Bei Blinddarmentzündung operieren oder abwarten? |
Eine akute Blinddarmentzündung erzeugt eine Abwehrspannung auf Druck. / Foto: Getty Images/B. Boissonnet
Warum hierzulande hartnäckig von »Blinddarmentzündung« gesprochen wird, ist nicht erklärbar. Denn schon in der Schule lernen Kinder, dass die Bezeichnung falsch ist und es sich um eine Entzündung des sogenannten Wurmfortsatzes handelt. Der Blinddarm ist ein »blindes Stück« des Dickdarms, meist im rechten Unterbauch, unweit der Stelle, an der der Dünndarm in den Dickdarm übergeht. Am Blinddarm befindet sich ein etwa acht Zentimeter langes, wurmförmiges Anhängsel. Den Wurmfortsatz bezeichnen Ärzte als Appendix. Entzündet er sich und verursacht er starke Schmerzen, sprechen sie von einer Appendizitis – und bei Laien eben von Blinddarmentzündung. Am häufigsten betroffen sind Kinder und junge Erwachse zwischen vier und 25 Jahren. Kinder unter zwei Jahren leiden nur sehr selten an einer Blinddarmentzündung. Da der Begriff so gebräuchlich ist, wird er in diesem Beitrag verwendet.
Die Ursache für eine Blinddarmentzündung lässt sich häufig nicht ausmachen. In dem »blinden Ende« des Wurmfortsatzes können sich Fremdkörper wie Kirschkerne, Speisereste oder Kotsteine absetzen und eine Entzündung hervorrufen. Der Wurmfortsatz kann auch abknicken oder Bakterien besiedeln ihn, die von einem anderen Infekt im Körper über das Blut in den Wurmfortsatz gelangen. In seltenen Fällen ist es ein Tumor, der die Entzündung hervorruft.
Meist tritt eine Blinddarmentzündung plötzlich auf. Die Symptomatik zeigt sich in (starken) Bauchschmerzen, Appetitlosigkeit, Erbrechen und Durchfall. Die oft krampfartigen Schmerzen ziehen sich in der Regel vom Nabel in Richtung rechter Unterbauch. Manchmal tritt der Schmerz zuerst im oberen Bauch auf und wandert dann nach einigen Stunden in den rechten Unterbauch. Gehen oder Hüpfen auf dem rechten Bein verstärkt die Schmerzen. Die Bauchdecke ist angespannt und extrem druckempfindlich. Zusätzlich kann leichtes Fieber auftreten, allerdings ist das nicht immer der Fall.
Das Geschehen verläuft unterschiedlich. Bei manchen Betroffenen steigern sich die Beschwerden innerhalb weniger Stunden so stark, dass kein Zweifel daran besteht, dass der Patient ins Krankenhaus muss. Manchmal kommen und gehen die Schmerzen zu Beginn und verstärken sich erst nach einigen Tagen. Eine Ultraschalluntersuchung, erhöhte Leukozytenwerte und weitere Entzündungsparameter im Blut können den Verdacht auf eine Blinddarmentzündung erhärten. Doch die Diagnose bleibt schwierig. Selbst erfahrene Kinder- und Jugendärzte und Chirurgen sind sich oft nicht sicher.
Letzte Gewissheit bringt nur die Operation. Manchmal stellt sich dann heraus, dass der Wurmfortsatz gar nicht entzündet ist und die Schmerzen offenbar eine andere Ursache haben
Nicht selten zeigt erst die Operation, ob der Blinddarm die Symptome verursacht hat. / Foto: Fotolia/Gpoint Studio
Mit einer Blinddarmentzündung ist nicht zu spaßen. Wird sie nicht rechtzeitig behandelt, kann der Blinddarm »durchbrechen«, das heißt die entzündete Darmwand reißt und Stuhl, Eiter sowie infektiöse Bakterien gelangen in den Bauchraum. Dies kann eine lebensgefährliche Bauchfellentzündung (Peritonitis) hervorrufen. Manchmal führt sie bei Mädchen und jungen Frauen zu Unfruchtbarkeit. Bei einer akuten Blinddarmentzündung mit ausgeprägter Symptomatik muss daher immer so schnell wie möglich operiert werden, um den drohenden Durchbruch zu verhindern. Der Verband der Kinder- und Jugendärzte empfiehlt, ein Kind, das länger als drei Stunden unter unklaren Bauchschmerzen leidet, immer zu einem Kinder- und Jugendarzt oder sofort ins Krankenhaus zu bringen.
Bei leichteren oder unklaren Fällen warten die Ärzte häufig erst einmal ab und verordnen dem Patienten Bettruhe. In dieser Phase ist eine genaue Beobachtung des Patienten mit wiederholten Blutentnahmen erforderlich, um sofort erkennen zu können, wann sich das Geschehen verschlechtert.
Als Alternative zur Operation bei einer unkomplizierten akuten Blinddarmentzündung verordnen Ärzte mitunter auch ein Antibiotikum und Bettruhe. Nicht selten verschwindet die Entzündung dann wieder. In einer finnischen Studie aus dem Jahr 2018 waren 257 erwachsene Patienten mit akuter Blinddarmentzündung statt Operation mit einem Antibiotikum behandelt worden. Die Beschwerden besserten sich, und die Patienten konnten aus dem Krankenhaus entlassen werden. Allerdings entwickelten 39 Prozent von ihnen innerhalb von fünf Jahren erneut eine Blinddarmentzündung. Bei Kindern scheint die Antibiotika-Gabe auf Dauer weniger erfolgreich zu sein als bei Erwachsenen, so dass sich Eltern früher oder später meist doch für eine Operation entscheiden. Bei wiederkehrenden leichten Blinddarmentzündungen wird der Arzt möglicherweise raten, den Blinddarm »geplant« in einem entzündungsfreien Intervall zu entfernen, um einem möglichen Notfall zuvor zu kommen.
Eine rechtzeitig vorgenommene Blinddarmoperation ist ein Routineeingriff mit einer sehr geringen Komplikationsrate. Im Normalfall dauert der Eingriff nicht länger als ein paar Minuten. Um Sicherheit über die Ursache der Entzündung zu erhalten, wird der entfernte Wurmfortsatz nach dem Eingriff immer histologisch untersucht. Grundsätzlich werden zwei chirurgische Vorgehensweisen unterschieden: die klassische Operation und ein minimal-invasiver Eingriff per Endoskop; beides geschieht unter Vollnarkose. Die Entscheidung hängt von zahlreichen Faktoren wie Gewicht, Alter und Allgemeinzustand des Patienten ab.
Beim erstgenannten Verfahren, der sogenannten offenen Blinddarmoperation, setzt der Chirurg einen sechs Zentimeter langen, horizontalen Schnitt auf der rechten Seite unterhalb des Nabels. Diese Methode wird vor allem gewählt, wenn eine weitreichende Entzündung vorliegt. Der Chirurg klemmt zuführende Blutgefäße am Wurmfortsatz ab und entfernt diesen. Der verbleibende Stumpf wird mit einer speziellen Naht vernäht. Danach schließt der Operateur die Bauchdecke schichtweise und näht oder klammert als letztes die Hautwunde.
Der Vorteil der minimal-invasiven Operation ist es, dass der Patient das Krankenhaus schneller verlassen kann als nach einer herkömmlichen Operation, nämlich in der Regel bereits am dritten statt am fünften Tag. Allerdings dauert der minimal-invasive Eingriff etwas länger.
Vor einigen Jahren sorgte eine Auswertung von Daten des Statistischen Bundesamtes zu Blinddarmoperationen bei Kindern und Jugendlichen für Aufregung. Was die Gemüter erhitzte, war nicht die Tatsache, dass in 2014 bundesweit mehr als 18.000 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren am Blinddarm operiert worden waren, sondern die regionalen Unterschiede. Diese von der Techniker Krankenkasse (TK) durchgeführte Auswertung zeigte: Während in Bremen 95 Blinddarmoperationen auf 100.000 Heranwachsende kamen, waren es in Nordrhein-Westfalen 183 und in Bayern 208. Diese Unterschiede seien medizinisch kaum zu erklären, so die TK. Sie folgerte, dass offenbar überflüssige Blinddarmoperationen durchgeführt würden. Die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie beurteilte diese Schlussfolgerung als unzulässig und wies auf methodische Fehler der Studie hin. Letztlich blieb Aussage gegen Aussage stehen und hinterließ bei manchem Laien ein ungutes Gefühl.