Bakterio- und Virophagen |
Bakteriophagen sind Viren, die Bakterienzellen infizieren, sich in ihnen vermehren und sie am Ende zerstören. / Foto: Shutterstock/nobeastsofierc
Die Gruppe der Bakteriophagen hat sich darauf spezialisiert, Bakterien zu infizieren. Die Bezeichnung »Phage« leitet sich von dem griechischen Wort »Phagos« (»Fresser«) ab und bedeutet nichts anderes, als dass die Viren die Bakterien »auffressen«, was sie natürlich nicht wirklich tun. Ähnlich wie die humanpathogenen Viren heften sich die Phagen mit Spikes an die Zellmembran, injizieren ihr Erbmaterial in das Bakterium und benutzen dessen Syntheseapparat zu ihrer Vermehrung. Sind genügend Virionen entstanden, lösen sie die Bakterienwand einfach auf, ihr Wirt stirbt ab.
Im Unterschied zu den virulenten Phagen bauen die temperenten Phagen ihre DNA in das bakterielle Erbgut ein oder deponieren sie in Plasmiden im Zellplasma und fallen, vergleichbar zum Beispiel mit den Humanen Herpesviren, in einen Ruhezustand, die sogenannte Latenz. Bei jeder Zellteilung des Bakteriums erhalten die Tochterzellen auch das virale Erbgut. Es kann jederzeit wieder in den aktiven Zustand übergehen und seinen Vermehrungszyklus fortsetzen. Die neu gebildeten Virionen zerstören dann ebenfalls ihren Wirt, indem sie seine Zellwand sprengen. So gelangen sie wieder in die Umwelt, wo sie ihren nächsten bakteriellen Wirt finden. So erwecken sie den Eindruck, dass sie sich von den Bakterien ernähren. Selbstverständlich betreiben sie keinen Stoffwechsel, aber das war zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung und der Namensgebung noch nicht bekannt.
Die Bakterien haben im Laufe der Evolution Abwehrsysteme gegen die Phagen entwickelt. Sie schützen ihre DNA, indem sie an die Purinbase Adenin und die Pyrimidinbase Cytosin Methylgruppen anheften, die sie vor den viralen Genscheren, den Restriktionsenzymen, schützen. Andererseits sind die Viren in der Lage, die bakteriellen Abwehrmechanismen zu umgehen und lassen ihre DNA von der Methyltransferase des Bakteriums ebenfalls methylieren.
Phagen kommen überall dort vor, wo Bakterien sind, also weltweit und überall. Sie sind meist auf ein bestimmtes Bakterium spezialisiert. So infizieren beispielsweise die Coliphagen Escherichia coli, Salmonellaphagen Salmonellen und Cyanophagen Cyanobakterien. Ihr Genom kann aus einem Einzel- oder Doppelstrang einer DNA oder RNA bestehen, linear oder ringförmig sein. Die am besten untersuchten Bakteriophagen sind die Caudovirales. Sie bestehen aus dem Kopf, einem Proteinkapsid, das die doppelsträngige DNA enthält, dem Kragen und dem Schwanz mit Schwanzfasern zum Anheften an die Wirtsmembran. Ihr Vermehrungszyklus im Bakterium dauert zwischen 30 Minuten und vier Stunden.
Bereits einer der Entdecker der Bakteriophagen, der französische Mikrobiologe Félix Hubert d’Hérelle (1873-1949), hatte die Idee, Phagen in der Therapie bakterieller Infektionen einzusetzen. Er heilte im Ersten Weltkrieg an Ruhr erkrankte französische Soldaten mit einer Lösung von Bakteriophagen und wurde damit zum Pionier der Phagentherapie. Im Jahr 1936 gründete er gemeinsam mit seinem Kollegen Georgi Eliava in Georgien ein Institut für Phagenforschung. Mit der Entdeckung des Penicillins nach dem Zweiten Weltkrieg und der Entwicklung weiterer Antibiotika geriet jedoch die Phagentherapie in den westlichen Ländern in Vergessenheit, nicht so in der ehemaligen Sowjetunion und einigen Ländern des Ostblocks. Das Georgi-Eliava-Institut in Tbilissi besteht noch heute und ist nach wie vor in der Phagenforschung sowie in der Produktion von Phagenprodukten tätig. Die Forschung in den westeuropäischen Ländern kam erst vor wenigen Jahren wieder in Gang, als das Thema Antibiotikaresistenzen zunehmende Bedeutung erlangte.
Gegenüber Antibiotika haben Phagen den Vorteil, dass sie wirtsspezifisch wirken. Bestimmte artspezifische Rezeptorsubstanzen in der Zellwand des Bakteriums ermöglichen den Phagen das Anheften und den Eintritt in die Zellen nur dieser einen Bakterienart. Deshalb verursachen sie zum Beispiel in der Darmflora viel weniger Schäden als Antibiotika. Ein großer Nachteil für die Therapie ist jedoch der Umstand, dass der Erreger zunächst spezifiziert werden muss. Damit verzögert sich der Therapiebeginn, was bei schnell fortschreitenden bakteriellen Infekten durchaus von Bedeutung ist. In der Praxis kommen daher oft Phagenmischungen zum Einsatz, was jedoch wieder die Nebenwirkungsrate auf das menschliche Mikrobiom erhöht. Vor allem im traditionsreichen Georgien ist man aus diesem Grund dazu übergegangen, Phagen nur dann anzuwenden, wenn der Erreger bekannt und gegen konventionelle Antibiotika resistent ist. Dabei müssen die Phagen nicht unbedingt am erkrankten Menschen zum Einsatz kommen, sie können auch sozusagen prophylaktisch in der Lebensmittelindustrie beispielsweise gegen Salmonellen und Listerien angewendet werden.
Im Gegensatz zu Georgien und anderen osteuropäischen Ländern ist in Deutschland noch kein Phagenprodukt auf dem Markt. Wissenschaftler der Universität Münster forschen gemeinsam mit der Firma HyPharm GmbH an Phagen, die den Krankenhauskeim Staphylococcus aureus angreifen. Unter dem Dach der beiden Arbeitsgruppen Phage4Cure und PhagoFlow arbeiten namhafte deutsche Forschungsinstitute, so unter anderem die Charité, das Leibniz- und das Fraunhofer-Institut an der Entwicklung von Arzneimitteln auf der Basis von Bakteriophagen, deren Wirt Pseudomonas aeruginosa ist. Sie setzen vor allem auf die Züchtung spezifischer Phagen.
Ganz ohne Probleme und Nebenwirkungen ist die Therapie mit Phagen nicht, vor allem die Bakterientoxine, die bei der Zerstörung durch die Phagen frei werden, verursachen Fiebersymptome bis hin zum toxischen Schock. Temperente Phagen sind für die Therapie ungeeignet, denn sie können bei ihrer Vermehrung bakterielles Erbgut mitschleppen und damit Antibiotikaresistenzen verbreiten. Sowohl die Bakterien als auch der Mensch können eine Immunität gegen die Phagen aufbauen.
Auch die Molekularbiologie verwendet modifizierte Phagen zur Herstellung von Arzneistoffen. So beruht der monoklonale Antikörper Adalimumab (Humira®) auf der Verwendung eines speziell auf das Andocken am menschlichen Tumornekrosefaktor TNF-α gezüchteten Phagen.
Wo Bakterien sind, sind Phagen also nicht weit. Und deshalb ist es nicht verwunderlich, dass auch im menschlichen Körper Viren persistieren. Unsere Haut- und Darmflora besteht nicht nur aus Bakterien und Pilzen, sondern auch aus einer Gemeinschaft von Viren, die die der Mikroorganismen zahlenmäßig bei Weitem übertrifft. Am besten untersucht ist das intestinale Virom, wie die Wissenschaftler die Virengemeinschaft in Analogie zum (lebenden) Mikrobiom genannt haben. Viren, zu 90 Prozent Bakteriophagen, bilden Oberflächenstrukturen an der Darmschleimhaut und binden sich vor allem an deren Glykoproteine. Die Nähe der Kolonien zum Immunsystem des Darms ist nicht zufällig, tatsächlich spielen die Viren eine große Rolle für das Darm-Abwehrsystem.
An der Oberfläche der Darm-Mukosa halten sich hoch spezialisierte Phagen auf, die das Darmepithel vor pathogenen Bakterien schützen. Sie sind fest an der Oberfläche der Mukosa verhaftet und entgehen so der Ausscheidung mit dem Darminhalt. In den tieferen Schichten der Mukosa finden sich nur noch wenige Bakterien. Die Kontaktzone zum Darmepithel ist praktisch bakterienfrei. Forscher führen das auf die Aktivität der Bakteriophagen zurück, die sie auch noch in den tiefsten Schichten der Darmschleimhaut nachweisen konnten. Sie betrachten die Gemeinschaft der Phagen als separate, nicht körpereigene Immunbarriere.
Gleichzeitig geben die Phagen an nicht invasive, nützliche Bakterien Informationen weiter, die es ihnen erleichtern, ökologische Nischen im Darm zu besiedeln und pathogene Keime zu verdrängen. So speichern die Viren in ihrem Genom wichtige metabolische Funktionen, wenn die bakterielle Darmflora als Folge einer Antibiotikabehandlung stark dezimiert wird. Sie geben diese Informationen an die nachkommenden Bakteriengenerationen weiter und dienen damit gewissermaßen als genetische Datenbank. Sie können aber auch Antibiotikaresistenz-Gene auf Bakterien übertragen. So stellten Forscher fest, dass während der Dauer einer Antibiotikatherapie die Interaktionen zwischen Phagen und Bakterien besonders hoch sind. Sie konnten nachweisen, dass der Gentransfer durch Bakteriophagen das Entstehen von multiresistenten Keimen begünstigt.
Im Jahr 2008 fanden französische Virologen erstmals Viren, die für ihre Reproduktion den Syntheseapparat anderer, sogenannter Helfer- oder Mamaviren nutzten. In Anlehnung an den Begriff der Bakteriophagen bezeichneten sie sie als Virophagen. Den ersten entdeckten Virophagen nannten sie wegen seiner Winzigkeit im Vergleich zu seinem Mamavirus »Sputnik«. Das Mamavirus und der Virophage benötigen eine gemeinsame Wirtszelle, die sie gleichzeitig infizieren. Das Mamavirus veranlasst die Wirtszelle, Virenbestandteile zu produzieren und in den sogenannten Virenfabriken (virus factories) im Zellplasma zusammenzubauen. Der Virophage übernimmt die Kontrolle der Virenfabriken, sodass die Wirtszelle als Ergebnis dieser Koinfektion hauptsächlich Virophagen produziert. Dem Mamavirus hingegen gelingt es kaum noch, sich zu vermehren. Es zeigt sogar Anzeichen von Deformationen in seiner Hülle. Wäre es ein lebender Organismus, würde man sagen, er sei krank. Forscher diskutieren seit dieser Erkenntnis, ob Viren tatsächlich der unbelebten Natur zuzurechnen sind oder vielleicht doch eine Form von Leben darstellen.
Bei ihrer Reise durch verschiedene Mamaviren nehmen die Virophagen jedes Mal auch Teile von deren Erbgut mit. Genau so wie Bakteriophagen, die Transportmittel für bakterielle Gene sind, tragen Virophagen zu einer genetischen Entwicklung der Viren bei.