Zwischen Droge und Arzneimittel |
14.12.2015 10:49 Uhr |
Von Elke Wolf, Gießen / Hanf ist einerseits das mit Abstand beliebteste illegale Rauschmittel. Andererseits hat Cannabis aber auch therapeutische Wirkungen und soll vermehrt bei chronisch Kranken zur Anwendung kommen. Für die Abgabe über Apotheken fordern Pharmazeuten eine geeignete Darreichungsform.
Die Droge kann geraucht oder über einen Vaporizer inhaliert werden. Dazu verwendet werden Cannabisblüten, die derzeit in Europa nur in den Niederlanden in vier Varietäten mit verschiedenen Tetrahydrocannabinol-(THC)-Nenngehalten erhältlich sind. Anbau und Handel für die medizinische Anwendung unterstehen dort dem Bureau voor Medicinale Cannabis. Hierzulande soll dies demnächst die neu zu gründende Cannabis-Agentur übernehmen.
»Hier muss man als Pharmazeut oder PTA zusammenzucken. Wer Cannabis raucht, betreibt archaischste Pharmazie, die an die Asthmazigaretten erinnert, die Stramonium-, Hyoscyamus- oder Belladonna-Blätter enthielten. Heute ein bisschen mehr, morgen ein bisschen weniger Drogenmaterial in den Vaporizer. Die exakte Dosis ist so nicht vorhersehbar. So kann man keine Therapie betreiben«, kritisierte Professor Dr. Theo Dingermann, Seniorprofessor an der Universität Frankfurt, auf einer Fortbildungsveranstaltung in Gießen, die zum Teil übliche Praxis.
Parallel dazu gibt es derzeit zur Therapie Dronabinol, also teil-synthetisch produziertes THC, als ölige Tropfen beziehungsweise als Kapseln, welche nach NRF-Vorschrift in der Apotheke angefertigt werden können. Daneben ist auf dem deutschen Markt ein Fertigarzneimittel zugelassen, ein Cannabis-Dickextrakt als Mundspray für die Therapie der Multiplen Sklerose (siehe Kasten). Doch auch dieses Fertigarzneimittel bezeichnete Dingermann als nicht ideal. »Die Verwendung von Extrakten mit stark wirksamen Komponenten erinnert an die frühere Verwendung von Digitalisextrakten, die mittlerweile zugunsten der isolierten Reinstoffe aufgegeben wurde.«
Als lose Droge, Rezeptursubstanz oder als Fertigarzneimittel: In welcher Darreichung ist Cannabis in Deutschland für therapeutische Zwecke erhältlich?
Droge
Rezeptursubstanz/Dronabinol
Fertigarzneimittel
Moderne Arzneiformen
Dingermann forderte vielmehr für den therapeutischen Einsatz von Cannabis eine zeitgemäße Arzneiform. Da die wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe der Pflanze bekannt sind, sollten Apotheker dafür eintreten, genau diese in Form von Fertig- oder Rezepturarzneimitteln einzusetzen. Auf dem zurückliegenden Deutschen Apothekertag in Düsseldorf stellte die Apothekerschaft einen entsprechenden Antrag.
Ob Cannabis – in welcher Darreichung auch immer – klinisch einen Effekt hat, ist indes gar nicht so sicher. Dingermann bezeichnete die Studienlage zur therapeutischen Verwendung für viele Indikationen als nicht ausreichend, zudem sei die Qualität der klinischen Studien sehr heterogen.
Dingermann stellte beispielhaft eine Metaanalyse vor, die kürzlich im Fachjournal »JAMA« publiziert wurde. Dabei wurden die Daten von 6462 Patienten aus 79 Studien ausgewertet. Auf Basis dieser Datenlage lässt sich eine nur sehr mäßige Evidenz für eine Wirksamkeit von Cannabinoiden bei den Indikationen chronischer Schmerz und Spastiken ableiten.
Dingermann: »Am besten untersucht ist der Einsatz gegen Spasmen bei Multipler Sklerose. Zudem gibt es für die Wirksamkeit bei chronischen und neuropathischen Schmerzen eine gute Evidenz.« Für die Indikation »Übelkeit und Erbrechen im Rahmen einer Chemotherapie« ist die Evidenz für eine Wirksamkeit von Cannabinoiden sehr niedrig. Ähnliches gelte für die Indikationen »Gewichtszunahme bei einer HIV-Infektion«, »Schlafstörungen« und »Tourette-Syndrom«. Und: Grundsätzlich war der Einsatz von Cannabinoiden mit einem erhöhten Risiko für unerwünschte Wirkungen wie Schwindel, Mundtrockenheit, Benommenheit oder Gleichgewichtsstörungen verbunden.
Der Apotheker warnte davor, die gesellschaftspolitische Diskussion zur Legalisierung der Genussdroge mit der Diskussion, Cannabis medizinisch zu verwenden, zu vermischen. Argumente zur medizinischen Verwendung würden von einigen Politikern missbraucht, um eine Legalisierung als Genussmittel voranzutreiben. /