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Corona-Infektionsrisiko

Beratung wider die Konfusion 

Eigentlich eine Binsenweisheit: Prävention ist besser als jede Therapie. Umso bitterer sei die »gestiegene Skepsis gegenüber Impfungen seit der Pandemie«, bedauerte Professor Dr. Theo Dingermann bei der Expopharm in Düsseldorf. Inadäquates Verhalten fördere das Infektionsgeschehen.
Elke Wolf
30.09.2023  11:00 Uhr

»Infektionskrankheiten wie Influenza oder Covid-19 sind ‚moving targets‘, und frühere Erfolge in Therapie und Prävention sind gefährdet, wenn wir nicht adäquat reagieren«, sagte Professor Dr. Theo Dingermann, Senior Editor der Pharmazeutischen Zeitung, bei einem Vortrag in der Pharma-World bei der pharmazeutischen Fachmesse Expopharm in Düsseldorf. Vor allem vor dem Hintergrund nachlassender Wirksamkeit von Antibiotika aufgrund zunehmender Resistenzen sei es essenziell, die Infektionsrate durch Hygiene und Schutzimpfungen möglichst niedrig zu halten. »Erreger können sich immer dann deutlich mehr als eigentlich notwendig vermehren, wenn zu wenig dagegen getan wird. Nur in sich teilenden Erregern treten neue Mutationen auf, die Resistenzen und schwere Krankheitsverläufe verursachen«, machte Dingermann deutlich. Insofern sei die gestiegene Impfskepsis sehr bedauerlich.

Wie schätzt der Experte das allgemeine Infektionsrisiko bezüglich Covid-19 für die anstehende Herbst-/Winter-Saison ein; Impfungen ja oder nein? »Senioren und Risikopersonen sollten sich erneut impfen lassen, so wie es die Ständige Impfkommission auch empfiehlt. Allen anderen würde ich eine Impfung nicht ausreden, wenn sie länger keinen Kontakt mit dem Coronavirus hatten. Ich würde sie aber auch nicht dazu überreden wollen. Vom Prinzip ‚flatten the curve‘ wie in Pandemiezeiten ist man jedenfalls weg.« Dingermann, selbst 75 Jahre alt, hat sich für die Simultanimpfung – Impfung gegen Grippe und Covid-19 am selben Tag in unterschiedliche Arme – ausgesprochen. Er selbst wolle sich Ende Oktober impfen lassen, um dann bis Ende Februar gut durch den Winter zu kommen. Der Impfschutz halte gut vier Monate an, werde dann aber schwächer.

Was die derzeitige Lage bezüglich des Covid-19-Geschehens betrifft, steigen die Infektionszahlen kontinuierlich an. Zurzeit haben die beiden Varianten EG.5 (Eris) und XBB.1.16 (Arkturus) mit jeweils 23 Prozent den größten Anteil an den SARS-CoV-2-Nachweisen. Die Variante XBB.1.5, an die die für diesen Herbst vorgesehenen Impfstoffe angepasst sind, wurde demnach zurückgedrängt. »Allerdings schützt eine Impfung mit einem dieser Impfstoffe voraussichtlich auch vor EG.5 und XBB.1.16«, informierte der Pharmazeut.

Für etwas Unbehagen sorgte in den vergangenen Wochen die Pirola-Variante BA.2.86, weil sie sich durch mehr als 30 Mutationen im Spike-Protein von XBB.1.5 unterscheidet. Nachdem sie bereits in verschiedenen anderen Ländern in Europa und weltweit aufgetaucht ist, wurde die Variante laut Robert-Koch-Institut nun erstmals auch in Deutschland nachgewiesen. Noch ist unklar, wie gut eine durch Impfung oder Infektion erworbene Immunität vor BA.2.86-Infektionen schützt. »Erste Daten des Impfstoffherstellers Moderna zufolge scheinen die an XBB.1.5 angepassten Impfstoffe auch vor BA.2.86 zu schützen«, stellte Dingermann in Aussicht.

Beratung wider die Konfusion

Für die Beratungsgespräche zu den Covid-19-Impfstoffen sei es wichtig zu wissen, dass die mRNA-Impfstoffe seit Oktober 2022 eine reguläre Marktzulassung in der EU, also eine Standardzulassung, besitzen; zuvor waren sie nur »bedingt zugelassen«. »Das gilt für alle zugelassenen Präparate, also auch für die, die sich in der Entwicklung für angepasste Varianten befinden. Einmal zugelassen, immer zugelassen«, so Dingermann. Inzwischen seien die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna in einer dritten Anpassung an Varianten, aktuell gegen XXB.1.5, auf den Markt gekommen.

»Was die Comirnaty-Produkte betrifft, gibt es sie in vier verschiedenen Ausführungen für die Impfung von Erwachsenen und Kindern ab zwölf Jahren beziehungsweise von Kindern zwischen fünf und elf Jahren«, fasste der Experte zusammen. Davon seien zwei nicht mehr zu verdünnende Injektionsdispersionen und zwei Konzentrate, die noch verdünnt werden müssen. Die unterschiedliche Farbe der Kappen sei zwar prinzipiell ein Unterscheidungsmerkmal, aber das Konzept sei nicht stringent eingehalten worden. »Ich setze auf die Kompetenz der Apothekerinnen und Apotheker, weil die Konfusion hierzu in den Arztpraxen vermutlich groß sein wird«, sagte Dingermann. Neuigkeiten gibt es auch vom angepassten Spikevax: Ab 1. Oktober wird es in der Apothekensoftware bestellbar sein und voraussichtlich ab 26. Oktober als Einzeldosis-Durchstechflaschen verfügbar werden - ein großer Vorteil im Vergleich zu den Mehrdosen-Vials.

Eine Impfung gegen Krebs

Dingermanns Hoffnung ist, dass sich durch das niedrigschwellige Angebot für Impfungen in Apotheken die Impfraten für Influenza und Covid-19 in den Risikogruppen erhöhen lassen. Zudem fände er es sehr erfreulich, wenn das Impfangebot von Apotheken in Zukunft auch die Impfung gegen Humane Papillomaviren (HPV) umfassen könnte. Die beiden Impfstoffe Gardasil® und Cervarix® schützen vor den häufigsten HP-Viren, die Gebärmutterhalskrebs und Tumore im Mund-Rachen-Genital- und Anusbereich verursachen können. Die HPV-Impfung bezeichnete Dingermann als „ganz neue Dimension. Mit diesem Impfprinzip gegen Viren, das Professor Harald zur Hausen damals gegen alle Widerstände durchsetzte und später den Medizinnobelpreis bekam, war das erste Mal ein Schutz gegen Krebs möglich.“ Die Weiterentwicklung gehe in Richtung mRNA-Impfstoffe gegen Tumoren. Das Konzept sei plausibel, deren Marktreife erwartet er aber nicht in den nächsten zwei Jahren.

Paxlovid rasch einsetzen

In einem zweiten Vortrag referierte Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz darüber, inwiefern es im Jahr 1 nach der Pandemie auch in der antiviralen Therapie von Covid-19 Anpassungen gegeben hat. Stand derzeit: Die Arzneistoffkombination Nirmaltrelvir/Ritonavir (Paxlovid®) ist bei allen Erkrankten indiziert, bei denen Risikofaktoren für einen schweren Infektionsverlauf vorliegen. »Der Einsatz ist aber nur sinnvoll, wenn er zeitnah nach Symptombeginn erfolgt. Mit einem positiven Coronatest kann ein Patienten - auch telefonisch oder elektronisch - ein reguläres Rezept bekommen. Es wird zwar empfohlen, eine SARS-CoV-2-PCR-Testung nachzuholen. Das ist aber keine Voraussetzung für eine Verordnung«, betonte der Professor für Pharmazeutische Chemie an der Universität Frankfurt.

Vor etwa einem Jahr spielte für die Entscheidung, Paxlovid zu verordnen oder nicht, der Impfstatus die entscheidende Rolle. Laut Leitlinie war es damals indiziert bei Patienten mit unvollständigem Impfschutz oder mit relevantem Risiko für ein unzureichendes Impfansprechen. Seit März 2023 bezieht sich die Indikation mehr auf die Risikofaktoren wie Immunsuppression, Alter und fehlender Impfschutz. Molnupiravir spielt heute als 2.-Wahl-Antivirustatikum keine Rolle mehr. Was die monoklonalen Antikörper betrifft, wird in der Leitlinie Sotrovimab als zweite Wahl-Behandlungsmöglichkeit genannt. Alle anderen Antikörper sind aufgrund von Mutationen beziehungsweise Resistenzen aus der Leitlinie verschwunden.

»Wir sollten mit den Arzneistoffen, die wir haben, klug und mit Bedacht umgehen«, mahnte Schubert-Zsilavecz. Deshalb sei die frühzeitige Paxlovid-Gabe für fünf Tage so wichtig. Damit nahm er Bezug auf das äußerst zurückhaltende Paxlovid-Verordnungsverhalten der Ärzte im zurückliegenden Winter. Der Experte forderte einen pragmatischen Umgang mit den vielen Wechselwirkungen, die Paxlovid aufgrund seiner CYP3A4-Aktivität haben kann. »Während der Paxlovid-Einnahme mal fünf Tage auf sein Statin zu verzichten, ist doch eine Frage der Risikoabwägung und sollte vertretbar sein«, meinte der Referent.

 

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