Erst- und Zweitlinie bei Nierenkrebs |
14.11.2017 10:51 Uhr |
Von Sven Siebenand / Seit November steht Ärzten ein neues Arzneimittel zur Behandlung des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms zur Verfügung. Der Kinasehemmer Tivozanib (Fotivda® 890 und 1349 µg Hartkapseln, Eusa Pharma) kommt auch für die First-line-Therapie infrage. Der Wirkmechanismus ähnelt dem bereits verfügbarer Arzneistoffe.
Pro Jahr wird bei mehr als 100 000 Patienten in Europa Nierenkrebs diagnostiziert. Das Nierenzellkarzinom (Renal Cell Carcinoma, RCC) ist die häufigste Form von Nierenkrebs, die rund 80 Prozent aller Fälle ausmacht. Es ist für jährlich schätzungsweise 50 000 Todesfälle in Europa verantwortlich. Eine Überexpression des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors (VEGF) und eine daraus resultierende gesteigerte Blutversorgung des Tumors (Angiogenese) ist ein gemeinsames Merkmal von RCC. VEGFR-Antagonisten wie Bevacizumab oder Kinasehemmer wie Sorafenib, Pazopanib und Sunitinib verringern die Blutzufuhr in den Tumor. Eine andere Wirkstoffklasse, die bei RCC zum Einsatz kommt, sind m-TOR-Inhibitoren wie Everolimus und Temsirolimus.
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Tivozanib ist ein weiterer Kinasehemmer. Er blockiert die VEGF-Rezeptoren 1, 2 und 3. Zugelassen ist Tivozanib für die Behandlung erwachsener Patienten mit fortgeschrittenem RCC. Der Wirkstoff kann zur Erstlinienbehandlung eingesetzt werden sowie bei Patienten, die noch nicht mit VEGFR- und mTOR-Signalweginhibitoren behandelt wurden, und bei denen es nach Fortschreiten der Erkrankung nach einer vorherigen Zytokin-Therapie wegen fortgeschrittenem RCC zur Krankheitsprogression kam.
Vier-Wochen-Zyklus
Tivozanib ist oral bioverfügbar. Patienten nehmen den Wirkstoff einmal täglich ein. Die empfohlene Dosierung beträgt 1340 µg einmal täglich über 21 Tage, gefolgt von einer siebentägigen Pause. Ein kompletter Behandlungszyklus dauert also vier Wochen. Dieser Rhythmus sollte fortgesetzt werden, bis eine Krankheitsprogression oder inakzeptable Toxizität auftritt. Das Auftreten von Nebenwirkungen kann eine vorübergehende Unterbrechung und/oder eine Dosisreduktion erfordern. Die Tivozanib-Dosis kann auf 890 µg einmal täglich gesenkt werden, der normale Behandlungsrhythmus wird beibehalten. Patienten können Fotivda mit oder ohne Nahrung einnehmen.
Vorsicht ist geboten bei Patienten mit schwerer Nierenfunktionsstörung. Zudem wird Tivozanib nicht zur Anwendung bei Patienten mit schwerer Leberfunktionsstörung empfohlen. Patienten mit mittelschwerer Leberfunktionsstörung sollten nur alle zwei Tage eine Kapsel mit 1340 µg Tivozanib einnehmen, da bei ihnen ein größeres Risiko für Nebenwirkungen besteht.
Kontraindiziert ist die gleichzeitige Einnahme von Präparaten, die Johanniskraut enthalten. Wenn ein Patient Johanniskraut einnimmt, muss er die Einnahme vor Beginn der Tivozanib-Therapie beenden. Die CYP-induzierende Wirkung des Phytopharmakons kann aber laut Fachinformation noch mindestens zwei Wochen nach dem Absetzen anhalten. Auch die gleichzeitige Gabe von Tivozanib und anderen starken CYP3A4-Induktoren sollte – wenn überhaupt – nur mit Vorsicht durchgeführt werden.
Das Nebenwirkungsspektrum von Fotivda ist breit gefächert. Sehr häufig kam es in Studien zum Beispiel zu Hypertonie (48 Prozent), Dysphonie (27 Prozent), Ermüdung (26 Prozent) und Diarrhö (26 Prozent). In der Fachinformation sind besondere Warnhinweise unter anderem bezüglich Bluthochdruck, thromboembolischen Ereignissen, Herzinsuffizienz, Blutungsereignissen, Lebertoxizität, Wundheilungsstörungen und Verlängerung der QT-Zeit am Herzen zu finden.
Zuverlässige Verhütung
Frauen sollten eine Schwangerschaft während der Tivozanib-Therapie vermeiden. Auch Partnerinnen männlicher Patienten sollten eine Schwangerschaft vermeiden. Alle Patientinnen und Patienten sollten während der Therapie und für mindestens einen Monat nach Therapieende zuverlässige Verhütungsmethoden anwenden. Es ist bisher nicht bekannt, ob Tivozanib die Wirksamkeit hormoneller Kontrazeptiva beeinträchtigt. Deswegen sollte zusätzlich eine Barriere-Methode eingesetzt werden. Tivozanib darf nicht während der Schwangerschaft angewendet werden, und auf Stillen sollte unter Therapie mit dem Kinasehemmer verzichtet werden. /