Bis an die Schmerzgrenze gehen |
In der Gruppe, in Intervallen, dreimal pro Woche: So geht effektives Gehtraining für die Gefäße. / © Getty Images/Vladimir Vladimirov
Die pAVK ist eine klinische Manifestationsform der Arteriosklerose. Sie betrifft meist die Beindurchblutung, was zunächst zu belastungsabhängigen Muskelschmerzen beim Gehen aufgrund der Gefäßverengung führen kann. Dieses typische Symptom gab der Erkrankung ihren umgangssprachlichen Namen »Schaufensterkrankheit«: Stechende Schmerzen in den Waden und Oberschenkeln zwingen die Betroffenen immer wieder zu Gehpausen – als wollten sie sich die Auslagen in einem Ladengeschäft ansehen.
Die pAVK gehört zu den am meisten unterschätzten Volkskrankheiten. Fachgesellschaften gehen etwa von 10 Prozent Betroffenen in Deutschland aus. Die Wahrscheinlichkeit steigt mit dem Alter. »Weil mehr als 20 Prozent der Betagten eine pAVK haben, ist sie eigentlich eine Alterskrankheit. Deshalb hat die überarbeitete S3-Leitlinie auch ein eigenes Geriatrie-Kapitel bekommen«, sagt der dafür verantwortliche Autor Dr. Christoph Ploenes vom Fachzentrum für Angiologie der Schön Klinik Düsseldorf.
Konkret empfehlen die Leitlinienautoren ein Gehtraining als Initialtherapie in allen Phasen der Erkrankung. In Kombination mit einer lipidsenkenden und antithrombotischen Therapie sollen die Bewegungseinheiten mindestens drei bis sechs Monate konsequent durchgeführt werden. Erst wenn sich die klinische Symptomatik danach nicht verbessert hat, können invasive Maßnahmen erwogen werden. Dabei werden endovaskulär mithilfe eines Katheters Ballons oder Stents gesetzt oder offen chirurgisch Bypässe gelegt.
Auch ein operativer Eingriff entbindet nicht vom Gehtraining: Der Erfolg von interventionellen Therapien kann nur dann gehalten werden, wenn anschließend ein konsequentes und einigermaßen strukturiertes Bewegungstraining erfolgt. Belegt ist: Nach einer erfolgreichen Rekanalisation bleiben die Gefäße desto länger offen, je länger und öfter man trainiert. Fakt ist auch: Geriatrische Patienten mit fortgeschrittener Frailty profitieren meist nicht von Gefäßeingriffen – was die Bedeutung einer rechtzeitigen Bewegungstherapie in den Vordergrund rückt.
Was genau ist ein »Gefäßtraining«? Dazu macht die Leitlinie zum ersten Mal detaillierte Angaben. Dabei hat das sogenannte strukturierte Gehtraining eine A1-Empfehlung bekommen, während es eine A2-Empfehlung für ein »häusliches Bewegungstraining mit Zielvorgaben und engem zielorientiertem Monitoring« gibt, wenn das Gehtraining nicht machbar ist. Präferiert wird das Training in der Gruppe; deren Dynamik helfe bei der Umstellung der Lebensweise. Problematisch: In Deutschland gibt es nur sehr wenige Gefäßsportgruppen. Deshalb empfiehlt es sich, auf eine Herzsportgruppe oder andere örtlich verfügbare Rehasport-Angebote auszuweichen.
Dabei sollten die Bewegungseinheiten intervallmäßig erfolgen, also mehrere Wiederholungen mit jeweils eingeschalteten Pausen, mindestens dreimal wöchentlich für 30 bis 60 Minuten. Ein Schrittzähler (»Pedometer«) misst die täglichen Gehstrecken und kontrolliert so die Trainingsleistung. Die »maximale Gehstrecke« wird am deutlichsten mit Gehtraining hoher Intensität verbessert.
Am besten geht man wie folgt vor: gehen bis Schmerzen einsetzen. Das hat zum Ziel, dass sich durch die so induzierte Ischämie die Perfusion verbessert. Der zurückgelegte Weg entspricht der schmerzfreien Gehstrecke. Dann erfolgt eine kleine Pause von etwa einer Minute. Danach beginnt man, 90 Prozent der Strecke erneut zu gehen. In diesem Rhythmus trainiert man erst eine halbe, später eine Stunde lang.
Die schmerzfreie Gehstrecke lässt sich auch durch alternative Trainingsformen steigern, und zwar in einer Intensität, die unterhalb der Schmerzgrenze liegen kann. Die Leitlinienautoren nennen konkret Radfahren, Krafttraining der unteren Extremitäten, Nordic Walking oder Kombinationen davon. Auch Tanzen gilt als etabliertes Bewegungsprogramm – für die Gefäße, die geistige Fitness und das soziale Wohlempfinden.
Rheologika kommen bei Weitem nicht an den Effekt von Gehtraining heran. Cilostazol und Naftidrofuryl sollten leitliniengemäß nur noch dann eingesetzt werden, wenn die Gehstrecke unter 200 Metern beträgt und ein Bewegungsprogramm nicht möglich ist. Zeigt sich nach drei Monaten keine Besserung, ist die Therapie abzusetzen.
Eigentlich ist es logisch: Atherosklerose ist ein Phänomen, das sich in allen Gefäßen des Organismus von Kopf bis Fuß zeigt. So sind bei pAVK-Patienten nicht nur die Arterien der Beine verengt, sondern gleichzeitig auch die herz- und hirnversorgenden Schlagadern. Tatsächlich gibt es eine sehr hohe Kreuzmorbidität. Bis zu 70 Prozent der pAVK-Patienten haben eine relevante koronare Herzerkrankung, 10 bis 20 Prozent der Betroffenen haben Stenosen und Verschlussprozesse der Gehirngefäße, der Halsschlagader und der intrakraniellen Gefäße, nennt die Leitlinie konkrete Zahlen. Hinzu kommen bei etwa der Hälfte der Patienten eine Diabetesdiagnose, 20 Prozent haben eine Fettstoffwechselstörung.
Die Leitlinie empfiehlt denn auch, möglichst frühzeitig sämtliche Risiken für die Gefäße zu minimieren, das heißt Nikotinverzicht, Abbau von Übergewicht, Normalisierung des Blutdrucks, des Blutzuckers und der Blutfettwerte – kurzum eine Änderung des Lebensstils.
Eine pAVK verläuft vor allem im Alter was die Schmerzen in den Beinen angeht asymptomatisch. »Deshalb sollte man in einer medizinischen Untersuchung alter Menschen auch bei völliger Beschwerdefreiheit die Fußpulse tasten«, sagt Leitlinienautor Ploenes. Auf diese Weise könnte unter Umständen – zum Beispiel durch Lagerungsmaßnahmen – eine Folgemorbidität verhindert werden, etwa Fersendekubitus bei bettlägerigen Menschen oder mögliche Wundheilungsstörungen, falls ein Eingriff im Fußbereich oder Sprunggelenk geplant ist.
Apropos Fußpulse: Die dopplersonografische Messung mit Bestimmung des Knöchel-Arm-Index (ABI = Ankle-Brachial-Index) ist eine schnelle, schmerzfreie und ungefährliche Methode, die zuverlässig auf die Engpässe in den Beinen hinweist. Die verschiedenen Bereiche des ABI sind wie folgt definiert:
Damit identifiziert der ABI nicht nur eine pAVK, sondern gibt eindeutige Hinweise auf deren Schweregrad.
»Wer wissen möchte, ob seine Gefäße von Ablagerungen bedroht sind, sollte sich zunächst fragen, ob er zu einer Risikogruppe gehört«, rät Dr. Siamak Pourhassan von der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG) in einer Pressemitteilung der Gesellschaft. Menschen mit Bluthochdruck, Übergewicht, erhöhtem Cholesterolspiegel, mit Familienangehörigen, die vor dem 50. Lebensjahr einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten haben, und Rauchende seien grundsätzlich gefährdet.
Darüber hinaus gibt es frühe Warnzeichen, die auf Durchblutungsstörungen hindeuten. Dazu zählen Nagelpilz, der Verlust von Haaren auf Zehen oder an Unterschenkeln, trockene Haut und Hautrisse im Bereich der Ferse und Fußsohle sowie in den Zehenzwischenräumen. »Solche Anzeichen sprechen für ein Zuflussproblem in den Gefäßen«, so der Experte. Beim Hausarzt gibt die Messung des ABI Hinweise, wie stark die Gefäßablagerungen die Blutzirkulation behindern.
Sind die Ergebnisse der hausärztlichen Untersuchung auffällig, ist ein Gang zum Gefäßchirurgen angezeigt. »Wir untersuchen dann mit Ultraschall das venöse und arterielle Gefäßsystem«, informiert der DGG-Experte. »Eine ganzheitliche Betrachtung ist wichtig. Unsere Gefäße sind ein komplexes Netzwerk, das mit allen Organen und Geweben verbunden ist und von Hormonen und Nerven mitgesteuert wird.«
Liegen keine Risikofaktoren vor, rät Pourhassan von einer prophylaktischen Gefäßuntersuchung ab. »Man entdeckt vielleicht Mini-Plaques, die keine gesundheitliche Relevanz haben. Dennoch können solche Befunde beunruhigen und sogar seelisch krank machen«, warnt er.