Ballaststoffe nicht unterschätzen |
Reichhaltiges Frühstück: Wer mit Porridge, Obst und Nüssen in den Tag startet, kann gleich ein dickes Plus auf dem Ballaststoffkonto verbuchen. / Foto: Getty Images/YelenaYemchuk
Ihre gleichermaßen unzutreffende wie unglückliche Namensgebung stammt noch aus einer Zeit, als man annahm, dass die im Dünndarm ansässigen Verdauungsenzyme Ballaststoffe nicht aufzuschließen vermögen und der menschliche Körper sie als unnötigen Ballast nach der Darmpassage ungenutzt wieder ausscheidet. So galt es in den 1960er-Jahren als fortschrittlich, Schalen und Keimlinge vom Getreidekorn zu entfernen, um helle Auszugsmehle zu gewinnen.
Schon bald darauf sorgte jedoch die sogenannte Ballaststoffhypothese des englischen Tropenmediziners Dennis P. Burkitt für Wirbel. Er postulierte, dass Zivilisationskrankheiten Folge einer unzureichenden Ballaststoffzufuhr seien. Er verglich dabei die Ernährungsgewohnheiten in Uganda, wo die Menschen viel Vollkorn, Gemüse und Obst aßen, mit denen der Industrienationen, wo viel Weißmehl und Zucker verzehrt wurden.
Über die Jahrzehnte wurde die Wirkungsweise der Ballaststoffe eingehender untersucht und dabei auch die tragende Rolle der Darmbakterien erkannt. Inzwischen löst die Bezeichnung »Nahrungsfasern« in Anlehnung an den angelsächsischen Begriff dietary fiber den negativ belegten Ausdruck »Ballaststoffe« auch im deutschen Sprachgebrauch zunehmend ab.
Mahlzeit | Lebensmittel | Ballaststoffgehalt (g) | Lebensmittel-Alternative | Ballaststoffgehalt (g) |
---|---|---|---|---|
Frühstück | 50 g Cornflakes150 g Apfel | 1,53,0 | 50 g Haferflocken75 g Heidelbeeren10 g Leinsamen | 5,03,83,5 |
Snack | 100 g Kohlrabi70 g Laugenstange | 1,51,3 | 100 g Avocado25 g Walnüsse | 6,31,5 |
Mittagessen | 200 g Zucchini80 g Nudeln (ungekocht) | 2,22,7 | 150 g Paprika80 g Vollkornnudeln (ungekocht) | 5,47,2 |
Snack | 75 g Croissant | 0,9 | 30 g Vollkornkekse | 3,0 |
Abendessen | 150 g Weizenmischbrot100 g Salatgurke | 6,9 0,5 | 150 gRoggenmischbrot100 g Feldsalat | 9,31,5 |
TV-Snack | 40 Kartoffelchips | 1,7 | 25 g Mandeln | 3,4 |
Summe | 22,2 | 49,9 |
Tierisches bringt null Ballaststoffe in unsere Kost ein. Die faserliefernden Pflanzenbestandteile gehören chemisch allesamt zu den Kohlenhydraten, einzige Ausnahme bildet Lignin. Grundsätzlich werden lösliche und unlösliche Ballaststoffe unterschieden. In Obst, Gemüse und Getreide finden sich dabei stets Gemische: Roggenkorn besteht zu 90 Prozent aus Hemicellulose und Cellulose, während Äpfel und Orangen neben anderen Fasern einen hohen Pektingehalt aufweisen. Insgesamt gelten Obst und Gemüse aber als eher ballaststoffarm, mit Ausnahme von Hülsenfrüchten und Schwarzwurzeln. Pilze liefern mehr, Nüsse und Vollkorn reichlich Fasern, Spitzenreiter sind Lein- oder Flohsamen. Abgepackte Lebensmittel dürfen übrigens ab 6 g/100 g mit einem hohen Ballaststoffgehalt werben.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt eine tägliche Ballaststoffzufuhr von 30 g. Das schafft ein Großteil der Bevölkerung jedoch nicht (Frauen 23 g / Männer 25 g). Ernährungsempfehlungen für die Behandlung und Prävention von Diabetes sehen sogar mehr als 40 g/Tag vor. Vielleicht spornt es manchen an, dass ballaststoffreiche Kost mit hoher Nährstoff- aber geringer Energiedichte daherkommt und wenig unerwünschte Inhaltsstoffe wie gesättigte Fettsäuren, Cholesterol, Zucker und Salz mit sich bringt.
Lösliche Ballaststoffe(in polaren Lösungsmitteln löslich) | Unlösliche Ballaststoffe | |
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Eigenschaften | quellen im Magen oder Dünndarm, werden im Dickdarm mikrobiell zersetzt, ihre Gelstruktur dadurch aufgelöst, Wasser rückresorbiert | quellen im Dickdarm durch hohes Wasserbindungsvermögen der Randschichten |
Beispiele und Vorkommen | Pektin (Früchte),β-Glucane (Hafer, Gerste),lösliche Hemicellulose (Hülsenfrüchte),Gelstoffe (Alginate, Agar-Agar),Pflanzengummis (Akazienfaser), Schleimstoffe (Flohsamen), resistente Stärke (Bananen, abgekühlte gekochte Kartoffeln) | Cellulose (Kleie, Pflanzenzellwände),Lignin (Kartoffeln, Getreide, holzige Pflanzenteile),unlösliche Hemicellulosen (Weizen, Roggen) |
Aufgabe der Darmbakterien im Dickdarm | weitgehende Fermentation zu kurzkettigen Fettsäuren (Butter-, Propion- Essigsäure) und Gasen (CO2, H2, CH4) | teilweiser fermentativer Abbau |
Auswirkung auf die Verdauung | Stuhlgewicht steigt durch unverdaute Ballaststoffe und Vermehrung der Darmbakterien | verkürzte Transitzeit, höheres Stuhlvolumen. Defäkationsreiz durch Dehnung der Darmwand |
Dass die Ballaststoffe hilfreich zur Vorbeugung und Behandlung von Verstopfung sind, ist vielen bekannt. Begleitet man die Unverdaulichen aber auf ihrem Weg durch den menschlichen Gastrointestinaltrakt, stellt man fest, dass sie aufgrund ihres Quellvermögens und des fermentativen Abbaus wesentlich mehr draufhaben, als den Stuhlgang zu regulieren.
Ihre Wirkung beginnt bereits im Mund, wo verstärktes Kauen die Kohlenhydratverdauung initiiert und der Zahngesundheit dienlich ist. Der Magen wird durch das voluminöse Material schnell und länger gefüllt, Heißhungerattacken werden durch vermehrte Ausschüttung von Sättigungshormonen ausgebremst. Es resultiert eine verzögerte Glucoseaufnahme aus dem Dünndarm mit langsamem und gleichmäßigem Blutzuckeranstieg und verminderter Insulinsekretion. Unlösliche Ballaststoffe aus Vollkorn sollen auch mit verbesserter Insulinsensitivität punkten. Die gelbildenden Nahrungsfasern schwächen die Fettresorption im Dünndarm ab und haben weniger Kalorien im Gepäck - so kann Übergewicht vorgebeugt werden.
Auf der Weiterreise binden die unverdaulichen Begleiter Gallensäuren, die mit dem Stuhl ausgeschieden und dadurch dem enterohepatischen Kreislauf entzogen werden. Ein kluger Schachzug, da nun Cholesterol verstärkt zur Gallensäurebildung in der Leber herangezogen werden muss. Auch Cholesterol selbst wird durch die Nahrungsfasern gebunden. Beides führt dazu, dass im Serum Gesamtcholesterol und LDL sinken.
Auf Haferkleie- und Gerstenprodukten mit definierter ß-Glucankonzentration ist seit einigen Jahren laut europäischer Health-Claims- Verordnung folgende gesundheitsbezogene Angabe zulässig: »ß-Glucan reduziert nachweislich den Cholesteringehalt im Blut«. Verschiedene Untersuchungen untermauern, dass eine ballaststoffreiche Ernährung mit einem niedrigeren Risiko für Hypertonie, Arteriosklerose und koronare Herzkrankheiten korreliert. Je 7 g Ballaststoffe mehr pro Tag sollen kardiovaskuläre Risiken um 12 Prozent senken.
Vermutlich wird auch das Darmkrebsrisiko durch Bindung von Gallensäuren herabgesetzt, die entbehren Darmbakterien dann bei der Bildung kanzerogener Desoxycholsäure. Im letzten Abschnitt des Dünndarms, dem Ileum, wird stärker gequollener Nahrungsbrei, wie er aus faserreicher Kost resultiert, schneller weiterbewegt. Gut, denn das verkürzt die Kontaktzeit der Darmwand mit kanzerogenen oder toxischen Stoffen.
Ballaststoffgehalt | g/100 g |
---|---|
Apfel | 2 |
Heidelbeere | 4,9 |
Möhren | 3,5 |
Schwarzwurzel | 17 |
Walnüsse | 6 |
Mandeln | 13,5 |
Vollkornbrot | 10 |
Leinsamen | 35 |
Flohsamen | 70 |
Nach dem Motto »Das Beste zum Schluss« haben die Unverdaulichen ihren größten Auftritt im Dickdarm, wo sie die Darmbakterien ernähren. Im Gegensatz zum menschlichen Organismus vermögen die nämlich, die Fasern aufzuschließen. Lösliche Ballaststoffe und Präbiotika wie Inulin oder Oligofructose aus Chicorée, Schwarzwurzel, Zwiebel und Artischocke haben jetzt ihren Einsatz. Darauf stürzen sich vor allem die nützlichen Bakterienstämme wie Bifidobakterien oder Faecalibacterium prausnitzii regelrecht. Da der Darm unser größtes Immunorgan ist, profitiert unsere Abwehr von der dadurch verbesserten Bakterienflora.
Zu wenig Ballaststoffe sind also sogar eine Belastung für unseren Darm, denn unsere Untermieter holen sich dann aus der Dickdarmschleimhaut, was sie zum Leben brauchen; die wird dadurch dünner und anfälliger für Erreger. Im ganzen Körper können Entzündungen und Infekte resultieren. Die eifrigen Mitbewohner fermentieren ihr Futter zu kurzkettigen Fettsäuren wie Butter- oder Propionsäure, die unserem Gesamtorganismus viel Gutes zu bieten haben: Vor Ort wird der pH-Wert gesenkt, was das Wachstum unerwünschter Bakterien im Dickdarm unterdrückt.
Buttersäure ernährt die Zellen der Darmschleimhaut und unterstützt die Barrierefunktion zwischen Darm und Blut, wirkt also dem durchlässigen Darm entgegen. Auch eine Schutzwirkung vor Dickdarmkarzinomen gilt als wahrscheinlich. Propionsäure erhöht die Insulinsensitivität, senkt den LDL-Cholesterolspiegel und schützt vor Bluthochdruck. Unlöslich, aber keinesfalls unwichtig, bindet diese Ballaststofffraktion im Dickdarm den bei der Verdauung von Fleisch und anderen eiweißhaltigen Lebensmitteln entstehenden Ammoniak. Somit entlasten sie Nieren und Leber, die Entgiftungszentralen des Körpers. Schließlich sorgt die faserreiche Füllung für ein höheres Stuhlvolumen und eine beschleunigte Transitzeit des Stuhls. So wird Obstipation verhindert, Hämorrhoiden und Divertikulose vorgebeugt.
Um nach deren Einchecken in den menschlichen Verdauungstrakt bestmöglich von unseren faserreichen Reisebegleitern zu profitieren, sollten wir Folgendes beachten beziehungsweise im Kundengespräch empfehlen:
Wichtig: Mögliche Wechselwirkungen mit Medikamenten sollten nie ein Grund sein, von einer ballaststoffreichen Ernährung abzuraten. Die vielfältigen Pluspunkte für Darmgesundheit und Krankheitsprävention überwiegen und stehen in allen Altersgruppen immer im Fokus.