Corona und das Leben in Wartestellung |
Die Pandemie lässt uns in einer Warteschleife verharren und durch die gewonnene Zeit so manches alte Hobby neu aufleben. Das Besinnen auf frühere Werte kann Sicherheit vermitteln. / Foto: Getty Images/Antonio Sanchez Albacete / EyeEm
Vieles von dem, was wir vorher schon getan haben, tun wir auch jetzt wieder – nur nicht so richtig. Kinder gehen wieder in die Kita, sitzen aber beim kleinsten Schnupfen wieder zu Hause. Wir grüßen uns nett und merken erst dann, dass das Lächeln hinter der Maske niemand sieht.
»In der klinischen Psychologie nennt man die Phase, in der wir gerade sind, Latenzphase. Wir haben die Krise hinter uns, viele haben sie gut gemeistert, einige nicht so ganz«, sagt der Psychologe Simon Hahnzog. »Die aktuelle Phase ist dagegen wenig greifbar.«
Grundsätzliche soziale Normen sind abgeschafft oder müssen sich neu finden. In Gesichtern lesen? Schwierig mit Maske. Kontakt, Nähe, Abstand? Seit Corona plötzlich zentrale Vokabeln. »Wir hatten in unserer Gesellschaft eine Hierarchie: Hallo sagen, Händeschütteln, Umarmen, Bussi geben«, sagt Hahnzog. »Auf einmal ist das alles raus und das verunsichert viele Leute total. Man weiß nicht mehr, ob das Gegenüber das will oder nicht.« Was daraus werde, sei offen. Er könne sich vorstellen, dass persönlicher Kontakt in der Wertschätzung steigen werde – sollte die Pandemie einst vorbei sein.
Verändert hat sich auch das Arbeitsverhalten – Stichwort Homeoffice –, und der Urlaub. Die Instagram-Timelines, in denen zuvor Strände auf Ko Samui in Thailand oder kitschige Blicke auf den «Rainbow Mountain» in Peru den Ton angaben, sind nun voll mit deutschen Alpen-Panoramen und Krabbenbrötchen an der Nordsee. Der Soziologe Hartmut Rosa hat dafür das Wort von der radikal verkürzten »Weltreichweite« gefunden. Sie gilt räumlich – sprich: Man kommt kaum noch weit weg. Sie gilt aber auch zeitlich. Wer kann momentan ernsthaft sicher planen, was er in einem Monat tun wird oder nicht?
Auch die Freizeit verbringen viele nicht mehr wie vor kurzem noch – dafür häufig wie ganz früher. Forscher Ulrich Reinhardt von der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen, der sich mit dem Freizeitverhalten der Deutschen beschäftigt, glaubt: Viele haben ihre alten Hobbys wiederentdeckt. »Auf einmal werden die alten Musikinstrumente rausgeholt, es wird wieder angefangen zu schreinern.« Das sei nostalgisch, positiv besetzt. Als Corona alles lahmlegte, sei zudem plötzlich die Zeit dafür da gewesen. Und: Es gebe Sicherheit. Weil man es kennt.
Unplanbarkeit und Unsicherheit sind die Koordinaten, an denen sich nun fast alles ausrichtet. Vielleicht auch deshalb scheinen Werte wie Familie, Heimat und eine gewisse Unlust an waghalsigen Experimenten im Zeitgeist zu liegen, dafür muss man gar nicht die Parteipolitik bemühen. Die Ausläufer der sogenannten Spaßgesellschaft haben es gerade schwer: der hemmungslose Konsum, das Rauschhafte, das Unverbindliche. Das gilt auch für Beziehungen, Liebe, Sex. Lockeres Dating mit Leuten, die man in einer App aufgegabelt hat – wie soll das in einer Pandemie funktionieren?
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.