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Phytopharmaka

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14.12.2015  10:49 Uhr

Von Elke Wolf / Im Vergleich zu den meisten synthetischen ­Arzneistoffen haben rationale Phytopharmaka nur ein geringes ­Interaktionspotenzial. Im Prinzip sind bislang Johanniskraut-­haltige Extrakte die einzigen pflanzlichen Zubereitungen, ­ von ­denen klinisch relevante Wechselwirkungen mit anderen ­Arzneistoffen bekannt sind.

Die Frage, ob und inwiefern pflanzliche Arzneimittel mit gleichzeitig eingenommenen synthetischen Arzneistoffen Wechselwirkungen eingehen, ist Gegenstand vieler Forschungsarbeiten.

So ist die Zahl der Veröffentlichungen zu Arzneimittelinteraktionen durch Phytopharmaka in den vergangenen Jahren exponenziell gestiegen, von elf Reviews und 146 Originalarbeiten im Jahr 1997 auf 578 Reviews und 2040 Originalarbeiten im vergangenen Jahr, stellte Dr. Matthias Unger das Ergebnis einer Literaturrecherche in PubMed vor. Ganz anders sieht es dagegen mit der Zahl der Interaktionen selbst aus.

Die Zahl der Wechselwirkungen zwischen pflanzlichen und synthetischen Arzneimitteln sei nicht im Ansatz so stark angewachsen wie die Zahl der Veröffentlichungen zu diesem Thema, informierte der Apotheker vom Institut für Lebensmittelchemie und Arzneimittelprüfung, Landesuntersuchungsamt Rheinland-Pfalz auf einer Fortbildungsveranstaltung der Landesapothekerkammer Hessen in Gießen. Mit Ausnahme von Hypericum-haltigen Extrakten sind bislang keine klinisch relevanten Interaktionen mit anderen Arzneistoffen bekannt. Voraussetzung für eine zuverlässige Beurteilung sei aber, dass arzneibuchkonforme Extrakte in regulären Dosierungen verwendet würden. Sehr oft fehle eine positive In-vitro-in-vivo-Korrelation. Und: Klinisch relevante Interaktionen sind aus In-­vitro-Daten nicht ableitbar. »Um definitive Aussagen treffen zu können, brauchen wir mehr valide Studien.«

Vorsicht bei Hypericum

Johanniskraut-Extrakte besitzen ein ­relativ hohes Interaktionspotenzial. Sie beeinflussen die Bioverfügbarkeit vieler Arzneistoffe, verantwortlich dafür zeichnet Hyperforin. Es induziert nämlich die Bildung einer ganzen Reihe von Cytochrom-P450-Enzymen und des Trans­portproteins P-Glykoprotein (P-gp). CYP3A4 ist das wichtigste Cytochrom-P450-Enzym im menschlichen Körper und am Metabolismus von rund 60 Prozent aller Arzneistoffe beteiligt. »Die stärkere Expression von CYP3A4 und P-gp im Dünndarm und in der Leber führt nach ein paar Tagen zu einer erheblichen Abnahme der Bioverfügbarkeit von Arzneistoffen, wie Ciclosporin, Felodipin, Omeprazol oder Simvastatin. Die Wirkstoffe werden schneller abgebaut, ihre Wirkspiegel sinken. Weil Hyperforin-haltige Extrakte auch für die Induktion von P-gp sorgen, wird die Bioverfügbarkeit von etwa Digoxin erniedrigt.«

Der gesteigerte Abbau von Arzneistoffen durch Hyperforin ist besonders dann relevant, wenn es sich um Arzneistoffe mit geringer therapeutischer Breite handelt. Das trifft für Immunsuppressiva wie Ciclosporin, Tacrolimus oder Sirolimus, HIV-Präparate wie Indinavir, Zytostatika wie Imatinib und orale Antikoagulanzien wie Phenprocoumon zu. Diese Arzneistoffe sollten deshalb – wenn möglich – nicht mit Johanniskraut-haltigen Extrakten gleichzeitig eingenommen werden. Bei der Erstverordnung von Hyperforin-haltigen Extrakten sollten PTA und Apotheker deshalb nach weiteren Medikamenten fragen. Handelt es sich um eine Wiederholungsverordnung, sollte nach neuen Arzneimitteln gefragt werden.

Die gesteigerte Expression von P-gp und CYP3A4 in Darm und Leber kann ebenfalls zu einer Steigerung des Abbaus und der Elimination von Estrogenen und Gestagenen führen. Deshalb kann die gleichzeitige Einnahme oraler Kontrazeptiva und von Hyperforin-haltigen Hypericum-Extrakten zu Zwischenblutungen führen. Deshalb sei eine zusätzliche Methode zur Empfängnisverhütung anzuraten, auch wenn in Studien keine Ovulation ausgelöst worden sei, empfahl Unger. Eine Alternative seien nahezu Hyperforin-freie Extrakte. Da auch Hormonpflaster, Vaginalring oder Implantat systemische Wirkung zeigen, ist es wahrscheinlich, dass die gleichen Interaktionen wie bei der Anwendung oraler Kontrazeptiva auftreten.

Auf einen Blick

  • Unter den Phytopharmaka sind es vor allem die Johanniskraut-Extrakte, von denen klinisch relevante Wechselwirkungen mit anderen Arzneistoffen bekannt sind. Verantwortlich für die Interaktionen ist Hyperforin.
  • Hyperforin induziert die Bildung ­einer ganzen Reihe von Cytochrom-P450-Enzymen und des Transportproteins P-Glykoprotein (P-gp). Dadurch werden viele Arzneistoffe schneller umgesetzt, also schneller abgebaut. Deren Wirkspiegel sinken.
  • Arzneistoffe mit geringer therapeutischer Breite wie Immunsuppres­siva wie Ciclosporin, Tacrolimus oder Sirolimus, HIV-Präparate wie Indinavir, Zytostatika wie Imatinib und orale Antikoagulanzien wie Phen­procoumon sollten deshalb nicht mit Johanniskraut-haltigen Extrakten gleich­zeitig eingenommen werden.
  • Bei der gleichzeitigen Einnahme oraler Kontrazeptiva und von Johanniskraut-Extrakten kann es zu Zwischenblutungen kommen. Eine zusätzliche Methode zur Empfängnisverhütung ist sinnvoll.

 

Klinisch nicht relevant

Was Mariendistelextrakte (> 70 Prozent Silymarin) betrifft, ist es derzeit nicht möglich, konkrete Aussagen zum Interaktionspotenzial zu treffen, führte Unger aus. Zwar zeigten In-vitro-Studien eine zeitabhängige irreversible Inaktivierung von CYP-Enzymen durch Silymarin, weshalb es sein könnte, dass Mariendistelzubereitungen die Bioverfügbarkeit von verschiedenen Arzneistoffen klinisch relevant beeinflussen. Allerdings fehlt es an Interaktionsstudien, sodass eine abschließende Beurteilung nicht möglich ist.

Etwas anders sieht die Lage für Extrakte aus Ginkgo biloba aus. Es gebe zwar zahlreiche In-vitro-Studien, die auf ein gewisses Interaktionspotenzial hindeuten. Doch eine klinisch relevante Beeinflussung der Bioverfügbarkeit von Arzneistoffen konnte Ginkgo-Extrakten nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, erklärte Unger. Allerdings gelte diese Aussage nur für solche Arzneimittel, die nach den Vorschriften des Europäischen Arzneibuchs hergestellt und standardisiert seien. Goldstandard ist dabei der Extrakt EGb 761®. Wichtig sei auch, dass therapeutische Dosen eingesetzt werden.

Ähnlich sei die Datenlage zu Baldrian-, Echinacea- oder Weißdornpräparaten zu werten. Zwar konnten zum Teil Änderungen der Bioverfügbarkeit verschiedener Arzneistoffe beobachtet werden, doch klinisch relevant seien diese Effekte nicht. Differenziert seien etwa Nahrungsergänzungsmittel aus den USA oder Bestellungen aus dem Internet zu betrachten, da diese häufig höher konzentriert seien oder undefinierte Inhaltsstoffe enthalten. /

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