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Vitamin B12

Besser zu viel als zu wenig

14.12.2015  10:49 Uhr

Von Barbara Erbe / Schwere Blutarmut und irreversible Nervenschäden durch einen Vitamin-B12-Mangel sind in Deutschland selten. Ein latenter Mangel besteht aber häufiger als angenommen. Dieser kann unbehandelt zu Erschöpfung, neurologischen Störungen oder depressiven Verstimmungen führen. Gefährdet sind vor allem ältere Menschen, Veganer sowie Patienten mit Nieren- und Magen-Darm-Erkrankungen.

Vitamin B12 oder Cobalamin ist als Cofaktor in drei wichtigen Bereichen unverzichtbar: bei der Zellteilung, bei der Blutbildung und für die Funktion des Nervensystems. Das erläutert Professor Dr. Richard Raedsch, Facharzt für Gastroenterologie, Hepatologie und Ernährungsmedizin am St. Josefs-Hospital Wiesbaden. »In erster Linie braucht der Körper Cobalamin, um die DNA herzustellen, das menschliche Erbgut.« Ohne ausreichende DNA-Produktion gibt es keine Zellteilung und -erneuerung, auch Blutzellen können nicht gebildet werden. Die Schutzhüllen der Nerven, die Myelinscheiden, brauchen das Vitamin wiederum für den Signaltransport. Schließlich wird es auch zur Regeneration von Folat benötigt, denn es hilft dabei, diese in die vom Körper verwertbare Form – Tetrahydrofolat – zu verwandeln.

Müde und schlapp

Ein anhaltender Vitamin-B12-Mangel führt zu einer Vitamin-B12-Mangel­anämie, auch megaloblastäre Anämie genannt. Dabei ist die DNA-Synthese im Knochenmark und damit die Entwicklung und Reifung der Erythro­zyten gestört. Das Knochenmark produziert übermäßig große, aber nicht vollständig reife Erythrozyten, die ­Mega­­loblasten. Diese gelten als deutlicher Hinweis auf einen Vitamin-B12-Mangel, der nicht zwangsläufig mit einem Eisenmangel einhergeht. Betroffene fühlen sich dauerhaft müde und erschöpft und leiden unter einer entsprechenden Leistungs- und Immunschwäche. »Diese Symptome lassen sich durch intensive Gabe von Vitamin B12 aber schnell und einfach behandeln«, beruhigt der Vertreter des Berufsverbands Deutscher Internisten. »Allerdings muss diese Art der Anämie erst einmal erkannt werden.«

Demenz und Depression

Was das Nervensystem anbelangt, kann sich ein Vitamin-B12-Mangel langfristig durch Ausfallerscheinungen wie Muskelschwäche, Reflex- und Empfindungsstörungen, Koordinationsprobleme, Gangstörungen und sogar Lähmungen bemerkbar machen. »Da Vit­amin B12 essenziell für den Aufbau der Nerven ist, führt ein dauerhafter Mangel zu Neuropathien«, erklärt Raedsch. Zwar gibt es für Nervenschädigungen zahlreiche weitere mögliche Ursachen, etwa Diabetes mellitus oder eine Immunkrankheit, »aber ein Test auf Vit­amin-B12-Mangel ist bei Neuropathien Standard.« Zumal die Symptome innerhalb der ersten Monate gut zu behandeln, später dagegen irreversibel sind. Auch Gedächtnisschwäche, Demenz, Depressionen oder unklare psychische Veränderungen werden heute zunehmend mit einem Vitamin-B12-Mangel in Verbindung gebracht.

Ein Vitamin aus tierischen Quellen

Vor allem tierische Produkte wie Leber, Innereien, Eier, Milch und Milchprodukte und Käse enthalten Vitamin B12. Pflanzliche Nahrung liefert – anders als bei den übrigen B-Vitaminen – so gut wie kein Vitamin B12. Selbst das häufig in diesem Zusammenhang erwähnte vergorene Sauerkraut enthält nur Spuren an Vitamin B12. Auch Spirulina-Algen leisten keinen Beitrag zur Vitamin-B12-Versorgung, betont Ernährungswissenschaftlerin Stefanie Weiß: »Sie enthalten lediglich Pseudo-Vitamin-B12, sogenannte Analoga, die für den Stoffwechsel nicht relevant sind.« Dagegen konnte man in Nori-Algen (Sushi) höhere Gehalte an verfügbarem Vitamin B12 feststellen, die einen Beitrag zur Versorgung liefern können: »Die Nori-Algen müssen aber frisch verzehrt werden, denn die Verarbeitung reduziert den Gehalt.«

Die Ernährungswissenschaftlerin Stefanie Weiß, die am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke B-Vitamine erforscht, sagt dazu: »Sobald erste Anzeichen von Demenz auftreten, sollte immer auch ein möglicher Vitamin-B12-Mangel in Erwägung gezogen werden.« Da Vi­t­amin B12 ein Cofaktor bei der Methylierung der Aminosäure Homocystein zu Methionin ist, kann ein Mangel auch erhöhte Homocysteingehalte im Blut zur Folge haben. Ein erhöhter Homo­cystein-Wert gilt als eigenständiger Risiko­faktor für Gefäßverkalkungen, Herzkreislauferkrankungen sowie für Demenz und Depressionen.

Speicher in der Leber

Der tägliche Bedarf an Vitamin B12 ist nicht hoch: 3 µg täglich empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung für Erwachsene. Wer gesund ist und sich einigermaßen ausgewogen ernährt, schafft das spielend. Zumal die Leber das Vitamin speichern und bis zu fünf Jahre vorhalten kann. Für Menschen jedoch, die sich aus unterschiedlichen Gründen mangelhaft ­ernähren oder das Vitamin krankheitsbedingt nur eingeschränkt absorbieren können, erweist sich diese Menge manchmal als kaum erreichbar. So riskieren etwa Vegetarier und vor allem Veganer eine Unterversorgung mit dem Vitamin, das fast ausschließlich in tierischen Nahrungsmitteln steckt.

Risiko Ernährung

Da hierzulande seit einigen Jahren die Zahl der Menschen steigt, die auf tierische Produkte verzichten, häuften sich mangelbedingte Schlappheit und Müdigkeit, so Raedsch. »Deshalb frage ich immer nach der Ernährung, wenn sich jemand mit diesen Symptomen an mich wendet, und auch eine PTA sollte da hellhörig werden.« Auch gebrechliche Menschen, die sich im Alltag nicht mehr ausreichend versorgen können, entwickeln häufig Vita­min-B12-Man­gelerscheinungen, eben­so Menschen mit überhöhtem ­Alkoholkonsum.

Gerade bei älteren Menschen liegt die Ursache eines Vitamin-B12-Mangels häufig gar nicht in der Ernährung. Vielmehr steckt oft eine chronische Magenschleimhautentzündung dahinter, die die Aufnahme von Vitamin B12 erschwert. Denn dazu benötigt der ­Körper ein spezielles Glykoprotein als Cofaktor, den sogenannten Intrinsic Factor, der in den Belegzellen der ­Magen­schleimhaut ge­bildet wird. Ist diese stark geschädigt, entsteht ein Mangel an Intrinsic Factor, und der Körper kann nicht genug Vitamin B12 aufnehmen.

Sinnvoll testen

Bei Verdacht auf einen Vitamin-B12-Mangel wird zunächst der Gesamtgehalt an Vitamin-B12 im Serum bestimmt. Die alleinige Bestimmung des Gesamtgehaltes an Vitamin B12 ist aber wenig aussagekräftig. Auch wenn der Gehalt an Vitamin B12 normal ist, aber im unteren Referenzbereich liegt, kann ein Mangel nicht ausgeschlossen werden.

Ernährungswissenschaftlerin Stefanie Weiß hält daher den Test auf den Komplex Holo-Transcobalamin (Holo-TC, »aktives Vitamin B12«) im Serum für deutlich sinnvoller. Denn erst das an das Protein Transcobalamin gebundene Vitamin B12 bindet seinerseits an Rezeptoren und steht damit erst dem Stoffwechsel zur Verfügung. Niedrige Holo-TC-Werte weisen deshalb frühzeitig auf entleerte Vitamin-B12-Speicher hin. Bei gleichzeitig erhöhtem Gehalt an Homocys­tein im Serum und Methylmalon­säure (MMA) im Urin ist ein Vit­amin-B12-Mangel recht sicher.

Ist der MMA-Wert erhöht, heißt das, dass den Zellen aktuell zu wenig Vit­amin B12 zur Verfügung steht. »Damit erfahren wir, in welchem Maß B12 im gegenwärtigen Stoffwechsel ankommt«, erläutert Weiß. Das ist gerade bei älteren Menschen wichtig, die Probleme mit der Absorption haben.

Steckt womöglich ein Mangel an Intrinsic Factor hinter dem Vitamin-B12-Defizit, kann der Arzt auch einen Schilling-Test durchführen. Dabei wird dem Patienten radioaktiv markiertes Vitamin B12 verabreicht und die Resorption gemessen. Als Vergleich erhält er in einem zweiten Durchlauf radioaktiv markiertes Vitamin B12 plus Intrinsic Factor. Schneidet er im zweiten Durchlauf besser ab, liegt der Vitamin-B12-Mangel sehr wahrscheinlich in einer zu geringen oder fehlenden Produktion des Intrinsic Factors begründet.

Produziert der Magen zu wenig Säure, kann Vitamin B12 auch nicht mehr in ausreichendem Maße aus der Nahrung herausgelöst werden. Auch kann es dann zu einer Alkalisierung des Dünndarms kommen. Dann können sich Darmbakterien aus unteren Darmabschnitten bereits in oberen Abschnitten ansiedeln. Man spricht von einem Overgrowth-Syndrom. Weitere mögliche Ursachen für eine mangelhafte Absorption sind ein erhöhter Verbrauch durch Parasiten im Darm (zum Beispiel Würmer, vor allem der Fischbandwurm), eine operative Entfernung des Magens oder von Teilen des Magens, Darmerkrankungen mit Malabsorptionssyndrom, eine bakterielle Überwucherung des Darmes oder auch eine operative Entfernung von Teilen des Darmes, zum Beispiel bei Tumorerkrankungen und chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn.

Überdosis schadet nicht

Last but not least verhindern be­stimmte Medikamente, beispiels­weise Protonen­pumpenhemmer oder bestimmte Antibiotika, die Absorption von Vit­amin B12. Aber auch ein erhöhter Verbrauch von Vitamin B12 – so etwa im Laufe von Schwanger­schaft und Stillzeit – kann mit der Zeit das körpereigene Depot abbauen, ebenso Auto­immun­erkrankungen wie Morbus Base­dow oder eine HIV-Infektion.

Wo die Zufuhr von Vitamin B12 über die Nahrung nicht ausreicht, sind Vit­amin-B12-Präparate ein wichtiger Ausgleich, resümiert Weiß. Zum Einnehmen gibt es Kapseln, Tabletten, Tropfen und Sprays. Wenn das nicht funktioniert, kommen Spritzen zum Einsatz. Die Injektion umgeht den Verdauungstrakt und führt dem Körper zudem höhere Mengen Vitamin B12 zu, sodass die Speicher rascher gefüllt werden. »Da Vitamin B12 wasserlöslich ist, braucht man sich vor einer möglichen Überdosierung nicht zu fürchten«, meint die Ernährungswissenschaftlerin. Anders als bei fettlöslichen Vitaminen werden überschüssige Mengen einfach über die Niere ausgeschieden.« »Gefährlich ist die Unterversorgung, nicht die Überdosierung«, betont auch Raedsch. /

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