Frühzeitig behandeln |
25.11.2016 14:29 Uhr |
Von Carina Steyer / Lymphödeme sollten möglichst im Frühstadium behandelt werden. Falls dies unterbleibt, wird die Erkrankung chronisch und schreitet immer weiter fort. Nur die rechtzeitig eingeleitete Therapie ermöglicht den Erkrankten ein weitgehend beschwerdefreies Leben.
In Deutschland sind schätzungsweise mindestens 1,2 Millionen Menschen – meist Patienten mit einer Tumorerkrankung – von einem Lymphödem betroffen. Bei diesen Patienten wurde das Lymphdrainagesystem durch einen chirurgischen Eingriff oder eine Strahlentherapie so geschädigt, dass die anfallende Gewebsflüssigkeit nicht mehr richtig aus dem Zellzwischenraum abtransportiert wird. Als Hauptursache weltweit gelten Infektionen mit Fadenwürmern, die das Lymphgefäßsystem besiedeln. Laut Schätzungen sollen 750 Millionen betroffen sein. In seltenen Fällen sind Lymphödeme die Folge einer Fehlentwicklung während der Embryonalphase oder einer genetischen Veranlagung. Dann bilden sich die Ödeme oft bereits im Säuglingsalter.
Obwohl Lymphödeme nicht selten sind, fällt es vielen Betroffenen schwer, einen erfahrenen Arzt zu finden. Die Deutsche Gesellschaft für Lymphologie (DGL) bezeichnet die Kenntnisse deutscher Ärzte im Fachgebiet der Lymphologie und Ödematologie als lückenhaft. Dies läge vor allem daran, dass derzeit weder eine Weiterbildungsordnung zum Facharzt noch die formal anerkannte Gebietsbezeichnung Lymphologie existieren, so die Experten der DGL (siehe Kasten). Derzeit kann sich jeder Arzt Lymphologe nennen, auch wenn er nur wenig Erfahrungen in diesem Fachbereich aufweist. Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen mit ernsthaften Konsequenzen für einige Patienten kämen dadurch häufig vor, so die DGL. Denn gerade der Faktor Zeit spielt beim Lymphödem eine entscheidende Rolle für die Heilungschancen.
Vier Stadien
Mediziner unterteilen das Lymphödem in vier Stadien (siehe Kasten). Alle Menschen mit angeborener oder erworbener Störung des Lymphdrainagesystems befinden sich im Stadium 0 der Erkrankung, solange sie symptomfrei sind. Sie gelten als Risikogruppe, bei der sich jederzeit ein behandlungsbedürftiges Lymphödem entwickeln kann. Sobald ein Ödem entstanden ist, kann nur die konsequente Therapie das Fortschreiten der Erkrankung verhindern. Ist bereits das Stadium 3 erreicht, können Ärzte selbst mit hohem therapeutischem Aufwand für die Patienten kaum noch Beschwerdefreiheit erzielen. In diesem Stadium ist das Gewebe deutlich verändert, die betroffenen Körperteile sind extrem geschwollen und in ihrer Bewegung stark eingeschränkt. Daher sind die Erkrankten in diesem Stadium häufig berufsunfähig und pflegebedürftig.
Entstauungstherapie
Die derzeit wirkungsvollste Behandlung ist die komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE). Hierbei werden Lymphdrainage, Kompressionstherapie, Hautpflege und Bewegung miteinander kombiniert, die das Lymphödem in das Stadium 0 oder zumindest das Stadium 1 zurückführen sollen. Die KPE läuft in drei Phasen ab: Während der Entstauungsphase über vier bis sechs Wochen wird die rückgestaute Ödemflüssigkeit mobilisiert, sodass sich bereits vorhandene Bindegewebsveränderungen zurückbilden oder verringern. Die Maßnahmen in Phase zwei und drei sollen das erreichte Stadium erhalten oder verbessern.
Laut DGL sollte der Arzt die folgenden drei Kriterien erfüllen:
Um Betroffenen die Suche nach einem erfahrenen Lymphologen zu erleichtern, bietet die DGL auf ihrer Website neben einer kostenlosen Beratung auch die Möglichkeit der Arztsuche.
Während der Entstauungsphase spielt die Lymphdrainage eine sehr wichtige Rolle. Mit dieser Massageform wird ein- bis dreimal täglich ein Dehnreiz auf Haut und Unterhaut ausgeübt, der die Lymphbildung und den Lymphfluss anregt. Dadurch geht die Schwellung deutlich zurück, kehrt aber wieder, sobald sich neue Gewebsflüssigkeit staut.
Stadium 0: Störungen im Lymphgefäßsystem sind bekannt, bisher jedoch keine Symptome erkennbar. Dieser Zustand betrifft oft Krebspatienten, bei denen Lymphknoten entfernt oder Lymphbahnen bestrahlt wurden. Wichtig ist nun, dass die Betroffenen Vorsichtsmaßnahmen berücksichtigen, mit denen sie die Entwicklung der nachfolgenden Stadien verhindern können.
Stadium 1: Reversibles Stadium mit weichen Lymphödemen, die sich durch das Hochlagern der betroffenen Bereiche wieder zurückbilden. Häufig tritt die Schwellung nach Belastung oder am Abend auf und bildet sich in der Nacht zurück.
Stadium 2: Spontan irreversibles Stadium, bei dem sich das Lymphödem nach und nach verhärtet und die Haut dicker wird. Drückt man auf den geschwollenen Bereich, bildet sich keine Delle mehr. Hochlagern und Ruhephasen sind nun wirkungslos. Es kann zu Komplikationen durch eine Pilzinfektion oder Wundrose (Erysipel) kommen. Die Wundrose gilt als häufigste Komplikation des Lymphödems und geht mit zunehmender Schwellung, Rötung, Schmerzen, Fieber und Übelkeit einher.
Stadium 3: Ausgedehnte unförmige Veränderung des betroffenen Bereichs oft mit warzenartigen Wucherungen und Verhornungen. Die Schwellung ist hart. Komplikationen durch eine Pilzinfektion oder Wundrose sind häufig. Außerdem bilden sich Lymphzysten und Fisteln.
Um den Effekt der Lymphdrainage möglichst lange zu erhalten, ist die Kompressionstherapie ein weiterer wichtiger Bestandteil der KPE. Nach der Lymphdrainage werden die betroffenen Körperstellen fest mit Bandagen umwickelt, in die teilweise noch zusätzliche Vliespolster oder Schaumstoffplatten eingearbeitet werden. Durch den äußeren Druck wird der Einstrom der Gewebsflüssigkeit in das Lymphgefäßsystem verstärkt und der Lymphfluss in den noch funktionsfähigen Lymphgefäßen erhöht. Wie lange die Patienten die Kompressionsverbände täglich tragen müssen, richtet sich nach dem Stadium des Lymphödems, manchmal reichen 12 Stunden, in anderen Fällen sind es 22.
Der Kontakt mit den Kompressionsmaterialien und die lange Tragedauer führen dazu, dass die Haut darunter austrocknet und sich kleine Hautrisse bilden. Diese machen eine intensive Hautpflege als Bestandteil der KPE notwendig. Auch müssen die Bandagen richtig sitzen. Wenn diese rutschen, scheuern oder sogar einschneiden, ist die Gefahr groß, dass eine Wundrose entsteht. Um den guten Sitz zu gewährleisten, legen meist die Physiotherapeuten nach der Lymphdrainage die Bandagen an.
Vierte und letzte Komponente der KPE ist die sportliche Aktivität. Durch die Muskelkontraktion wird der Druck auf den Zellzwischenraum erhöht und der Abtransport der Gewebsflüssigkeit gefördert. Vor allem im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung fällt es vielen Betroffenen jedoch schwer, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen. Sie leiden unter der optischen Veränderung ihres Körpers und fühlen sich unwohl, die Kompressionskleidung zu zeigen. Sozialer Rückzug und starker psychischer Leidensdruck sind daher häufige Begleiter der Erkrankten. In dieser Situation ist es wichtig, dass die Menschen im Umfeld der Patienten diese unterstützen und ihnen Mut machen. Motivierend kann auch der Arzt wirken, wenn er immer wieder die Notwendigkeit aller Therapiekomponenten betont. /