Beratung zu Nebenwirkungen |
»Dieses Spannungsfeld zwischen ›hinreichender Beratung‹ und einer möglichen Verunsicherung des Patienten muss der Apotheker meistern.« Rhetorisch wie auch inhaltlich gibt es einige Strategien und Tipps, damit der Balanceakt besser gelingt. Denn verschiedene Formulierungen beeinflussen trotz identischen Inhalts das Verhalten des Empfängers unterschiedlich.
Die Apothekerin erklärt, dass es außerordentlich wichtig sei, positiv und optimistisch zu formulieren. Statt: »Fünf Prozent leiden unter der Nebenwirkung Mundtrockenheit« könne die gleiche Information umverpackt werden, um die gute Verträglichkeit herauszuarbeiten. »95 Prozent leiden nicht unter Mundtrockenheit« geht also bereits in die richtige Richtung. Bestenfalls wird aber ganz auf Verneinungen verzichtet: »95 Prozent vertragen das Arzneimittel gut.« Psychologen bezeichnen diesen Trick als »Framing-Effekt« oder zu Deutsch »Rahmungseffekt«. Wohl bekanntestes Beispiel ist die Frage, ob das Glas halbleer oder halbvoll ist. Erste Studien legen nahe, dass bewusstes Framing in der Aufklärung über Nebenwirkungen den Nocebo-Effekt reduzieren kann.
Auch die passende Wortwahl spielt eine Rolle. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden die Begriffe »unerwünschte Arzneimittelwirkungen« (UAW) und »Nebenwirkungen« (NW) zwar durchaus synonym verwendet. Dennoch hat Letzteres für viele eine negative Konnotation, sodass Alternativen wie »Begleiteffekt« in den Wortschatz gehören.
»Wenn Nebenwirkungen auftreten, sollten wir unbedingt eine Handlungsempfehlung anbieten und lösungsorientiert statt problemorientiert agieren«, findet Koller. Bei Mundtrockenheit durch Anticholinergika hilft beispielsweise das Lutschen eines sauren Bonbons oder ein Kaugummi. Zu jeder schlechten Nachricht gehört außerdem am besten ein positiver Aspekt. Dafür könne man etwa den Nutzen des Medikaments in den Vordergrund rücken. Das ist gerade bei Krankheiten wichtig, die zunächst keinen Leidensdruck verursachen.
Negative Aspekte sollten PTA und Apotheker hingegen nur einmal erwähnen, statt sie gar mehrfach hintereinander zu nennen. Auch Einschränkungen schleichen sich zwar gerne ein, haben in der Beratung aber nichts zu suchen. »Eigentlich wirkt das Mittel meistens ganz gut« kommt auf satte drei Einschränkungen bei nur sieben Wörtern. Gewiefte Patienten antworten darauf provokant mit: »Und uneigentlich?« Besser kurz und klar: »Metformin ist gut wirksam.«
Als Gesprächseinstieg hilft in vielen Fällen »Fragen statt Belehren«. »Wissen Sie, warum Sie bei Metformin mit Alkohol aufpassen sollen?« oder »Machen Sie sich Sorgen um Nebenwirkungen?« Womöglich profitiert ein ängstlicher, eher hypochondrischer Stammkunde davon, wenn mit ihm vereinbart wird, dass er nur die allernötigsten Informationen erhält und zurückhaltend beraten wird. Ein anderer Kunde möchte hingegen alles haargenau wissen, um guten Gewissens ein Medikament zu nehmen. Ihm kann die Information helfen, dass eine »häufige« Nebenwirkung per Definition im Beipackzettel nicht einmal bei einem von zehn Patienten auftritt. Beratung ist stets typabhängig und individuell. Dieser Balanceakt gelingt im Alltag mal besser, mal schlechter. Doch die Kenntnis vom Nocebo-Effekt ist bereits der wichtigste Schritt zum Gelingen der Kommunikation.
Das Beispiel Metformin zeigt, wie unterschiedlich der Beratungsbedarf sein kann. Das Biguanid ist Mittel erster Wahl bei Diabetes mellitus Typ 2. Gerade zu Therapiebeginn stehen jedoch gastrointestinale Nebenwirkungen im Vordergrund. Fast jeder fünfte Patient leidet an Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen und/oder Appetitverlust. Um die Verträglichkeit zu verbessern, schleichen Patienten Metformin am besten langsam ein und nehmen es zu oder nach einer Mahlzeit. Ideal sind zwei bis drei Einzeldosen über den Tag verteilt. Ganz verhindern diese Tipps die Beschwerden zwar nicht, doch meist plagen sie nur zu Beginn und verschwinden rasch. Durchhalten lohnt sich also. Wer das nicht weiß, bricht womöglich vorschnell die Therapie ab.
Umso wichtiger ist es neben möglichen gastrointestinalen Beschwerden, den individuellen Nutzen anzusprechen. Für manche Patienten kommt die Diagnose »Diabetes« wie ein Schock. Der eine ist dann erleichtert, um Spritzen herumzukommen. Der andere hat vielleicht einen Freund durch einen Herzinfarkt verloren und schätzt den positiven Begleiteffekt auf Cholesterin und Triglyceride, also den Schutz seiner Gefäße. Wieder andere schenken der Zuckerkrankheit wenig Beachtung. Sie freuen sich aber über den günstigen Einfluss auf Appetit und Gewicht, sodass die überflüssigen Pfunde mit gesunder Ernährung und Bewegung endlich etwas leichter purzeln.
Eine seltene dafür aber schwerwiegende Nebenwirkung ist die Laktatazidose. Das Risiko steigt beispielsweise durch eine akute Verschlechterung der Nierenfunktion oder große Operationen. Deshalb ist eine Pause vor und nach geplanten Eingriffen oder Kontrastmittelgabe nötig. In der Regel klärt der Arzt darüber rechtzeitig vor dem Eingriff auf. Doch auch Dehydratation und Alkoholintoxikation sind kritisch. PTA und Apotheker sollten hier die für mögliche Risikopatienten offenhalten. Klagt ein Patient in der Offizin über schweren Durchfall oder berichtet von einer strengen Fastenkur (< 1000 kcal/Tag), fehlt Patienten meist das Risikobewusstsein für diese Nebenwirkung. Gefährlich wird es auch für Alkoholiker, die einen Rückfall erleiden. In all diesen Fällen sollte Metformin nach Rücksprache mit dem Arzt am besten vorübergehend pausieren.
Ein Patient kann jedoch immer nur wenige Informationen auf einmal aufnehmen. Gerade deshalb gehört es sicherlich nicht in das Gespräch der Erstverordnung, dass Metformin die Resorption von Vitamin B12 hemmt. Relevant wird das ohnehin erst nach langer Therapiedauer. Dann ist dies aber guter Anhaltspunkt für die Zusatzempfehlung eines hoch dosierten, oralen Vitamin B12-Präparats. Vegetarier schätzen diesen Hinweis vielleicht schon früher.