Das Einmaleins der Zellzahlen |
Im Rahmen eines kleinen Blutbildes werden unter anderem die Erythrozyten des Patienten ausgezählt. / Foto: Adobe Stock/Artem
Ein Blutbild ist keine übliche Vorsorgeuntersuchung. Die Kosten werden von den gesetzlichen Krankenkassen nur übernommen, wenn es für die medizinische Behandlung notwendig ist. Ein weiterer Irrglaube besteht darin, dass bei dieser Untersuchung möglichst viele Blutwerte geprüft würden. Bei einem Hämogramm oder Hämatogramm geht es ausschließlich um die festen Bestandteile des Blutes, also um die roten und weißen Blutkörperchen und die Thrombozyten. Wenn man wissen möchte, ob Nährstoffmängel vorliegen, Cholesterin oder Entzündungsmarker erhöht sind oder wie es um die Hormone bestellt ist, muss das Blutplasma untersucht werden. Darin liegen Elektrolyte, Plasmaproteine, Nährstoffe, Abbauprodukte der Stoffwechselwege und Hormone gelöst vor.
Bei einem kleinen Blutbild lässt der Arzt die Thrombozyten (PLT oder THRO), Erythrozyten (RBC oder ERY) und Leukozyten (WBC oder LEUK) auszählen. Die Thrombozyten, auch als Blutplättchen bezeichnet, spielen eine wichtige Rolle bei der Blutgerinnung. Wenn ein Blutgefäß verletzt ist, lagern sie sich zu Pfropfen zusammen, um den Defekt zu verschließen (Thrombozytenadhäsion und -aggregation). Dabei setzen sie Gerinnungsfaktoren und gerinnungsfördernde Botenstoffe frei. Thrombozyten besitzen keinen Zellkern und können sich nicht teilen. Sie entstehen aus Megakaryozyten im Knochenmark. Bei einem Mangel (Thrombozytopenie) drohen Blutungen, bei einem Überschuss (Thrombozytose) besteht ein erhöhtes Risiko für Thrombosen.
Für ein kleines Blutbild bestimmt das Labor noch den Hämoglobin- (Hb) und den Hämatokrit-Wert (HCT oder HKT). Der Hb-Wert gibt den Gehalt des roten Blutfarbstoffs an. Zu niedrige Werte kennzeichnen eine Anämie. Beim Hämatokrit-Wert handelt es sich um den prozentuellen Anteil der Blutzellen in Relation zum gesamten Blutvolumen. Der Hämatokrit-Wert hängt hauptsächlich von der Erythrozytenzahl ab, da die roten Blutkörperchen den größten Anteil der Blutzellen ausmachen. Wenn HCT zu hoch ist, kann eine übermäßige Vermehrung der Erythrozyten oder eine Dehydrierung vorliegen. Zu niedrige Werte weisen Patienten bei Blutarmut, Blutverlust und Überwässerung auf.
Um die 99 Prozent der Blutzellen zählen zu den roten Blutkörperchen. Sie sind für den Sauerstofftransport im Körper zuständig. Die Erythrozyten sehen aus wie eingedellte Scheiben, haben keinen Zellkern und können sich nicht teilen. Das Knochenmark bildet täglich rund 200 Milliarden neue rote Blutkörperchen, deren Lebensdauer 120 Tage beträgt. Damit der Körper ausreichend Erythrozyten bilden kann, benötigt er Eisen. Das Spurenelement ist ein Baustein für die Hämgruppe des Blutfarbstoffs Hämoglobin. An das Eisenion im Zentrum des Hämoglobins binden die Sauerstoff- und Kohlendioxid-Moleküle, die die roten Blutkörperchen von der Lunge zum Gewebe beziehungsweise vom Gewebe zur Lunge transportieren. Die Anzahl der roten Blutkörperchen ist bei Störungen des Wasserhaushalts, Blutbildungsstörungen und verstärkter Neubildung (Polyglobulie) infolge eines Sauerstoffmangels verändert. Letzteres ist zum Beispiel bei einem Aufenthalt im Hochgebirge der Fall.
Im Rahmen eines kleinen Blutbilds werden die sogenannten Erythrozyten-Indizes berechnet. Sie sind wichtig, um verschiedene Arten von Anämien zu differenzieren. MCV (mean corpuscular volume) gibt das durchschnittliche Volumen eines Erythrozyten an. Der Wert ergibt sich aus dem Quotienten von Hämatokrit und Erythrozytenzahl. MCH (mean corpuscular hemoglobin, HbE) steht für die durchschnittliche Hämoglobin-Menge eines Erythrozyten. Für diesen Wert wird der Hämoglobin-Wert durch die Erythrozytenzahl geteilt. Die mittlere Korpuskuläre Hämoglobinkonzentration (mean corpuscular hemoglobin concentration, MCHC) gibt den Anteil des Hämoglobins am Gesamtvolumen der roten Blutkörperchen an und berechnet sich aus dem Quotienten Hämoglobin/Hämatokrit oder MCH/MCV. Eine erhöhte Erythrozytenverteilungsbreite (red cell distribution width, RDW) ist ein früher Indikator für die Eisenmangelanämie. Die Retikulozyten sind die Vorläuferzellen der Erythrozyten. Erhöhte Retikulozyten treten bei einer verstärkten Blutneubildung auf.
Das große Blutbild besteht aus dem kleinen Blutbild und dem Differentialblutbild. Darin werden die Leukozyten in ihre Untergruppen aufgeschlüsselt. Leukozyten werden weiße Blutkörperchen genannt, da sie keinen Blutfarbstoff besitzen. Als Teil des Immunsystems spielen sie sowohl bei der spezifischen als auch bei der unspezifischen Immunabwehr eine Rolle. Sie sind bei Infektionen, Entzündungen, allergischen Reaktionen und Autoimmunerkrankungen involviert. Die Leukozyten machen nur 1 Prozent der Blutzellen aus. Wenn ihre Anzahl erniedrigt ist, spricht man von einer Leukopenie, ist sie erhöht, von einer Leukozytose. Änderungen der Leukozyten weisen auf eine gestörte oder aktivierte Immunabwehr hin.
Zu den Leukozyten zählen die Granulozyten, die Monozyten und die Lymphozyten. Um die jeweiligen Anteile zu ermitteln, wird ein Blutausstrich eingefärbt. Die prozentualen Anteile werden aus 100 ausgezählten Leukozyten bestimmt. Die Granulozyten werden je nach Färbung ihrer Granula in die Untergruppen Neutrophile, Eosinophile und Basophile eingeteilt. Neutrophile Granulozyten stellen die größte Gruppe innerhalb der Leukozyten und haben einen Anteil von 50 bis 80 Prozent. Sie identifizieren Mikroorganismen und nehmen diese als Phagozyten (Fresszellen) auf. Ihre Granula erscheint nach Pappenheim-Färbung schwach hellviolett. Junge Neutrophile weisen stabkernige Zellkerne auf, die später segmentkernig werden. Finden sich überproportional viele junge stabkernige Granulozyten, weist das auf eine akute Entzündung hin (»neutrophile Kampfphase«). In der Fachsprache spricht man von einer Linksverschiebung. Eine weitere Art von Fresszellen sind die eosinophilen Granulozyten mit rötlich angefärbter Granula. Sie inaktivieren zusätzlich Histamin und nehmen Antigen-Antikörper-Komplexe auf. Eosinophile sind wichtig für die Parasitenabwehr. Basophile Granulozyten erscheinen nach Anfärbung dunkelviolett und sind unter anderem an der allergischen Sofortreaktion beteiligt. Bei Monozyten handelt es sich um große Fresszellen, die Erreger mit ihren eigenen Enzymen auflösen und Zellen zur Abwehr aktivieren. Sie halten sich hauptsächlich im Gewebe auf. Ihr Anteil liegt bei bis zu 10 Prozent der Leukozyten. Die Anzahl der Monozyten ist erhöht, wenn der Gipfel einer Infektion überwunden ist (»monozytäre Überwindungsphase«).
Bis zu 45 Prozent der Leukozyten sind Lymphozyten. Sie splitten sich in T-Lymphozyten und B-Lymphozyten auf. T-Lymphozyten werden zu T-Helferzellen und zytotoxischen T-Zellen, nachdem sie einen Antigenkontakt gehabt haben. T-Helferzellen stimulieren die Immunabwehr, zytotoxische T-Zellen zerstören fremde und Tumorzellen. B-Lymphozyten entwickeln sich nach Antigenkontakt zu antikörperproduzierenden Plasmazellen. Die Lymphozytenzahl ist ebenso wie die Eosinophilenzahl erhöht, wenn eine Infektion am Abklingen ist (»lymphozytär-eosinophile Heilphase«).
Der Arzt kann das Blut vor Operationen, bei Verdacht auf Blutbildungsstörungen oder bei Dysbalancen im Wasserhaushalt untersuchen lassen. Da Leukozyten essenziell für die Immunabwehr sind, spielt ein großes Blutbild vor allem bei Infektionen eine Rolle. Wenn ein kleines oder großes Blutbild erstellt werden soll, brauchen Patienten in der Regel nicht nüchtern in der Praxis zu erscheinen. Bei der Interpretation von Blutwerten ist es wichtig, die vom Labor angegebenen Normalbereiche zu beachten. Normwerte unterscheiden sich nämlich nicht nur individuell, sondern auch je nach der Analysemethode des Labors. Die Angaben auf den Auswertungsbögen schauen sich Patienten am besten zusammen mit ihrem Arzt an und fragen nach, wenn etwas unklar ist.