Hand in Hand mit Grippeviren |
14.12.2015 10:48 Uhr |
Von Barbara Erbe / Rund 400 000 Menschen erkranken in Deutschland Jahr für Jahr an einer Lungenentzündung, der hierzulande am häufigsten zum Tod führenden Infektionskrankheit. Die wichtigsten Erreger sind Pneumokokken. Deshalb empfiehlt die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) seit 2006, alle Babys gegen Pneumokokken zu impfen. Im August hat sie ihre Empfehlung von vier auf drei Impfgaben reduziert.
Eine Lungenentzündung, unabhängig vom Auslöser, ist eine Entzündung der Lungenbläschen (alveoläre Pneumonie) und/oder des Lungengewebes (interstitielle Pneumonie). Sie kann auch von den Bronchien ausgehen und das umliegende Gewebe angreifen (Broncho-Pneumonie). Die Folge: Wichtige Hohlräume der Lunge sind durch Eiter und Wassereinlagerungen im Gewebe verdichtet und können den Gasaustausch nicht mehr bewältigen.
Insgesamt erkranken nach Informationen des Bundesverbands der Pneumologen und der Deutschen Lungenstiftung in Deutschland pro Jahr etwa 400 000 Menschen an einer Pneumonie. Wie die Grippe folgen Pneumokokken-Erkrankungen auch einem saisonalen Zyklus, der in den Wintermonaten am stärksten zutage tritt. Zur Risikogruppe gehören vor allem Säuglinge und Kleinkinder, deren Immunsystem noch nicht ausgereift ist, ebenso ältere Patienten über 60 Jahre und Menschen mit schweren chronischen Erkrankungen, deren Abwehr geschwächt ist. In der Regel sind Bakterien für die Infektion verantwortlich, manchmal aber auch Viren, Pilze, Parasiten oder aspirierte Fremdkörper.
Hohe Sterblichkeit
Die Auslöser im Alltag erworbener – ambulanter – Pneumonien sind in erster Linie Bakterien, darunter vor allem Pneumokokken (Streptococcus pneumoniae), berichtet Dr. Thomas Voshaar, Vorsitzender des Verbands Pneumologischer Kliniken (VPK), im Gespräch mit PTA-Forum. »Das Kernproblem dabei ist, dass etwa 13 Prozent aller Pneumokokken-Pneumonien invasiv verlaufen, das heißt, dass die Erreger in das Blut oder in die Gehirnflüssigkeit gelangen und dort schwere Infektionen mit bleibenden Schäden oder gar Todesfolge (Meningitis, Sepsis) verursachen können.« Gefährlich wird es auch, wenn Grippeviren und Pneumokokken gleichzeitig zum Angriff blasen. »Dann legen die Influenzaviren die Stellen in der Schleimhaut frei, an denen die Pneumokokken umso besser angreifen können«, erläutert der Chefarzt des Lungenzentrums am Krankenhaus Bethanien Moers.
Entsprechend liegt die Sterblichkeit bei Pneumokokken-Pneumonien bei etwa 13 Prozent und damit sehr hoch. »Dabei reden wir nicht einmal von Risikopatienten, sondern von Menschen aller Alters- und Bevölkerungsgruppen«, betont Voshaar. »Die Pneumokokken sind ein großes Problem der Immunologie. Daran hat sich leider in 50 Jahren nichts geändert.«
Um die Zahl invasiver Pneumokokken-Erkrankungen zu senken, setzen Mediziner in erster Linie auf die allgemeine Kinderimpfung. »Wenn wir die Kinder impfen, schützen wir einen großen Teil der Erwachsenen gleich mit«, erläutert Dr. Gerhard Falkenhorst vom Fachgebiet Impfprävention des RKI gegenüber PTA-Forum. Bei Kleinkindern ist der Nasen-Rachen-Raum häufig mit Pneumokokken besiedelt, ohne dass sie dadurch krank werden. »Die meisten dieser Kinder sind kerngesund. Aber die Erwachsenen, an die sie die Erreger weitergeben, oder andere Kinder können schwer erkranken.«
Zwei Impfstoff-Typen
Weil Kinder bis zum zweiten Lebensjahr noch nicht über ein ausgereiftes Immunsystem verfügen, bekommen Sie einen sogenannten konjugierten Impfstoff oder Konjugat-Impfstoff (lat. coniunctus = verbunden). Bei diesem Konjugat-Impfstoff ist ein Teil des Krankheitserregers, der die Antikörperbildung auslöst (Antigen), an ein Eiweiß gebunden. Dieses Eiweiß dient als Transportmittel. Es verbessert die Immunreaktion und regt die Ausbildung eines immunologischen Gedächtnisses an, erläutert Falkenhorst. »Das ist vor allem bei Kindern in den ersten beiden Lebensjahren wichtig, bei denen der für ältere Menschen empfohlene Polysaccharid-Impfstoff noch keine wirksame Immunantwort auslöst.« Der Konjugat-Impfstoff habe sich bei bis zu zweijährigen Kindern bewährt. Auch habe sich gezeigt, dass das Impfschema mit einer Impfgabe weniger den gleichen Schutz bewirkt. Deshalb ist die STIKO in ihrer neuen Empfehlung vom früheren 3+1-Impfschema zu dem jetzigen 2+1-Schema übergegangen (siehe Kasten).
Seit August bekommen Säuglinge nach dem sogenannten 2+1-Impfschema nur noch drei statt bisher vier Dosen des Pneumokokken-Konjugat-Impfstoffs verabreicht. Im Alter von zwei und vier Monaten erhalten sie jeweils eine Grundimmunisierung, dazu kommt eine Auffrischung zwischen 11 und 14 Monaten. Für die bestmögliche Wirksamkeit der Impfung sollen die einzelnen Impfstoffdosen unbedingt im jeweils empfohlenen Alter gegeben werden. »Durch die ersten beiden Dosen werden die Babys so früh wie möglich geschützt. Bis zur Auffrischimpfung soll aber ein Intervall von mindestens sechs Monaten eingehalten werden, weil das Immunsystem dann mit einer stärkeren Antikörperproduktion antwortet«, erklärt Falkenhorst.
Für Frühgeborene wird allerdings nach wie vor das alte 3+1-Schema empfohlen, da in der Impfstoff-Zulassung die Anwendung des kürzeren Impfschemas bislang auf Reifgeborene beschränkt ist. Frühgeborene erhalten demnach vier Impfstoffdosen im Alter von zwei, drei, vier und 11 bis 14 Monaten.
Außer für Kinder bis zum Alter von 24 Monaten empfiehlt die STIKO die Impfung gegen Pneumokokken auch bei bestimmten Grunderkrankungen. Dazu gehören angeborene oder erworbene Immundefekte, Hypogammaglobulinämie, Sichelzellanämie, Krankheiten der blutbildenden Organe, neoplastische Krankheiten, HIV-Infektion und eine durchgeführte Knochenmarktransplantation. Ebenso zählen chronische Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krankheiten der Atmungsorgane, Diabetes mellitus oder andere Stoffwechselkrankheiten dazu. Werden betroffene Kinder vor ihrem fünften Geburtstag nachgeimpft, sollte das mit einem Konjugat-Impfstoff geschehen. Ältere Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit bestimmten Grunderkrankungen können mit Konjugat- oder Polysaccharid-Impfstoff geimpft werden.
Für Personen ab 60 Jahre empfiehlt die STIKO grundsätzlich eine einmalige Impfung mit dem Pneumokokken-Polysaccharid-Impfstoff. Auffrischimpfungen werden für immungesunde Erwachsene nicht empfohlen.
Beim voll entwickelten Immunsystem Erwachsener reicht dagegen die Impfung mit einem Impfstoff aus, der nur die aus Polysacchariden bestehenden Kapsel-Antigene der Pneumokokken enthält, betont der RKI-Experte. Sie bekommen üblicherweise den Polysaccharid-Impfstoff Pneumovax® 23. Nachdem aber der Konjugat-Impfstoff Prevenar® 13 eine Zulassungserweiterung für Erwachsene erhalten hat, gibt es zwei verschiedene Pneumokokken-Impfstoffe für Erwachsene zur Auswahl.
Die STIKO empfiehlt für Senioren weiterhin nur den Polysaccharid-Impfstoff. Denn sie sieht derzeit keine ausreichende Evidenz für eine Änderung ihrer geltenden Empfehlung. »Ob und wie sich die beobachtete bessere Immunogenität des Konjugat-Impfstoffs bei gleichzeitig schmalerem Serotypenspektrum auf die klinische Schutzwirkung angesichts des in Deutschland zirkulierenden Serotypenmix auswirkt, kann aufgrund der bisher vorliegenden Daten nicht beurteilt werden«, so die STIKO. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat sich dennoch für eine Erstattung der 13-valenten Vakzine ab dem 60. Lebensjahr ausgesprochen. Und auch die Sächsische Impfkommission rät bereits jetzt bei der einmaligen Standardimpfung Über-60-Jähriger generell zum 13-valenten Impfstoff.
»Das Robert Koch-Institut sieht in Prevenar 13 für immunkompetente Erwachsene keinen Vorteil, zumal der Impfstoff – anders als Pneumovax 23 – nur 13 der insgesamt mehr als 90 Pneumokokken-Serotypen enthält und entsprechend auch nur gegen 13 anstelle von 23 Erregertypen schützt«, erklärt Falkenhorst. Möglicherweise halte der Schutz des Konjugat-Impfstoffs etwas länger an, »aber gleichzeitig geht die Zahl der invasiven Erkrankungen durch die in Prevenar 13 enthaltenen Serotypen auch bei Erwachsenen immer weiter zurück. Dies verdanken wir der erfolgreichen Säuglingsimpfung mit Prevenar 13, weil dadurch kaum noch Kleinkinder mit diesen 13 Serotypen besiedelt sind und somit als Infektionsquelle für Erwachsene ausscheiden.« /