PTA-Forum online
Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation

Zähne ohne Biss

24.11.2017  10:28 Uhr

Von Isabel Weinert / Bei etwa zehn Prozent der Kinder hierzulande zeigen sich die ersten bleibenden Backen- und manchmal auch Schneidezähne mindestens verfärbt, häufig auch mit ober­flächlichen Defekten. Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) heißt diese Erkrankung des Zahn­schmelzes. Dr. med. dent. Anja Walk, Zahnärztin in Mainz, erklärt, um was es geht.

PTA-Forum: Was bedeutet der Begriff »Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation« genau?

Walk: Bei den Molaren handelt es sich um die Backenzähne, Inzisiven ist das Fachwort für Schneidezähne. Bei Kindern mit MIH schieben sich die ersten Molaren schon mit Verfärbungen aus dem Kiefer heraus. An den Schneidezähnen zeigt sich MIH seltener. Die Zahnveränderungen rühren von einer Fehlmineralisation des Zahnschmelzes her. Ein Teil der harten, anorganischen Verbindungen, die gesunden Zahnschmelz zum härtesten Material des Körpers machen, fehlt. Stattdessen haben sich vermehrt Proteine in den Schmelz gelagert, die ihn weich und anfällig machen.

PTA-Forum: Welche Symptome können den betroffenen Kindern zu schaffen machen?

Walk: Zähne mit einer MIH zeichnen sich durch eine große Empfindlichkeit und eine poröse, extrem anfällige Zahnschmelzstruktur aus. Die hohe Sensibilität gegenüber Reizen von außen, wie heißem oder kaltem Essen und Trinken, bereitet beim Essen und Putzen oft starke Schmerzen. Damit beginnt ein Teufelskreis: Weil das Putzen wehtut, reinigt ein betroffenes Kind das Gebiss nicht mehr so gründlich, das begünstigt wiederum Karies an den ohnehin dafür sehr anfälligen Zähnen. Bricht Zahnschmelz ein, bleiben zudem häufig scharfe Kanten zurück, an denen sich Speisereste und Bakterien noch schneller ansammeln können. Zahnschmelzeinbrüche können auch bis zum Dentin reichen und so womöglich den Nerv des Zahnes tangieren. Das bereitet ebenfalls starke Schmerzen.

PTA-Forum: Wenn die Zähne bereits verändert aus dem Kiefer herauswachsen, hat MIH dann mit mangelnder Zahnhygiene zu tun?

Walk: Nein. Eltern machen sich oft große Vorwürfe, wenn bei ihrem Kind MIH diagnostiziert wird. Doch im Gegensatz zu Karies hat MIH nichts mit schlechter Zahnpflege zu tun, sondern ist Folge einer Schmelz-Entwicklungsstörung beim Kind, irgendwann zwischen dem achten Schwangerschaftsmonat und dem vierten Lebensjahr.

PTA-Forum: Das klingt nicht nach Gewissheit, die Ursachen betreffend.

Walk: Das stimmt, Wissenschaftler tappen in Bezug auf die Ursachen noch weitestgehend im Dunklen. Verschiedene Faktoren kommen als Auslöser in Frage, wahrscheinlich handelt es sich um ein multifaktorielles Geschehen. So diskutieren Experten Probleme in der Schwangerschaft, die nicht näher spezifiziert sind, außerdem Rauchen, die frühe Gabe von Antibiotika, Dioxine in der Muttermilch, Bisphenol A aus Saugern, Erkrankungen der Atemwege, hohes Fieber und auch Windpocken als Ursachen.

PTA-Forum: Handelt es sich bei MIH um ein neues Phänomen?

Walk: Nein, sicherlich nicht. Die Erkrankung wurde zwar erst im Jahr 2001 als solche klassifiziert. Es gab aber bereits deutlich früher immer wieder Beschreibungen, die von Schmelzveränderungen einzelner Zahngruppen berichten. Wir wissen daher nicht, ob sie nicht schon seit vielen Jahrzehnten existiert. Das liegt daran, dass sich die Zahngesundheit von Kindern in Deutschland innerhalb der letzten Jahrzehnte deutlich verbessert hat – Karies kommt immer seltener vor. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, dass Zahnärzte die Verfärbungen und Zahnveränderungen früher gar nicht wahrgenommen haben, weil diese von Karies überdeckt wurden oder sie diese fälschlicherweise für Karies hielten. Erst jetzt, in den vielen kariesfreien Gebissen, wird das Phänomen augenfällig. Zum anderen wurde früher eine andere Art von Zahnmedizin betrieben. Auffällige Verfärbungen wurden direkt weggebohrt. Heute gehen Zahnmediziner in dieser Hinsicht differenzierter vor.

PTA-Forum: Was spricht dagegen, von MIH geschädigte Zähne so zu behandeln wie kariöse?

Walk: Bohrt man verfärbte Stellen weg und ersetzt sie zum Beispiel durch eine gängige Füllung, wird man diese bereits nach kürzester Zeit wieder ersetzen müssen, denn in von MIH betroffenen Zähnen halten Füllungen deutlich schlechter. Jeder neue Eingriff in den Zahn bedeutet selbst bei vorsichtigster Bearbeitung einen erneuten Verlust gesunder Zahnsubstanz. Die Gefahr steigt, den Zahn zu verlieren. Und das, obgleich man ihn mit anderen Maßnahmen wahrscheinlich hätte erhalten können.

Hinzu kommt, dass man betroffene Kinder unnötigem Stress aussetzt, denn die häufige Füllungsbehandlung ist belastend. Nicht selten brauchen Kinder sogar eine Narkose, damit der Zahnarzt eine – manchmal nur vermeintliche – Kariesbehandlung durchführen kann.

PTA-Forum: Wie sicher kann ein Zahnarzt die Diagnose MIH stellen?

Walk: Er muss zunächst alle weiteren Erkrankungen ausschließen. So kann man MIH mit einer Dentalfluorose verwechseln, also mit Zahnverfärbungen durch eine zu hohe Zufuhr von Fluorid. Das klärt der Arzt im Gespräch mit den Eltern. Bekam das Kind Fluoridtabletten, zudem Fluorid-haltige Zahnpasta und vielleicht auch noch fluoridiertes Speisesalz im Kleinkindalter? Das macht eine Dentalfluorose wahrscheinlicher.

Eine angeborene Zahnschmelzstörung, die Amelogenesis imperfecta, zeigt sich in aller Regel an allen Zähnen, so dass sich eine MIH recht gut davon abgrenzen lässt. Karies im Anfangsstadium kann einer MIH zum Verwechseln ähneln, wenn es sich um milchig-weiße Läsionen handelt. Allerdings tritt die MIH nicht an den Stellen am Zahn auf, an denen sich bevorzugt Karies ansiedelt.

PTA-Forum: Wie geht man vor, wenn die Diagnose steht?

Walk: Ist sich ein Zahnarzt sicher, dass es sich um eine MIH handelt, hängt das weitere Vorgehen von deren Schweregrad und von den Beschwerden des betroffenen Kindes ab. Handelt es sich lediglich um kleinere, verfärbte Bereiche, fluoridiert man den Zahn mit speziellen Medikamenten, wie Duraphat® Lack, Elmex® Gelee oder Sensodyne® Pro Schmelz Fluorid Gel. Das Fluorid lagert sich in den porösen Zahnschmelz ein und härtet ihn. Der Zahn muss dann engmaschig kontrolliert werden, aber man kann abwarten, wie er sich ent­wickelt.

Bei großen Defekten und wenn ein Kind Schmerzen hat, kann man nicht zuwarten. Hier lassen sich Defekte für einen begrenzten Zeitraum, und zwar, wenn der Zahn noch nicht richtig durchgetreten und somit eine Trockenlegung erschwert ist, mit sogenanntem Glasionomerzement füllen. Diese Füllung hält der Kaukraft des Gebisses jedoch nicht auf Dauer stand. Deshalb kommen in der Regel Kompositversorgungen (Anmerkung der Redaktion: zahnfarbene, plastische Füllungsmaterialien) zum Einsatz.

Bei stark beschädigten Zähnen greifen wir auf Stahlkronen zurück, die über den Zahn kommen. Wir beschleifen ihn dafür nur minimal, denn die Kinder haben natürlich eine geringe Kooperationsbereitschaft beim Zahnarzt. Außerdem soll ja so viel wie möglich gesunde Zahnsubstanz erhalten bleiben.

In schwersten Fällen überlegen Zahnarzt und Kieferorthopäde gemeinsam, den Zahn zu ziehen und die hinteren Zähne mit Hilfe einer Zahnspange nach vorne zu ziehen, um die Lücke zu schließen.

PTA-Forum: Was können Eltern tun, damit diese Problemzähne ihre Kinder möglichst wenig beeinträch­tigen?

Walk: Es ist auf jeden Fall gut, die Kinder so früh wie möglich an den Zahnarzt zu gewöhnen. Der Zahnarzt kennt dann auch schon das Milchgebiss, das bei den meisten Kindern, die bei bleibenden Zähnen eine MIH haben, übrigens völlig intakt ist und auf eine sehr gute Mundhygine hinweist. Die Eltern können außerdem die Zahnhygiene des Kindes mit in Augenschein nehmen.

Regelmäßige Prophylaxetermine beim Zahnarzt dürfen vor allem zwischen dem sechsten und achten Lebensjahr nicht ausfallen, denn in diesem Zeitraum brechen die ersten Molaren durch und kann eine MIH erstmals auffallen.

Zudem hilft ein vertrauensvolles Verhältnis zum Zahnarzt. Denn es fällt Eltern nicht immer leicht, wenn der Zahnarzt sagt, hier ist eine braune Stelle, die bohren wir aber nicht weg, sondern warten erst einmal ab. Darauf muss man sich einlassen. Aber glauben Sie mir, auch vielen Zahnärzten fällt es schwer, eine Verfärbung nicht zu entfernen. Bei MIH in einem geringen Schweregrad kann aber genau das der einzig richtige Weg sein. /

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.