven oralen Tumortherapeutika gehören die sogenannten klassischen Zytostatika aber auch alle Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI). Die Auswertung der Fachinformationen von 22 TKIs ergab, dass Übelkeit und Erbrechen, Durchfall, Hautreaktionen, Mukositis, Hand-Fuß-Syndrom und Verstopfung dort als sehr häufige Nebenwirkungen genannt sind. »Wir haben einen großen Handlungsbedarf, in unsere Beratung und Betreuung diese Nebenwirkungen einzubeziehen«, sagte Heindel.
Außerdem empfahl die Apothekerin, die Begleitung der Krebspatienten schon mit dem ersten Kontakt zu beginnen und nicht erst dann, wenn bereits ein unerwünschtes Ereignis eingetreten ist. Praktische Hinweise zur Prophylaxe sind daher in der Hohenzollern Apotheke ein wichtiger Bestandteil der Beratung. Um den Patienten die Orientierung zu erleichtern, sind auf den Handzetteln die Empfehlungen zur Vorbeugung von Nebenwirkungen grün markiert. Hinweise zur Therapie der Nebenwirkung (Supportivtherapie) sind mit oranger Farbe, Hinweise, wann der Arztkontakt notwendig ist, mit dunkelroter Farbe gekennzeichnet.
Jeder Handzettel umfasst die Informationen auf einer DIN A4-Seite. Damit jeder Patient nur die für ihn wichtigen Informationen beziehungsweise Handzettel erhält, nutzt das Apothekenteam eine selbst erstellte Tabelle. Mit ihrer Hilfe lässt sich leicht und schnell ablesen, bei welchen oralen Krebsmedikamenten welche Nebenwirkungen sehr häufig auftreten, aber auch bei welchen Arzneimitteln ein Sonnenschutz ratsam ist.
Die Apothekerin riet jedoch dazu, Patienten nicht gleich beim ersten Gespräch mit zu vielen Informationen zu überlasten. Sonst würden sie verunsichert und darunter litte ihre Adherence. Daher sollten PTA oder Apotheker beim Erstkontakt so viele Informationen wie nötig, aber gleichzeitig so wenige wie möglich geben.
Beispiel Diarrhö
Falls das Risiko dieser Nebenwirkung hoch ist, sollten die Patienten schon sehr früh über die Möglichkeit eines Durchfalls informiert werden. Bei dieser Nebenwirkung entwickelt sich die Toxizität an der Darmschleimhaut oft sehr schnell. Betroffene müssen daher unmittelbar handeln und zudem ihren Arzt informieren. »Oft wissen Patienten jedoch nicht, wie Durchfall definiert ist«, sagte Heindel. Auch wenn Diarrhö nach wie vor ein Tabu-Thema sei, sollten sich PTA oder Apotheker nicht scheuen, das Problem anzusprechen. Die Erkennungsmerkmale eines medikamenteninduzierten Durchfalls sind ein wichtiger Teil der Beratung. Treten ein bis drei Stühle mehr am Tag auf als vor der Krebstherapie, gilt diese Nebenwirkung als gesichert. Bei nächtlichem Durchfall oder mehr als sieben Stühlen am Tag sollte sich der Patient in stationäre Behandlung begeben.
Zur Prophylaxe raten
Risikopatienten sollten zur Durchfallprophylaxe leicht verdauliche Nahrung bevorzugen und täglich mindestens zwei bis drei Liter trinken. Meiden sollten sie dagegen ballaststoffreiche Nahrungsmittel aber auch Kaffee, Cola und Vollmilch. Bei der Anwendung von Probiotika ist zudem Vorsicht geboten. Zum Teil werden sie zum Schutz oder zur Rehabilitation der Schleimhaut vor oder nach einer Chemo- oder Strahlentherapie eingesetzt. Wichtig ist hier die Gabe zum richtigen Zeitpunkt. Für immunsupprimierte Patienten sind Probiotika nicht empfehlenswert, dasselbe gilt, wenn sie an Mukositis leiden.
Dank guter Betreuung wissen die Patienten bereits im Vorfeld, wie sie sich im Bedarfsfall verhalten müssen und haben ihr Durchfallmedikament bereits auf Vorrat gekauft. In der Supportivtherapie des Durchfalls ist der Wirkstoff Loperamid Mittel der Wahl. Obwohl er für die Selbstmedikation zugelassen ist, erfolgt die Behandlung aufgrund der notwendigen Dosierung im Off-Label-Use. Von Loperamid müssen die Patienten alle zwei Stunden 2 Miiligramm einnehmen und nachts alle vier Stunden 4 Milligramm. »Klären Sie Ihre Patienten unbedingt darüber auf, dass dies nicht der Empfehlung in der Gebrauchsinformation entspricht«, riet Heindel. Doch das Apothekenteam kann noch mehr tun, um Patienten bei den Therapiemaßnahmen zu Hause zu unterstützen. Sehr hilfreich sind Hinweise, wie sie den drohenden Flüssigkeits- und Elektrolytverlust verhindern können.
Darüber hinaus sind manche Patienten auch für Tipps zur Analpflege dankbar. »Wenn Patienten über eine gereizte Schleimhaut berichten, können PTA oder Apotheker mit der Empfehlung einer lindernden Creme (zum Beispiel Hametum®, Mirfulan®, Tannolact®) oder eines Sitzbades viel Gutes tun«, erklärte die Apothekerin. Zu beachten sei jedoch, dass ab einer Diarrhö-Dauer von 48 Stunden die Behandlung mit verschreibungspflichtigen Antibiotika eingeleitet werden muss. Sollte der Durchfall länger als 72 Stunden bestehen, ist die intravenöse Hydratation in einer Klinik erforderlich.
Beispiel Mukositis
Die Entzündung der Schleimhäute (Mukositis) ist keine banale Nebenwirkung der Krebstherapie. Vielen Betroffenen nimmt sie einen großen Teil ihrer Lebensqualität. Vor allem im Mund verursacht die Mukositis oft große Schmerzen. Dann fällt den Erkrankten nicht nur das Essen und Trinken schwer, sondern selbst die Einnahme ihres Krebsmedikaments bereitet manchen ein großes Problem.
Bei Krebsarzneimitteln mit einem hohen Nebenwirkungsrisiko gilt es, die Patienten schon früh über die Prophylaxe zu informieren. Doch auch bei einem geringeren Risiko können vorsorgliche Informationen sinnvoll sein. So ist das Mukositisrisiko per se bei all denjenigen erhöht, die mangelernährt sind, relativ viel Alkohol trinken, rauchen und die ihre Mundhygiene vernachlässigt haben.
Zur Vorsorge empfehlenswert sind allgemeine Maßnahmen wie die Verwendung einer weichen Zahnbürste und einer fluoridierten, nicht aromatisierten Zahncreme. Sehr frühzeitig sollten die Patienten zudem mit Mundspülungen beginnen. »Wir empfehlen dazu Salbeitee«, informierte Heindel. So häufig wie möglich sollten die Patienten ihren Mund über den Tag verteilt mit dem Tee spülen und eine Kanne mit fertig gekochtem Tee in der Küche zur Erinnerung bereit stellen.
Als weitere sinnvolle Maßnahmen empfahl Heindel, abgerundete Eiswürfel zu lutschen und auf Alkohol zu verzichten, auch in Mundwässern. Außerdem profitieren die Kranken von vielen kleinen Mahlzeiten mit weicher Nahrung, die nicht zu heiß oder zu kalt sein sollten. »Alles was gut schmeckt und gut bekommt ist erlaubt«, so Heindel.
Zur Therapie der Mukositis eignen sich bei beginnenden Entzündungszeichen vor allem Mundspüllösungen mit Benzydaminhydrochlorid. In Abwandlung der standardisierten NRF-Vorschrift stellen die Mitarbeiter der Apotheke am Ring Benzydamin-Mundspüllösung in einer Zusammensetzung her, nach der diese erstattungsfähig ist. Darüber hinaus stehen auch zahlreiche Fertigarzneimittel zur Mukositistherapie zur Verfügung. /