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Nebenwirkungen

Bei diesen Medikamenten das Blutbild überwachen

Unerwünschte Nebenwirkungen gehören zu Arzneistoffen wie Schatten zum Licht. Doch nicht immer spürt der Patient etwas davon. Um rechtzeitig reagieren zu können, kontrollieren Ärzte regelmäßig Blutwerte, wenn sie beispielsweise Carbamazepin, Methotrexat oder Diuretika verordnen.
Anna Carolina Antropov
04.05.2023  08:30 Uhr

Bei Blutbildveränderungen denken die meisten zunächst an die gefürchtete Agranulozytose unter Novaminsulfon/Metamizol. Doch eine Reihe von Arzneistoffen erfordert eine regelmäßige Kontrolle des Blutbildes. Sie können über verschiedene Mechanismen Leber, Niere, Elektrolythaushalt oder die Blutbildung beeinflussen. Bei einigen Arzneistoffen treten Veränderungen rasch auf, sodass Ärzte insbesondere bei Neuverordnung engmaschige Kontrollen anordnen. Bei anderen Medikamenten genügt hingegen eine Blutabnahme im Quartal oder halbjährlich – ganz wegfallen darf diese aber nicht. Tatsächlich tritt die Agranulozytose nur sehr selten auf, endet aber dann häufig tödlich. Der Begriff ist definiert als ein schwerer Mangel an neutrophilen Granulozyten (=schwere Neutropenie). Da die Unterart der weißen Blutkörperchen für die Infektabwehr zuständig ist, steigt das Infektionsrisiko umso höher, je tiefer die Werte fallen. Zu den Medikamenten, die eine Medikamenten-induzierte Neutropenie auslösen können, gehören beispielsweise die Antikonvulsiva Carbamazepin und Phenytoin, die Thyreostatika Carbimazol, Propylthiouracil, Thiamazol sowie Novaminsulfon und das Psychopharmakon Clozapin.

Ursächlich gibt es zwei verschiedene Mechanismen: Einige Wirkstoffe schädigen dosisabhängig die Knochenmarkvorläuferzellen, wie etwa Phenothiazin oder Thiamazol. Die toxische Schädigung ist üblicherweise ein schleichender Prozess und tritt erst nach mehreren Wochen auf. Eine Agranulozytose kann jedoch auch immunologisch und damit dosisunabhängig vermittelt sein, wie etwa bei Novaminsulfon. Der Beginn ist plötzlich. Beide Formen haben gemeinsam, dass sich die Blutbildung nach dem Absetzen innerhalb von ein bis zwei Wochen erholt. Bis dahin drohen allerdings Sepsis und Tod. Ärzte versuchen, die oft schwerwiegenden bakteriellen Infektionen durch Breitbandantibiotika in den Griff zu bekommen. Therapeutisch kommt auch die Gabe von Granulozytenkolonien-stimulierendem Faktor in Frage.

Ein vergleichsweise hohes Risiko für eine Agranulozytose weist übrigens Clozapin auf. Die kumulative Inzidenz wurde in einem Beobachtungszeitraum zwischen 1989 und 2001 mit 0,78 Prozent ermittelt. Da hierbei etwa 70 Prozent der Fälle in den ersten 18 Wochen auftraten, erfordert Clozapin anfangs wöchentliche Kontrollen, später genügt ein Intervall von vier Wochen. Die Anwendung wurde zudem auf therapieresistente Schizophrenie und Psychosen beschränkt. Rechtzeitig erkannt, ist sie vollständig reversibel. Doch glücklicherweise ist und bleibt eine Agranulozytose selten.

Öfter leicht verändert

Häufig bis sehr häufig führt hingegen Carbamazepin zu milden Blutbildveränderungen, bei denen zu wenige Leukozyten auffallen. Meist ist diese Veränderung gutartig, nur vorübergehend und tritt innerhalb der ersten vier Monate auf. Eine solche benigne transiente Leukopenie kann bei allen Neuroleptika vorkommen. Im Fall von Carbamazepin werden konkret zwar anfangs sehr engmaschige Kontrollen von Blutbild, Leber- und Nierenwert empfohlen. Panik ist aber nicht erforderlich, wenn der Leukozytenwert mal ein bisschen unter der Norm liegt. Auch eine verminderte Zahl der Thrombozyten ist möglich. Zusätzlich steigen häufig  Leberwerte und gelegentlich vergrößert sich sogar die Leber. Bei Anzeichen einer Leberschädigung wie Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Gelbfärbung der Haut, sollten Patienten daher sofort ihren Arzt aufsuchen.

Ein anderes Beispiel: Der Folsäureantagonist Methotrexat (MTX) wirkt hoch dosiert als Zytostatikum. In der Therapie der rheumatoiden Arthritis kommt er zwar nur niedri gdosiert einmal wöchentlich zum Einsatz. Bei Überdosierung oder als Nebenwirkung kann MTX aber ebenfalls die Hämatopoese unterdrücken. Im Blutbild erkennt der Arzt dies an einer Anämie, einer verminderten Anzahl von Leukozyten und/oder Thrombozyten. Bei Neuverordnung oder Dosiserhöhung werden daher ebenfalls häufigere Kontrollen von Differentialblutbild, Leber- und Nierenwerten und Albumin empfohlen. Letzteres ist ein Eiweiß, das in der Leber hergestellt wird. Fällt das Albumin ab oder sind die Leberwerte wiederholt erhöht, könnte dies auf Lebertoxizität hinweisen. Dann wird der Arzt eine Dosisreduktion oder Absetzen von MTX abwägen. Nach stabiler Einstellung und Anwendung über einem halben Jahr genügt üblicherweise eine Kontrolle im Quartal.

Auch bei Fluoxetin und vielen weiteren Wirkstoffen ist selten eine Verminderung der Leukozyten und Thrombozyten möglich. Offiziell fordert die Fachinformation keine Kontrolle. Üblicherweise veranlassen Ärzte aber bei allen Patienten, die regelmäßig Arzneistoffe einnehmen, von Zeit zu Zeit ein Blutbild.

Leber und Niere in Gefahr

Immer wieder berichten Rote-Hand-Briefe über durch Medikamente induzierte Leberschäden und mahnen zu einer Kontrolle der Leberwerte. So auch im Fall des Schmerzmittels Flupirtin (Katadolon®). Im Jahr 2013 wurde die orale Anwendung deshalb auf eine Therapiedauer von zwei Wochen begrenzt, als weitere risikominimierende Maßnahme forderten die Behörden eine wöchentliche Kontrolle der Leberwerte. Da diese Anforderungen in der Praxis offensichtlich nur unzureichend umgesetzt wurden, verlor der Wirkstoff 2018 die Zulassung und wurde vom Markt genommen.

Doch auch die Nieren sind in Gefahr. Prinzipiell fast jedes Arzneimittel kann ihnen zum Verhängnis werden, und etwa 30 Prozent der Fälle von akutem Nierenversagen gehen auf das Konto von Medikamenten. Die wichtigsten Nierenwerte sind Kreatinin sowie Harnstoff und Harnsäure. Nierenwerte finden also aus zwei Gründen Beachtung: Einerseits erfordert eine nachlassende Nierenfunktion häufig eine Dosisanpassung. Andererseits wirken zahlreiche Arzneistoffe potenziell nierentoxisch. Verschlechtert sich die Nierenfunktion akut, könnte eine akute interstitielle Nephritis dahinter liegen.

Als häufigste Auslöser werden insbesondere Antibiotika wie Betalaktame, Rifampicin, Sulfonamide und Fluorchinolone genannt. Meist ist die Ursache immunologischer Natur und die Nephritis tritt rund eine Woche nach der ersten Einnahme auf. Seltener stecken Protononenpumpenhemmer oder nicht steroidale Antirheumatika dahinter. Letztere erhöhen aber insbesondere dann das Risiko für akutes Nierenversagen, wenn Patienten ohnehin ein Diuretikum und zusätzlich einen ACE-Hemmer oder ein Sartan einnehmen. Dann könnte der glomeruläre Perfusionsdruck so sehr abfallen, dass ein akutes Nierenversagen droht.

Auch die intravenöse Anwendung von Zoledronsäure in der Behandlung von Osteoporose kann schon bei einmaliger Anwendung zu Nierenfunktionsstörungen führen. Ein erhöhtes Risiko besteht laut einem Rote-Hand-Brief besonders für ältere Patienten, bei Einnahme von NSAR oder Diuretika sowie beispielsweise bei begleitender kardiovaskulärer oder metabolischer Erkrankung. Bei ihnen sollte der Arzt eine Kontrolle der Nierenwerte erwägen. Unabhängig davon müssen alle Patienten auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten.

An Elektrolyte denken

Diuretika werden typischerweise bei Herzinsuffizienz, Hypertonie sowie Niereninsuffizienz eingesetzt. Wirkstoffe wie Thiazide und Schleifendiuretika fördern aber nicht nur die Ausscheidung von Wasser, sondern auch von Kalium und Natrium. Schleifendiuretika (Furosemid, Torasemid) sind die am stärksten wirksamen Diuretika und schwemmen zusätzlich Calcium und Magnesium aus.

Im Gegensatz hierzu reduzieren Thiazide (Hydrochlorothiazid, Xipamid) die Calciumausscheidung und wirken zusätzlich direkt an den Blutgefäßen, weshalb sie bevorzugt bei Hypertonie eingesetzt werden. Gängig sind auch die Kalium-sparenden Diuretika Triamteren und Amilorid. Sie werden in Kombination mit Hydrochlorothiazid eingesetzt und gleichen die durch Diuretika induzierten Kaliumverluste in der Regel besser aus als eine Kaliumgabe. Trotzdem bergen sie die Gefahr einer Hyperkaliämie, besonders bei älteren Patienten und in Kombination mit ACE-Hemmern, Sartanen sowie NSAR. Ohne regelmäßige Kontrolle von Wasser- und Elektrolythaushalt geht es nicht.

Das gilt jedoch nicht nur für Diuretika – und keinesfalls nur für Kalium. Auch Natrium darf nicht vernachlässigt werden, ist eine Hyponatriämie doch die häufigste Elektrolytstörung bei hospitalisierten Patienten. Während bei Wadenkrämpfen alle gerne an einen Magnesiummangel denken, sind Symptome eines Natriummangels sehr unspezifisch. Sie reichen von Muskelschwäche über Kopfschmerzen, Unwohlsein, Übelkeit bis hin zu Verwirrtheit, Bradykardie und sogar Koma. Dabei liegt jedoch in der Regel kein Salzmangel, sondern ein Problem des Flüssigkeitshaushaltes zu Grunde und auch Arzneistoffe leisten ihren Beitrag.

Neben Antidepressiva tritt ein Natriummangel auch unter Hydrochlorothiazid sowie Carbamazepin auf. Bei

Citalopram entwickelt sich laut Fachinformation zwar nur selten zu einer Hyponatriämie, allerdings sind insbesondere ältere Patienten gefährdet. Das Tückische: Schon ein milder chronischer Natriummangel verursacht Gangstörungen und erhöht das Risiko für Stürze bis hin zu Knochenbrüchen, die nicht selten zu einem Krankenhausaufenthalt führen. Kurzum: Rechtzeitig entdeckt, sind viele Veränderungen reversibel und zu korrigieren. Patienten sollten Blutkontrollen nicht als unnötige Schikane verstehen, sondern als Beitrag zur positiven Nutzen-Risiko-Abwägung.

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