Cannabis und das Gehirn |
Verena Schmidt |
19.03.2025 14:00 Uhr |
Gefahr in der Pubertät: Häufiges Kiffen kann den Hirnreifungsprozess bei Jugendlichen stören. / © Getty Images/Andrew Brookes
Zwar gibt es noch keine offiziellen Statistiken zu Konsumentenzahlen oder Notfällen bei Kindern und Jugendlichen seit der Cannabislegalisierung im April 2024. Mediziner berichten jedoch, dass Drogennotfälle bei 16- bis 19-Jährigen bereits jetzt am häufigsten auf Cannabis zurückgehen. Viele Suchtexperten plädieren sogar dafür, dass Menschen bis zu einem Alter von 25 Jahren gar kein Cannabis konsumieren sollten. Hauptsächlich deswegen, weil Jugendliche und junge Erwachsene ein bis zu sechsfach erhöhtes Risiko haben, Psychosen oder eine schizophrene Erkrankung zu entwickeln, wenn sie Cannabis rauchen. Das gilt besonders dann, wenn sie sehr jung mit dem Kiffen beginnen und viel und häufig konsumieren.
Junge Männer sind generell häufiger als Frauen von Psychosen und Schizophrenie betroffen, auch die Cannabis-assoziierten Störungen spielen bei ihnen eine größere Rolle. So legt etwa eine Studie aus dem Jahr 2023, veröffentlicht im Fachjournal »Psychological Medicine«, nahe, dass bei jungen Männern bis zu 30 Prozent aller Schizophreniefälle auf problematischen Cannabiskonsum zurückgehen könnten. Die Forscher hatten Daten von mehr als 6,9 Millionen Männern und Frauen aus dänischen Gesundheitsregistern gesammelt. Ihre Analyse zeigte, dass insgesamt 15 Prozent aller Schizophreniefälle bei Männern in Dänemark 2021 durch häufigen Cannabiskonsum ausgelöst sein könnten und damit hätten vermieden werden können. Besonders hoch war der Anteil mit bis zu 30 Prozent bei den jüngeren Männern im Alter von 21 bis 30 Jahren.
Das ist nicht alles: Häufiger Cannabiskonsum im Jugendalter kann außerdem zu einer Abnahme des IQ-Wertes führen, und zwar um bis zu zehn Punkte. Das dokumentiert unter anderem das Ergebnis einer Langzeitstudie über fast 40 Jahre, die US-amerikanische Forscher von der Duke University in Durham (North Carolina) bereits 2012 im Fachjournal »Proceedings of the National Academy of Sciences« veröffentlicht hatten. Die Wissenschaftler untersuchten 1000 Menschen, die Anfang der 1970er-Jahre in Neuseeland geboren worden waren. Nach den Ergebnissen der Studie nimmt der IQ-Wert umso stärker ab, je früher die Menschen beginnen, Cannabis zu sich zu nehmen. Darüber hinaus hatten regelmäßige Cannabis-Nutzer mehr Probleme, sich zu konzentrieren oder sich an etwas zu erinnern, als abstinente Menschen.
Warum ist das Kiffen gerade für Jugendliche so gefährlich? In der Pubertät ist das Gehirn außerordentlich plastisch, das heißt, es finden permanent zahlreiche Umstrukturierungen von Synapsen, Nervenzellverbindungen und ganzen Gehirnarealen statt. Zwischen bestimmten Hirnregionen werden neue Verbindungen geknüpft, bereits bestehende gestärkt oder auch wieder aufgelöst. Junge Menschen lernen in dieser Zeit, komplexe Aufgaben zu lösen und ihre Gefühle zu kontrollieren - dieser Reifungsprozess dauert meist bis zum 25. Lebensjahr, manchmal noch länger.
Cannabis kann in diese Umstrukturierungsprozesse eingreifen und die Neurobiologie des Gehirns nachhaltig verändern. Forscher nehmen beispielsweise an, dass das Cannabinoid Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC), das hauptsächlich für die Rauschwirkung verantwortlich ist, über das körpereigene Cannabinoid-System neben Nervenfaser-Verknüpfungen auch die Entwicklung der Myelinscheiden um die Nervenfasern im Gehirn beeinflusst. Das erhöht die Anfälligkeit für psychiatrische Erkrankungen und mindert mitunter die kognitiven Fähigkeiten.
Eine 2021 in »JAMA Psychiatry« veröffentlichte Untersuchung machte die Veränderungen im Gehirn sichtbar. Ein internationales Team von Forschenden hatte bei fast 800 Jugendlichen, die noch keinen Kontakt zu Cannabis hatten, im Alter von 14 Jahren MRT-Aufnahmen angefertigt und neuropsychologische Tests durchgeführt. Fünf Jahre später wurden die Aufnahmen und Tests wiederholt. Bei den 19-Jährigen, die im Laufe der Zeit Cannabis konsumiert hatten, waren die MRT-Aufnahmen verändert: Die Hirnrinde im präfrontalen Cortex – ein wichtiger Bereich für die Impulskontrolle und die Fähigkeit, Probleme zu lösen und Handlungen zu planen – war bei ihnen dünner als bei der nicht Cannabis rauchenden Vergleichsgruppe. Und: Je mehr geraucht wurde, umso deutlicher war die Ausdünnung. Bei den neuropsychologischen Tests zeigten sich die Cannabiskonsumenten dann auch impulsiver und unaufmerksamer als die gleichaltrigen Vergleichspersonen ohne Cannabiskonsum.
Ob die Veränderungen im Gehirn durch Cannabis reversibel sind, scheint – abgesehen von der Dauer und Intensität des Konsums – auch von der genetischen Ausstattung des einzelnen abzuhängen. Weitere Studien zeigen jedenfalls, dass sich kognitive Einschränkungen durch Cannabiskonsum bessern können, wenn die Jugendlichen nicht mehr konsumieren. Sind die Veränderungen jedoch bereits stark ausgeprägt und lange vorhanden, ist es schwer, sie wieder rückgängig zu machen.
Einen Grenzwert, wie viel Cannabis zu viel ist, gibt es nicht. Psychosen etwa können schon nach wenigen Malen Rauchen auftreten – wobei auch hier ein regelmäßiger Konsum das Risiko erhöht. Hinzukommen muss auch eine genetische Prädisposition; auch Traumata in der Vergangenheit könnten mitverantwortlich sein.
Eine Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch, dass Hanf-Züchtungen heute einen viel höheren THC-Gehalt haben als noch vor etwa 30 Jahren. In den 1990er-Jahren lag der Gehalt bei 3 bis 4 Prozent, heute sind es zwischen 20 und 30 Prozent. Das erhöht zum einen die Gefahr, abhängig zu werden, und könnte zum anderen auch eine Begründung dafür sein, dass Cannabiskonsum heute häufiger als damals zu Psychosen oder Schizophrenie führt.
Die gute Nachricht: Eine psychotische Störung in Zusammenhang mit Drogenkonsum kann bei Abstinenz innerhalb einiger Wochen komplett ausheilen. Handelt es sich um die erste Episode, verschwinden die Symptome bei mehr als 80 Prozent der Fälle vollständig. Es besteht allerdings lebenslang ein erhöhtes Risiko, bei erneutem Konsum wieder eine Psychose zu erleben. Die Therapie besteht in erster Linie aus einer kognitiven Verhaltenstherapie, diese kann gegebenenfalls medikamentös ergänzt werden. Mittel der Wahl sind atypische Antipsychotika wie Clozapin, Olanzapin, Risperidon, Quetiapin oder Amisulprid.
Erste Anzeichen einer Psychose können sein, dass Denkabläufe, Sprache und Wahrnehmung nicht wie gewohnt funktionieren. Auch Appetitveränderungen, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sowie Schlafstörungen können mit einer sich entwickelnden Psychose zusammenhängen. Die Wahrnehmung kann sich im weiteren Verlauf verändern. Typisch ist etwa das Gefühl, man werde verfolgt, oder es passieren Dinge, die man nicht erklären kann.
Die Symptome einer Psychose im Detail:
Negativsymptome
Positivsymptome