Azidose unter Paracetamol ist nicht neu |
Hersteller weisen in der Produkt- und Fachinformation von Paracetamol auf das Risiko einer »HAGMA« hin. Das steht für High Anion Gap Metabolic Acidosis, zu Deutsch eine metabolische Azidose mit vergrößerter Anionenlücke. / © Adobe Stock/PhotoSG
Auf www.bild.de heißt es: »Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) schreibt, dass Experten jetzt die metabolische Azidose als neue Nebenwirkung des Präparats gefunden haben.« Klickt man auf den Link zum BfArM, ist dort aber überhaupt nicht die Rede von einer »neuen« Nebenwirkung. Vielmehr landet man auf einer Meldung zu den Ergebnissen des Pharmakovigilanz-Ausschusses (PRAC) der Europäischen Arzneimittelagentur (kommuniziert am 25. November), über die das BfArM am 2. Dezember kurz berichtete.
So hatte der PRAC bereits Ende Oktober beschlossen, dass die Zulassungsinhaber aller Paracetamol-haltigen Arzneimittel in den Produktinformationen auf das Risiko einer sogenannten HAGMA hinweisen sollen – was bereits der Fall ist, allerdings bislang nur bei den Warnhinweisen und nicht mit dem Zusatz »aufgrund einer Pyroglutaminsäure-Azidose«. Dieser soll nun an den entsprechenden Stellen ergänzt werden. Neu ist zudem, dass das Risiko einer »HAGMA aufgrund einer Pyroglutaminsäure-Azidose« nun auch explizit unter dem Punkt Nebenwirkungen aufgeführt werden soll mit Nennung der Häufigkeit als »nicht bekannt« und unter Punkt 4.4 »Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung« präzisiert wird.
HAGMA steht für High Anion Gap Metabolic Acidosis, zu Deutsch eine metabolische Azidose mit vergrößerter Anionenlücke. Sie kann durch eine zu hohe Säureproduktion des Körpers wie bei einer Ketoazidose, Lactatazidose oder Nierenversagen, aber auch durch Intoxikationen mit Alkohol, Acetylsalicylsäure (ASS) oder eben Paracetamol beziehungsweise dessen Metaboliten Oxoprolin entstehen.
»Fälle von HAGMA aufgrund von Pyroglutaminsäure-(5-Oxoprolin-)Azidose wurden bei Patienten mit schweren Erkrankungen, wie schwerer Nierenfunktionsstörung und Sepsis, oder bei Patienten mit Mangelernährung oder anderen Ursachen für Glutathionmangel (zum Beispiel chronischer Alkoholismus) berichtet, die mit einer therapeutischen Dosis von Paracetamol über einen längeren Zeitraum oder mit einer Kombination von Paracetamol und Flucloxacillin behandelt wurden«, erläutert dazu das BfArM. Vorsicht sei vor allem bei der Kombination Paracetamol mit dem Antibiotikum Flucloxacillin geboten. Der Warnhinweis im Beipackzettel wird ebenfalls entsprechend angepasst.
Bei einer metabolischen Azidose sinkt der Blut-pH-Wert unter 7,35, da die Protonen, also H+-Ionen, Überhand nehmen – daher Anionenlücke. Eine Azidose kann sich durch Atemschwierigkeiten, Benommenheit, Übelkeit und Erbrechen äußern. Es kommt zur Hyperventilation, da der Körper versucht, die Azidose im Blut respiratorisch zu kompensieren, indem die Ventilation gesteigert wird, um mehr CO2 abzuatmen.
Bei Verdacht auf HAGMA aufgrund einer Pyroglutaminsäure-Azidose wird ein sofortiges Absetzen von Paracetamol und eine engmaschige Überwachung empfohlen. Die Messung von Pyroglutaminsäure (5-Oxoprolin) im Urin könne zudem nützlich sein, um eine Pyroglutaminsäure-Azidose als zugrunde liegende Ursache von HAGMA bei Patienten mit mehreren Risikofaktoren zu erkennen, schreibt das BfArM. Diese Empfehlung ist neu.
Die Therapie einer metabolischen Azidose richtet sich möglichst gegen die auslösende Ursache, in diesem Fall die Paracetamol-Einnahme, in anderen Fällen beispielsweise eine Überzuckerung. Bei schweren Azidosen wird versucht, den Blut-pH mit Natriumhydrogencarbonat oder Trometamol (TRIS-Puffer) auszugleichen.