Candida auris – vom Ohr in die Welt |
Barbara Döring |
23.07.2024 12:00 Uhr |
Infektionen mit dem Hefepilz Candida auris haben seit einigen Jahren kontinuierlich zugenommen. / Foto: Getty Images/ KATERYNA KON/SCIENCE PHOTO LIBRARY
Candida auris ist ein Hefepilz aus der Klasse der Schlauchpilze (Saccharomyces). Er wurde erstmals in Japan im Jahr 2009 beschrieben, nachdem er im Gehörgang einer 70-jährigen Patientin entdeckt wurde. Nach seinem Fundort erhielt er den Namen Candida auris (lat. auris = Ohr).
Anders als bei anderen Candida-Erkrankungen, bei denen es sich um endogene Infektionen handelt, der Erreger also aus der körpereigenen Flora stammt, wird Candida auris per Schmierinfektion von Mensch zu Mensch übertragen. Deshalb kann es leicht zu Ausbrüchen in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen oder Seniorenheimen kommen, die nur schwer einzudämmen sind, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt werden.
Gleichzeitig sind viele Candida-auris-Stämme gegen mindestens eins der gängigen Antimykotika resistent. Solche Multiresistenzen, die bei Bakterien oft vorkommen, sind bei Pilzen eher ungewöhnlich. Hinzu kommt, dass der Erreger sich leicht ausbreitet, da er besonders gut auf Oberflächen haftet. Forschende der University of Michigan haben herausgefunden, dass der Pilz über ein bislang unbekanntes Adhäsionsprotein verfügt, das Kation-π-Bindungen ausbildet. Ähnliche Haftprinzipien gibt es bei Muscheln und Seepocken. Der Hefepilz weist zudem eine hohe Temperatur- und Osmotoleranz auf. Er kann sich bei über 40 °C vermehren und verträgt hohe Salzkonzentrationen.
Mit Candida auris infizierte Patienten können den Erreger auf Oberflächen und Gegenständen wie Türklinken oder Blutdruckmanschetten übertragen. Dort kann der Pilz mehr als zwei Wochen überleben und an andere Patienten weitergegeben werden. Auch Katheter, Sonden oder Prothesen stellen eine Gefahr dar. Das erklärt, warum sich viele der Infektionen in Krankenhäusern, also nosokomial (griech. Nosokomeion = Krankenhaus) ereignet haben. Der Erreger verbleibt zudem lange Zeit auf der Haut, selbst wenn er keine Symptome verursacht, und kann so unbemerkt weitergegeben werden.
Im privaten Bereich ist die Gefahr einer Ansteckung gering. Dafür wäre ein sehr enger körperlicher Kontakt erforderlich. Eine Übertragung zwischen bekleideten Personen ist unwahrscheinlich. Und über die Luft verbreitet sich der Erreger nicht. In seltenen Fällen kann der Pilz per Tröpfchen übertragen werden, wenn der Respirationstrakt des Patienten befallen ist.
Seitdem Candida auris erstmals 2009 in Japan beschrieben wurde, haben die Fallzahlen weltweit kontinuierlich zugenommen. Die meisten Erkrankungen wurden bislang in den USA registriert, wo der Pilz erstmals im Jahr 2016 auftrat. Den Centers of Disease Control and Prevention (CDC) wurden im Jahr 2022 2377 klinische Fälle und 5754 Screening-Fälle gemeldet, also Fälle, bei denen der Abstrich positiv war, ohne dass Symptome vorlagen.
In Europa gab es von 2013 bis 2021 rund 1800 gemeldete Candida-auris-Infektionen, die meisten in Spanien, Italien und Großbritannien. Bei der Mehrheit der Patienten waren die Pilzbesiedelungen harmlos, bei einem Viertel kam es jedoch zu Blutvergiftungen oder anderen bedrohlichen Infektionen. 2015/16 ereignete sich der in Europa bislang größte Ausbruch an einem Krankenhaus in London, wo sich innerhalb von 16 Monaten 50 Patienten infizierten.
In Deutschland wurde der Hefepilz erstmals im Jahr 2015 nachgewiesen. Die Fallzahlen waren bis Ende 2022 auf niedrigem Niveau. Zwischen 2015 und 2022 erfasste das Nationale Referenzzentrum für Invasive Pilzinfektionen (NRZMyk) in Jena insgesamt 39 Fälle, in den Jahren 2021 und 2022 waren es jeweils zwölf. Die Patienten hatten den Pilz von Reisen in Risikogebiete mitgebracht, nur in einem Fall war er im Krankenhaus von Mensch zu Mensch übertragen worden.
In 2023 wurde bei 77 Patienten Candida auris nachgewiesen, mehr als dreimal so häufig wie in den beiden Vorjahren. Die Zunahme ist vor allem auf drei Ausbruchsgeschehen zurückzuführen. Bei 58 Patienten handelte es sich um eine Kolonisation, bei 13 Patienten kam es zu einer Infektion. Dabei handelte es sich in den meisten Fällen um Wund- und Gewebsinfektionen, gefolgt von Blut- und katheterassoziierten Infektionen sowie Protheseninfekten. In sechs Fällen blieb der Status unklar. Experten rechnen auch hierzulande mit einer Zunahme der Krankheitsfälle.
Candida auris besiedelt Haut und Schleimhäute und kann also zahlreiche Körperstellen befallen, etwa Hände, Nase, Achseln, Leisten und Rachen. Der Hefepilz ist zudem in der Lage, sich in Harn- und Atemwegen, im Darm oder in Wunden anzusiedeln. Gelangt der Erreger über Verletzungen in den Blutstrom, besteht die Gefahr einer lebensgefährlichen Sepsis. Die Infektion verläuft dann in 30 bis 60 Prozent der Fälle tödlich. Das Robert-Koch-Institut (RKI) berichtet, dass Candida auris in manchen Regionen der Welt andere Candida-Arten als Erreger nosokomialer Infektionen verdrängt hat.
Candida auris ist vor allem für Menschen mit schweren Vorerkrankungen, chronischen Erkrankungen und geschwächtem Immunsystem gefährlich, zum Beispiel für Patienten auf Intensivstationen. Experten warnen jedoch vor Panikmache und betonen, dass eine Besiedlung mit dem Pilz für Gesunde in der Regel keine Bedrohung darstellt. Die meisten Betroffenen bemerken davon gar nichts.
Seit Juli 2023 gibt es in Deutschland eine Meldepflicht für Candida-auris-Infektionen, allerdings gilt sie nur, wenn der Pilz in primär sterilen Proben wie Blut nachgewiesen wird. Es ist in Deutschland die erste Meldepflicht für eine Pilzinfektion. Nicht meldepflichtig sind jedoch Nachweise bei Abstrichen von Nase, Rachen, Haut oder Wunden. Diese sind zurzeit nur bei Ausbrüchen in Krankenhäusern oder ähnlichen Einrichtungen zu melden. Nachdem die Fallzahlen im vergangenen Jahr stärker angestiegen sind, plädieren Experten des NRZMyk aber für eine generelle Meldepflicht.
Die meisten Candida-auris-Infektionen können bislang mit Antimykotika behandelt werden. Die Therapie wird jedoch durch die Tatsache erschwert, dass der Erreger potenziell gegen alle verfügbaren Antimykotika-Klassen Resistenzen entwickeln kann. Zur Behandlung stehen nur wenige Wirkstoffe zur Verfügung. Die Resistenzrate gegenüber Fluconazol liegt bereits über 80 Prozent, gegenüber Voriconazol bei 50 Prozent.
Auch auf die als Erstlinientherapie empfohlene Wirkstoffklasse der Echinocandine spricht die Infektion oft nicht mehr an. Experten raten deshalb zu erhöhter Aufmerksamkeit. Die Behandlung einer reinen Candida-auris-Besiedlung ohne Zeichen einer Infektion wird nicht empfohlen. Zur Dekolonisation können antiseptische Zubereitungen auf Basis von Octenidin, Chlorhexidin oder Polyhexanid zur Anwendung kommen.
Es gibt Hinweise auf eine erhöhte Resistenz von Candida auris gegen Desinfektionsmittel, vor allem quartäre Ammoniumverbindungen. Auch Chlorhexidin hat nur eine begrenzte Wirksamkeit. Wird ein Patient, der infiziert war, aus dem Krankenhaus oder Pflegeheim entlassen, sollte das Zimmer mit einem levuroziden, also gegen Hefepilze wirksamen, Mittel gegen Sprosspilze, zum Beispiel auf H2O2-Basis, desinfiziert werden.
Neben der Einhaltung der gängigen Hygienemaßnahmen einschließlich guter Handhygiene hilft ein gesunder Lebensstil, das Risiko für eine Pilzinfektion gering zu halten. Da Candida auris bevorzugt immungeschwächte Menschen befällt, zum Beispiel bei einem schweren Atemwegsinfekt, schützen auch die empfohlenen Impfungen gegen Grippe und Covid 19 indirekt vor der Candidamykose.