Gegen das Vergessen |
28.10.2016 11:35 Uhr |
Von Katja Renner / Mit zunehmendem Alter werden immer mehr Menschen dement. Dennoch ist Demenz keine typische Alterserscheinung, sondern eine langsam fortschreitende Erkrankung. Arzneimittel können den Krankheitsverlauf nur bremsen und die psychischen Symptome mildern. Eine Heilung ist bislang nicht möglich.
Da Menschen in den Industrienationen immer älter werden, nehmen auch Demenzerkrankungen zu. Mit 90 Jahren ist statistisch gesehen jeder Zweite dement. In Deutschland leiden zurzeit etwa 1,1 Millionen Menschen unter Demenz. Bis zum Jahr 2050 prognostiziert die Deutsche Alzheimer Gesellschaft einen Anstieg auf etwa 2,6 Millionen Erkrankte. Diese Entwicklung betrifft nicht nur jeden einzelnen Patienten und seine Angehörigen, sie bedeutet auch eine immense Herausforderung für die ganze Gesellschaft und die in Gesundheitsberufen Tätigen.
PTA und Apotheker sind auf vielerlei Weise mit dem Thema konfrontiert, zum Beispiel wenn Menschen mit beginnender Demenz nach einem Mittel zur Konzentrationsförderung fragen, wenn Kunden über die Pflege eines dementen Angehörigen berichten oder wenn die Apotheke die Bewohner eines Altenheims mit Medikamenten, also auch mit Antidementiva, versorgt.
Erst kleine Veränderungen
Demenz entsteht in der Folge degenerativer pathologischer Prozesse im Gehirn. Die langsam eintretenden Einschränkungen betreffen das Denken, die Lernfähigkeit, die Sprache, das Gedächtnis, die Orientierung und das Urteilsvermögen. Die meisten Betroffenen überspielen die ersten Symptome und allenfalls die Angehörigen bemerken die Veränderungen.
Bei älteren Menschen gruppieren sie diese zunächst in die Kategorie »Altersvergesslichkeit« ein. Wenn die Krankheit fortschreitet, kommt es zu einem Verlust der emotionalen und sozialen Kompetenz. Ab diesem Stadium können Betroffene ihren Alltag nicht mehr bewältigen und auch das Zusammenleben mit Angehörigen wird immer schwieriger.
Die Diagnose »Demenz« gilt laut ICD-10 (International Code of Diseases) als gesichert, wenn neben Gedächtnisstörungen mindestens eine weitere kognitive Störung vorliegt, beispielsweise Orientierungsprobleme oder Sprachstörungen, und die Symptome mindestens sechs Monate bestehen.
Verschiedene Formen
Viele Laien setzen Demenz mit Alzheimer gleich. Tatsächlich gibt es jedoch verschiedene Demenzformen, wobei die Alzheimer-Demenz mit 60 Prozent am häufigsten auftritt. Generell werden primäre (hirnorganische) und sekundäre (nicht-hirnorganische) Formen unterschieden. Sekundäre Demenzen sind die Folge anderer Krankheiten, beispielsweise eines Gehirntumors, einer Depression, Morbus Parkinson sowie Gefäß- oder Stoffwechselerkrankungen. Außerdem können auch Arzneimittel oder Drogen eine sekundäre Demenz hervorrufen.
Zu den Anzeichen einer Lewy-Körperchen-Demenz zählen gestörte Aufmerksamkeit und Konzentration, Wahnvorstellungen und parkinsonähnliche Symptome. Auf Nervenebene sind als pathologische Marker die sogenannten Lewy-Körperchen, Eiweißstrukturen nachweisbar. Sie lagern sich in den Nervenzellen ab und behindern die Kommunikation unter diesen. Nach Morbus Alzheimer ist sie die zweithäufigste hirnorganische Demenz älterer Menschen. Sie kann eigenständig, aber auch als Teil einer Parkinson- Erkrankung auftreten.
Zwischen 4 und 5 Prozent der Über-70-Jährigen und bis zu 15 Prozent der Über-85-Jährigen leiden an vaskulären Demenzen als Folge größerer, aber auch kleinerer Hirn-Infarkte. Die Gedächtnisfunktionen müssen bei vaskulärer Demenz nicht zwingend beeinträchtigt sein. Die Symptome hängen von Lokalisation und Art der Schädigung ab und sind daher nicht einheitlich. Häufig ist die Aufmerksamkeit der Patienten gestört, ihre Psychomotorik ist generell verlangsamt und oft kommen depressive Symptome hinzu. Die Therapie der vaskulären Demenz ist völlig anders als die der Alzheimer-Demenz. Wichtigste Maßnahmen sind bei dieser Erkrankung, den in der Regel erhöhten Blutdruck zu senken und andere gefäßschädigende Faktoren wie Rauchen und hohe Cholesterolspiegel zu reduzieren. Zudem sollen die Patienten regelmäßig körperlich aktiv sein.
An der frontotemporalen Demenz (FTD) erkranken auch jüngere Menschen. Sie ist auf eine Atrophie im Frontal- und Temporallappen des Gehirns zurückzuführen. Besonders charakteristisch sind sehr früh massive Verhaltensänderungen der Erkrankten, wobei die räumlichen und visuellen Fähigkeiten intakt bleiben. Typisch ist ein Kontrollverlust, zum Beispiel in sexueller Hinsicht. Viele FTD-Kranke verlieren jegliche sozialen Kontakte und vernachlässigen sich völlig.
Morbus Alzheimer
Trotz intensiver Forschung sind die Ursachen der mit Abstand häufigsten Demenz-Form, der Alzheimer-Demenz, bisher nicht ausreichend aufgeklärt. Nachgewiesen haben Wissenschaftler ein Ungleichgewicht zwischen Produktion und Abbau des Amyloid-beta-Peptids 42 sowie anderer Aβ-Peptide und in deren Folge die Ablagerung von Plaques. Im Frühstadium des Alzheimer ist insbesondere das Nachlassen der kognitiven Fähigkeiten auffällig. Charakteristisch sind verlangsamte Lernprozesse, Probleme bei der Informationsaufnahme und Erinnerung, zunehmende Schwierigkeiten bei der räumlichen Orientierung sowie beim Sprechen. So fallen dem Patienten gängige Begriffe nicht mehr ein und er muss sie umschreiben.
Mit Fortschreiten der Krankheit bereiten ihm zuvor gut beherrschte Aufgaben, wie Einkaufen, Kochen und Anziehen Probleme. Vertraute Orte und Menschen sind dem Patienten auf einmal fremd. Neben kognitiven Einschränkungen verändert sich bei den meisten Patienten auch die Stimmungslage: Sie werden unruhig, häufig auch aggressiv. Im späteren Stadium finden sich die Betroffenen in ihrem Alltag nicht mehr alleine zurecht. Zudem bereiten ihnen dann schon einfache Abläufe wie Essen und Gehen Schwierigkeiten. In diesem Stadium sind die meisten Patienten bettlägerig und pflegebedürftig.
Sichere Diagnose
Um eine Demenz zu diagnostizieren, führen Ärzte zunächst ein Anamnesegespräch durch. Spezielle Demenz-Tests helfen ihnen, den aktuellen kognitiven Zustand des Patienten festzustellen. Mit dem Mini-Mental-Status(MMST)-Test ermitteln sie die Fähigkeiten bezüglich Orientierung, Merkfähigkeit, Sprache und Konzentrationsvermögen. Der Test dient als Hilfsinstrument, die Alzheimer-Demenz entsprechend der erreichten Punktzahl in die drei Schweregrade einzuteilen:
Hilfreich für die Diagnose ist auch der sogenannte Uhrentest, bei dem der Patient eine bestimmte Uhrzeit in einen vorgegebenen Kreis einzeichnen soll. Diese Aufgabe fällt Menschen mit Demenz häufig schwer oder überfordert sie sogar. Mit bildgebenden Verfahren lässt sich besonders im fortgeschrittenen Stadium die Abnahme an Gehirnmasse nachweisen und auch vaskuläre Demenz diagnostizieren. Für eine gesicherte Diagnose sollten alle Untersuchungsergebnisse eng mit den typischen Veränderungen der kognitiven Leistungen korrelieren.
Bekannte Risikofaktoren
Bei der Diagnose Demenz sind die medikamentöse und die psychosoziale Therapie die zentralen Säulen der Behandlung. Die neue S3-Leitlinie »Demenzen« vom Januar 2016 fasst die aktuellen Therapie-Empfehlungen zusammen. Demenz ist nicht heilbar, dennoch helfen die frühe Diagnose und Behandlung, die Lebensqualität der Erkrankten zu verbessern.
Ziel ist es, die Situation des Patienten zu stabilisieren und die Verschlechterung der kognitiven Leistungen zu verlangsamen. Dadurch soll der Patient so lange wie möglich selbständig in seinem bekannten Umfeld verbleiben können. Grundsätzlich gilt es, frühzeitig bekannte Risikofaktoren (siehe Kasten) zu reduzieren. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass durch einen gesundheitsfördernden Lebensstil die Zahl der Neuerkrankungen in den Ländern der westlichen Welt gesunken ist.
Medikamentöse Therapie
Schwerpunktmäßig verordnen Ärzte bei Alzheimer-Demenz ein klassisches Antidementivum, jeweils individualisiert dem Status des Patienten angepasst. Die Arzneimittel können den Krankheitsprozess verlangsamen. Antidementiva sollen die Hirnfunktionen verbessern und die Folgeerscheinungen unterdrücken, die sich aus dem Untergang der Nervenzellen ergeben. In der Leitlinie wird beschrieben, dass durch Antidementiva die Alltagskompetenz länger erhalten bleibt und Verhaltensauffälligkeiten, zum Beispiel Halluzinationen, Aggressionen und Depressionen, zunächst gemildert werden. Insgesamt betrachtet ist die Datenlage zu allen Antidementiva jedoch begrenzt.
Bei der Alzheimer-Demenz entsteht in der Hirnrinde ein Mangel an Acetylcholin. Die Acetylcholinesterase(AChE)-Hemmer wie Donepezil, Galantamin oder Rivastigmin erhöhen die Konzentration des Acetylcholins im synaptischen Spalt an den Acetylcholin-Rezeptoren und gleichen so den Mangel etwas aus. Sie sind zugelassen zur Therapie der leichten bis mittel-schweren Alzheimer-Demenz. Es gibt Hinweise darauf, dass die frühzeitige Behandlung mit einem AChE-Hemmer den Verlauf der Erkrankung verlangsamt. Um einen möglichst großen Effekt zu erzielen, steigert der Arzt die Dosierung in Abhängigkeit von der Verträglichkeit schrittweise nach Möglichkeit bis zur höchsten zugelassenen Dosis.
Hinweise auf eine beginnende Demenzerkrankung bei einem Kunden oder Patienten können sein:
Die drei Wirkstoffe unterscheiden sich nicht in ihrer klinischen Wirksamkeit, sodass der Arzt seine Entscheidung für den jeweiligen Wirkstoff von der Verträglichkeit und dem Wechselwirkungsspektrum abhängig macht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Symptome bei Absetzen der Antidementiva nach Langzeitbehandlung wieder verschlechtern können. Die Autoren der Leitlinie empfehlen deswegen die Weiterbehandlung von Patienten, die das End-Stadium erreicht haben, selbst wenn dies nicht der Zulassung entspricht (Off-Label-Use). Zur Behandlung der moderaten bis schweren Alzheimer-Demenz ist Memantin zugelassen, ein NMDA- Antagonist mit neuroprotektiver Wirkung. Memantin konkurriert mit Glutamat um die Bindungsstelle am Rezeptor und reduziert so die bei Alzheimer-Patienten übermäßigen Glutamateffekte.
Einziges Phytopharmakon
Häufig werden PTA und Apotheker nach pflanzlichen Mitteln zur Konzentrationssteigerung gefragt. Ginkgo ist der einzige Vertreter der Phytopharmaka, der Eingang in die S3-Leitlinie zur Demenz gefunden hat. Laut Leitlinie kann bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz sowie vaskulärer Demenz der Spezialextrakt Ginkgo biloba EGb 761® in Dosierungen von täglich 240 mg »erwogen werden«. Eine weitere Empfehlung zur medikamentösen Behandlung der vaskulären Demenz gibt die S3-Leitlinie nicht. Für die Behandlung der Lewy-Körperchen-Demenz und der frontotemporalen Demenz gibt es bislang keine zugelassene oder ausreichend belegte medikamentöse Therapie. Die Autoren der Leitlinie verweisen allerdings auf die präventive Wirkung einer gesunden Lebensführung und der Senkung vaskulärer Risikofaktoren. /
Lesen Sie zum Themenschwerpunkt auch die Beiträge
Kommunikation mit Demenzkranken: Mit der Seele hören
Demenz vorbeugen: Chancen der Ernährung nutzen
Biografiearbeit: Positive Emotionen wecken
Frontotemporale Demenz: Der vertraute Mensch geht verloren
Sport für Ältere und Demente: In Bewegung bleiben