Behutsam mit dem Objekt der Angst konfrontieren |
Konfrontation lindert die Angst: Menschen mit einer Spinnenphobie lernen im Rahmen einer kognitiven Verhaltenstherapie, mit Spinnen und der Furcht vor ihnen umzugehen. / © Adobe Stock/Leah
Es seien uralte entwicklungsgeschichtliche Muster, die der Spinnenangst – altgriechisch Arachnophobie – zugrunde liegen, erklärt Professor Dr. Katharina Domschke, Ärztliche Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg. »Unsere Urahnen hatten tatsächlich mit giftigen und auch lebensbedrohlichen Spinnen zu tun. Angst als unser körpereigenes Alarmsystem hat vor diesen Spinnen gewarnt, zur Vorsicht beziehungsweise zur Flucht geraten und damit das Überleben gesichert.«
Entsprechend hätten spinnenängstliche Urahnen eher überlebt und ihren Gen- und Erfahrungspool »sozusagen mit dem Fingerabdruck der giftigen Spinne im Gefahr-Gedächtnis« an die Nachkommen weitergegeben, erläutert Domschke im Gespräch mit PTA-Forum. Deshalb können Spinnen auch heute noch, selbst wenn es sich um völlig harmlose Hausspinnen oder Weberknechte handelt, Angst auslösen. »Dazu kommt, dass wir Ängste auch durch Imitation lernen«, erläutert die Psychiaterin, die gerade das »Alphabet der Angst«, ein Buch über 200 verschiedene Aspekte von Angst (siehe Kasten), veröffentlicht hat. »Wenn sich also ein Elternteil vor dem Kind einer Spinne gegenüber als sehr schreckhaft zeigt, wird das Kind wahrscheinlich auch Angst vor Spinnen entwickeln.«
Von einer Phobie sprechen Fachleute, wenn die empfundene Angst vor einem bestimmten Objekt – in diesem Fall vor Spinnen – deutlich über das Ausmaß der tatsächlichen Bedrohung hinausgeht, also völlig unverhältnismäßig ist. Betroffene vermeiden aktiv Situationen, die sie in Kontakt mit Spinnen bringen könnten, oder ertragen solche Situationen nur unter starker Furcht. Ein solches Angst- und Vermeidungsverhalten kann den sozialen und beruflichen Alltag mitunter stark beeinträchtigen. »Stellen Sie sich eine Patientin vor, die in einem Haus am Waldrand lebt und wegen einer Spinnenphobie nicht lüften kann«, nennt Domschke ein Beispiel.
Die Spinnenphobie ist eine sogenannte spezifische Phobie. Das heißt, die anhaltende, intensive und irrationale Angst bezieht sich auf bestimmte Situationen, Umstände, Gegenstände oder eben Lebewesen. Häufig kommt zu dieser Angst noch Ekel vor dem Tier hinzu. Mit einer Prävalenz von 5 Prozent gehört die Spinnenphobie zu den häufigsten Phobien in Deutschland. Insgesamt registrierte das Robert-Koch-Institut (RKI) im Jahr 2023 bei 13,1 Prozent der Erwachsenen eine auffällige Belastung durch Angstsymptome. Mit 15 Prozent waren Frauen häufiger betroffen als Männer (11 Prozent).
Insgesamt gehört die Spinnenphobie zu den weniger schwerwiegenden Phobien. Zum einen liegt das daran, dass es für die meisten Leute relativ einfach ist, Spinnen im Alltag aus dem Weg zu gehen, und dass ein gewisser Ekel vor Spinnen durchaus verbreitet ist, sodass eine Phobie nicht so schnell auffällt. Zum anderen sei die Spinnenphobie relativ einfach zu behandeln, betont Domschke.
Bei einer Arachnophobie empfehlen Fachleute einhellig eine sogenannte Expositionstherapie, bei der Betroffene mit den gefürchteten Tieren konfrontiert werden. Denn es geht – anders als viele meinen – ja nicht um rationale Argumente, sondern um tiefliegende Muster und irrationale Trigger, die das Verhalten steuern.
Eine solche Konfrontation erfolge langsam und schrittweise, erklärt Domschke. »Dabei beginnt man zunächst mit dem Ansehen von Fotos oder Filmen von Spinnen, dann betrachtet man echte Spinnen aus sicherer Entfernung, nähert sich ihnen immer mehr, bis man sie schließlich auf die Hand nimmt.« Erfahrungsgemäß nehme die entstehende maximale Intensität der Angst von Sitzung zu Sitzung ab, bis sie letztendlich gar nicht mehr auftrete.
Auf diese Weise gewöhnten sich Betroffene im Sinne einer sogenannten Habituation an die angstauslösende Situation beziehungsweise sie lernten, dass der Kontakt mit dem gefürchteten Objekt nicht gefährlich ist. So komme es zur »Löschung« der Furcht durch ein Überschreiben der Furchtgedächtnisspur, zur sogenannten Extinktion. Die Therapie sei sehr erfolgreich, berichtet Domschke: »Zumeist reichen bereits wenige Stunden, um die Angst der Patientinnen und Patienten zu besiegen.« Bei spezifischen Angststörungen ist die kognitive Verhaltenstherapie im Übrigen auch eine Kassenleistung.
Ergänzend können Entspannungs- und Stressreduzierungstechniken wie die Progressive Muskelrelaxation (PMR) zum Einsatz kommen, allerdings sind sie nicht der entscheidende Faktor. Dasselbe gilt für Bewegung, wie die Deutsche Angst-Hilfe betont. So rege Sport die Produktion von Neurotransmittern und Hormonen an, die die Stimmung heben, beispielsweise von Dopamin und Serotonin: »Belohnungshormone und Neuropeptide, deren Ausschüttung im Kontext einer Angsterkrankung in der Regel gehemmt ist. Unter anderem dadurch wirkt Sport stressreduzierend, entzündungshemmend und hat zudem positive Effekte auf unseren Schlaf«, erläutert Expertin Domschke.
Dass mehr Frauen Angst vor Spinnen haben als Männer, könnte daran liegen, dass sich Jungen angesichts gesellschaftlicher Rollenklischees schon als kleine Kinder schwerer tun, den Kontakt zu Spinnen zu vermeiden, als Mädchen. Eine frühe, eher spielerische Konfrontation könnte dazu beitragen, dass Phobien gar nicht erst entstehen. Untersuchungen mit Unterrichtsmodellen in Grundschulen, die sich gezielt und positiv mit Spinnen auseinandersetzen, stützen solche Überlegungen. Angst und Ekel könnten so sogar in Interesse und Sympathie umschlagen. Wer seine Kinder vor einer Spinnenphobie bewahren möchte, kann mit ihnen die Achtbeiner demnach in Bilderbüchern, Filmen oder auf Fotos betrachten oder idealerweise auf die Pirsch gehen, um sie in freier Natur aus der Nähe zu beobachten.
Während die Behandlungsrichtlinien bei zahlreichen anderen Angsterkrankungen neben der Kognitiven Verhaltenstherapie auch Medikamente – in erster Linie Antidepressiva wie selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) oder Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) – vorsehen, sei das bei der Spinnenangst nicht der Fall, betont Domschke.