Cortisol-Spiegel aus dem Lot |
Brigitte M. Gensthaler |
04.03.2021 16:00 Uhr |
Die Messung des Cortisol-Spiegels im Blut gibt Hinweise auf eine Fehlfunktion der Nebennierenrinde. Allerdings können die Werte innerhalb von Minuten stark schwanken. / Foto: Adobe Stock/jarun011
Das Hormon Cortisol wird in der Nebennierenrinde produziert und ist eines der wichtigsten Stresshormone des Körpers. Wenn dauerhaft zu viel Cortisol im Blut zirkuliert, kann ein sogenanntes endogenes Cushing-Syndrom entstehen. Wie kommt es zu dieser seltenen Erkrankung?
Dazu ein kurzer Blick auf die Physiologie: Die Funktion der Nebennierenrinde wird über den Hypothalamus und die Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) im Gehirn gesteuert. Dieses komplizierte, aber sehr effektive Regelwerk kann auf verschiedenen Ebenen gestört sein, zum Beispiel durch einen Hypophysen-Tumor (Adenom), der unkontrolliert das Steuerungshormon ACTH (Adrenocorticotropes Hormon) produziert, das dann permanent die Nebennierenrinde zur Cortisol-Produktion anheizt. Dann sprechen Ärzte vom Morbus Cushing oder zentralen Cushing-Syndrom. Deutlich seltener ist ein Nebennierenrinden-Tumor für die überschießende Cortisol-Produktion verantwortlich; dann liegt ein »ACTH-unabhängiges Cushing-Syndrom« vor. Manche Krebsformen wie das Bronchial-, Leberzell- oder Nierenkarzinom können auch selbst ACTH produzieren und dadurch eine überschießende Cortisol-Produktion anfachen.
Der Morbus Cushing gehört zu den seltenen Erkrankungen. »In Deutschland leben knapp 3000 Patienten mit dieser Diagnose, überwiegend Frauen«, informierte Professor Dr. Christof Schöfl von der Facharztpraxis Endokrinologie im Zentrum, Erlangen und Bamberg, bei einer Online-Pressekonferenz der Firma Recordati. Nach Beginn der Symptome dauere es durchschnittlich fünf Jahre bis zur Diagnosestellung. Dies liegt unter anderem daran, dass das klinische Bild des Cushing-Syndroms sehr vielfältig ist.
»Praktisch alle Körperzellen sind betroffen«, sagte der Endokrinologe. Alle Organe und Gewebe sind geprägt von den hohen Glucocorticoid-Spiegeln. Typisch sind Stammfettsucht, Vollmondgesicht, »Büffelnacken«, Dehnungsstreifen der Haut und ein auffälliger Schwund der Muskulatur an Armen und Beinen, verbunden mit Muskel- und allgemeiner Schwäche. Viele Patienten entwickeln eine Glucoseintoleranz, Diabetes und ein metabolisches Syndrom mit Lipidstörungen und Bluthochdruck; auch Wundheilungsstörungen und verstärkte Blutungsneigung kommen vor. Da der Cortisol-Dauerbeschuss das Immunsystem schwächt, steigt die Infektanfälligkeit. Osteoporose und thromboembolische Komplikationen können ebenso auftreten wie Depressionen und Angst. Frauen leiden häufiger an Zyklusstörungen und unerwünschtem Haarwuchs (Hirsutismus).
»Diese vielfältigen Symptome reduzieren die Lebensqualität ähnlich wie eine Multiple Sklerose oder Krebs«, informierte der Arzt. Die Sterblichkeit sei vor allem aufgrund von Herz-Kreislauf-Komplikationen und von Infektionen deutlich erhöht.
Das Apothekenteam sollte hellhörig werden bei Patienten mit unerklärlicher Gewichtszunahme sowie mit schwer einstellbarem Diabetes oder Bluthochdruck. Dies gilt auch für Frauen mit polyzystischem Ovarsyndrom (PCO), einer Störung des hormonellen Regelkreises, und für Kinder, die plötzlich nicht mehr wachsen. Schöfl empfahl, bei diesen Patienten auch nach Störungen des Cortisol-Haushalts zu fahnden.
Zur Senkung der Sterblichkeit sind laut Schöfl drei Komponenten wichtig. Der Hypercortisolismus müsse beseitigt und kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Diabetes und Bluthochdruck müssten streng kontrolliert werden. Zudem gelte es, psychische Probleme adäquat zu behandeln. Hauptziele der Therapie sind daher die Normalisierung des Cortisolspiegels und die Eingrenzung der metabolischen Störungen. Ebenso geht es um eine normale Lebensqualität und -erwartung.
Wird ein Tumor an der Hypophyse oder den Nebennieren als Ursache diagnostiziert, wird dieser in der Regel chirurgisch entfernt. Eine weitere Option ist die Tumorbestrahlung. Allerdings sind diese Verfahren nicht immer erfolgreich oder es kommt zu Rezidiven.
Medikamente sind indiziert bei Cushing-Patienten, für die eine Operation nicht infrage kommt, zur Überbrückung bis zum OP-Termin oder bis zum Wirkeintritt der Bestrahlung oder wenn die Cortisolspiegel im Blut nach Operation wieder ansteigen, wenn also ein Rezidiv vorliegt. Mehrere Arzneistoffe können eingesetzt werden. Zentral im Gehirn wirkt das Somatostatin-Analogon Pasireotid (Signifor®), das injiziert werden muss. Dagegen hemmen Ketoconazol (Ketoconazole HRA 200 mg Tabletten), Metyrapon (Metopiron® 250 mg Weichkapseln), Mitotan (Lysodren® 500 mg Tabletten) und Osilodrostat (Isturisa® 1, 5 und 10 mg Tabletten) die Steroidsynthese in der Nebenniere. Diese Medikamente nimmt der Patient oral ein.
Der Neuling unter den Arzneistoffen ist Osilodrostat, erst im vergangenen Jahr kam er auf den Markt. Laut Schöfl profitieren davon vor allem Patienten, die eine rasche Normalisierung der Cortisolspiegel und eine rasche Kontrolle des Cushing-Syndroms brauchen. Man müsse ihnen vermitteln, dass das Krankheitsbild lebensbedrohlich ist und daher eine zweimal tägliche konsequente Einnahme nötig ist. Wichtig ist die langsame Auftitration, beginnend mit zweimal täglich 2 mg morgens und abends. Unter regelmäßigem Monitoring wird die Dosis langsam gesteigert, um die Cortisolspiegel zu normalisieren. Maximaldosis sind zweimal täglich 30 mg. Günstig für den Patienten: Er kann die Tabletten unabhängig von der Mahlzeit einnehmen.