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Morgens oder abends?

Biorhythmik bei Arzneimitteln

Einnahme morgens, mittags oder abends? Das kommt ganz darauf an! Denn unser Körper unterliegt einem circadianen Rhythmus, daher hängt auch die Wirkung zahlreicher Arzneistoffe vom richtigen Einnahmezeitpunkt ab. Wie genau, beschreibt die Chronopharmakologie.
Anna Carolin Antropov
20.04.2022  08:30 Uhr

Eine Frau legt in der Apotheke ein Rezept über Dexamethason-Tabletten 0,25 mg vor. »Ihr Arzt hat Ihnen erklärt, wie Sie das Arzneimittel einnehmen sollen?«, vergewissert sich die PTA bei der Abgabe. »Ja, einmal täglich abends.« Da stutzt die PTA – werden Glucocorticoide nicht eigentlich morgens eingenommen? Sie zieht den Apotheker zu Rate und stellt fest: Ausnahmen bestätigen die Regel!

In unserem Körper tickt eine innere Uhr, die im sogenannten Nucleus suprachiasmaticus im Hypothalamus lokalisiert ist. Diese kontrolliert die circadianen Rhythmen: Zahlreiche Körperfunktionen wie Temperatur, Herzfrequenz, Blutdruck sowie Nierenfunktion, Hormonkonzentrationen und viele mehr variieren im Tagesverlauf nach einem bestimmten Muster. Umweltfaktoren können die Rhythmen durchaus beeinflussen und stören. Das Problem kennen nicht nur Jetlag-Geplagte, sondern auch Schichtarbeiter.

Je nach Tageszeit häufen sich sogar Krankheiten: Asthmaanfälle treten gerne gegen 4 Uhr morgens auf, Herzinfarkte vor allem vormittags. Am frühen Nachmittag ist die Schmerzempfindlichkeit übrigens am geringsten, während Zahnschmerzen nachts besonders quälen. Ursächlich steckt dahinter die tagesübliche Schwankung endogener schmerzhemmender Endorphine sowie Cortisol - also alles eine Frage der biologischen Rhythmen.

Da verwundert es nicht, dass auch Arzneistoffe je nach eingenommener Tageszeit unterschiedliche Wirkungen entfalten. Die Beispiele reichen von Asthmamedikamenten wie Theophyllin über Antihypertonika und Zytostatika bis hin zum Paradebeispiel Glucocorticoide.

Abends mehr Säure

H2-Antihistaminika wie Ranitidin etwa werden am besten – unabhängig von der Halbwertszeit – einmal täglich abends eingenommen. Denn spätabends erreicht die basale, Nahrungsmittel-unabhängige Säurefreisetzung ihren Höhepunkt und genau auf diese wirkt die Wirkstoffklasse. Bei den Protonenpumpen-Hemmern verhält es sich genau gegenteilig: Sie erhöhen den pH-Wert im Magen nach morgendlicher Gabe stärker als nach abendlicher Einnahme. Je nach Indikation kommen dennoch unterschiedliche Einnahmeregime in Frage.

Auch die Expression der HMG-CoA-Reduktase weist einen circadianen Rhythmus auf und erreicht ihr Maximum in der Nacht. Für einen größtmöglichen Effekt bei der Einnahme von HMG-CoA-Hemmern wie Simvastatin sollten Patienten diese daher abends nehmen. Atorvastatin und Rosuvastatin haben eine lange Halbwertszeit, sodass auch eine morgendliche Gabe möglich ist, um die Compliance zu verbessern.

Die morgendliche Einnahme von Theophyllin führt zu höheren maximalen Plasmakonzentrationen. Dennoch profitieren viele Patienten von einer höheren abendlichen Gabe, da sich Asthmaanfälle oft nachts häufen. Denn dann erreicht nicht nur die Cortisol-Ausschüttung ihr Minimum, auch bronchokonstriktorische Effekte sind besonders ausgeprägt.

An Nagetieren wurde schon in den 1980er-Jahren nachgewiesen, dass die Toxizität zahlreicher Zytostatika im Tagesverlauf schwankt. Die Nieren-Toxizität des Zytostatikums Cisplatin ist beispielsweise dann am geringsten, wenn die Diurese ihr Maximum erreicht. Theoretisch könnte eine Applikation der Krebstherapie nach der inneren Uhr womöglich eine bessere Verträglichkeit oder Wirksamkeit ermöglichen – die Umsetzbarkeit und Relevanz ist jedoch ein anderes Thema. Bei Methotrexat hat sich jedoch die abendliche Gabe bewährt: Rheumapatienten vertragen es meist besser und Übelkeit bleibt aus.

Bei Non-Dippern: Antihypertonika besser abends

Auch bei Bluthochdruck lohnt ein genauer Blick auf den Einnahmezeitpunkt der Medikamente. Physiologisch kommt es nachts zu einem Abfall des Blutdrucks und der Herzfrequenz, einem sogenannten »Dipping«. Ist das nicht der Fall, nennen Ärzte diese Patienten »Non-Dipper«. Über das individuelle Blutdruck-Verhalten gibt eine 24-Stunden-Blutdruckmessung Aufschluss. Sie wird insbesondere bei Schlafapnoe, chronischer Nierenerkrankung oder Diabetes mellitus empfohlen.

Fehlt der nächtliche Blutdruckabfall, können Betroffene gut damit beraten sein, ihre Antihypertonika abends statt morgens einzunehmen. Womöglich profitieren sogar alle Blutdruckpatienten von einer abendlichen Einnahme, wie eine spanische Forschergruppe kürzlich herausfand. Denn sie verglichen in ihrer Studie die morgendliche mit der abendlichen Einnahme und stellten dabei fest, dass allein durch die Änderung des Einnahmezeitpunkts eine bessere Blutdruckkontrolle gelingen und das kardiovaskuläre Risiko sinken kann.

Vor dem Hintergrund, dass das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System nachts die maximale Aktivität erreicht, scheint es auf der Hand zu liegen, dass ACE-Hemmer und Angiotensin-II-Rezeptor-Hemmer bei abendlicher Einnahme eine bessere Wirkung entfalten. Anders sieht es bei Betablockern aus: Sie senken den Blutdruck durch Hemmung des gesteigerten Sympathikustonus. Dieser spielt insbesondere tagsüber eine Rolle, sodass bei dieser Wirkstoffklasse meist unverändert eine morgendliche Gabe empfohlen wird. Zudem kann die abendliche Einnahme bei einigen Patienten zu Schlafstörungen und/oder verstärkten Alpträumen führen, da Betablocker den Melatonin-Spiegel senken. Auch Diuretika können den Nachtschlaf empfindlich stören, wenn die abendliche Einnahme nächtlichen Harndrang verursacht. Der ideale Einnahmezeitpunkt sollte also individuell und differenziert mit dem Arzt abgesprochen werden.

Cortisol: Minimum um Mitternacht

Cortisol kann nicht gespeichert, sondern muss in der Nebennierenrinde kontinuierlich neu gebildet und freigesetzt werden. Das kontrolliert das Peptidhormon ACTH (adrenokortikotropes Hormon). Die Cortisol-Konzentration unterliegt einem ausgeprägten circadianen Rhythmus mit einem Minimum um Mitternacht und einem Maximum am Morgen etwa zwischen 6 und 8 Uhr. Die höchste ACTH-Konzentration kann frühmorgens gemessen werden.

Um den endogenen Sekretionsrhythmus bestmöglich nachzubilden, werden therapeutische Glucocorticoide daher üblicherweise morgens eingenommen. Das hatte auch die PTA im Fallbeispiel im Hinterkopf. Einige Rheumatiker leiden dennoch unter ausgeprägter Gelenksteifigkeit und -schwellung beim Aufstehen. Für sie kann verzögert freisetzendes Prednison wie Lodotra® eine Therapieoption darstellen. Es wird gegen 22 Uhr eingenommen, die Wirkung beginnt dann jedoch erst frühmorgens, ohne den ACTH-Anstieg zu beeinflussen.

Auch die Indikation spielt eine Rolle

Wird dagegen ein »normales« Glucocorticoid spätabends eingenommen, supprimiert das die nächtliche ACTH-Freisetzung. Denn Cortisol- und ACTH-Spiegel hemmen sich durch ihre negative Feedback-Schleife rasch gegenseitig. Genau dieser Effekt ist bei der oben genannten Patientin gewünscht. Ihr Arzt hat bei ihr nämlich einen erhöhten Androgenspiegel im Blut festgestellt. Zur Erinnerung: ACTH regt auch die Synthese von Mineralocorticoiden und Sexualhormonen an. Die Suppression von ACTH soll bei ihr also den Spiegel männlicher Hormone senken. Eine vollständige Unterdrückung der Cortisolproduktion ist dagegen nicht erwünscht, sodass eine niedrige Dosis genügt. Dadurch treten zudem kaum Nebenwirkungen auf.

Hinter dieser Hormonstörung können zahlreiche Ursachen stecken. Häufig äußert sie sich durch Zyklusstörungen, verstärkte Behaarung und/oder Akne. Auch das seltene adrenogenitale Syndrom (AGS) führt zu erhöhten männlichen Hormonen. Bei dieser seltenen genetisch bedingten Hormonbildungsstörung produziert der Körper jedoch insgesamt zu wenig Cortisol. Durch das fehlende Feedback ist die ACTH-Sekretion gesteigert, wodurch in der Folge vermehrt Androgene produziert werden. Daher unterscheidet sich die Therapie: Zusätzlich zur kleineren Dosis am Abend brauchen AGS-Patienten morgens eine höhere Dosis Glucocorticoid, die den Cortisolmangel ausgleicht.

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