Das Leben nach der Adipositas-OP |
Magen verkleinert, Kilos runter: Ganz so einfach ist es meistens nicht. Nach der Operation muss der Patient seinen Lebensstil nachhaltig ändern, um nicht wieder zuzunehmen. / Foto: Getty Images/Dacharlie
»Nach meiner Adipositas-OP hatte ich gehofft, mit dem Thema Adipositas abzuschließen. Aber dem war nicht so und das hat mehrere Gründe«, sagt Dr. Victoria Witt, Ärztin und Autorin des Ratgebers »Meine Adipositas-OP«, gegenüber PTA-Forum. Mit einer Adipositas-OP verliert man laut Witt zwar anfangs meist in kurzer Zeit viel Gewicht. Aber damit allein ist es nicht getan. Um das neue Körpergewicht zu halten, muss man seinen Lebensstil ändern und diesen einer laufenden Selbstkontrolle unterziehen. Sonst drohen die Kilos wiederzukommen. Heißt konkret: Zufuhr und Verbrauch von Kalorien müssen durch eine bewusste Lebensmittelwahl und Bewegung ausbalanciert werden.
Das Schwierige dabei ist, dass ein Zuviel an Essen meist der Auslöser für das Übergewicht ist. Bei Menschen mit Adipositas kann es zudem nicht nur Genuss, sondern auch Suchtmittel sein und eine emotionale Komponente haben. Sich dem zu entziehen, sei in unserer »adipogenen Umwelt«, wie Witt sie nennt, sehr schwierig. Denn vielerorts lauern und locken Leckereien, sei es im Supermarkt, auf Familienfesten oder bei der Arbeit.
Ein weiterer Grund, weshalb für Witt das Leben nach einer Adipositas-OP »nicht unbedingt einfach wie gewohnt weitergeht«, sind »Kopf und Seele«. Die Suche nach der eigenen Identität kann aufkommen: Wer bin ich ohne Übergewicht? Wie verbringe ich nun meine Zeit, da ich viel aktiver sein kann? Ängste um einen Rückfall in alte Muster können entstehen und die Frage, wie gehe ich mit meinem Umfeld um, das nun vielleicht anders auf mich reagiert, weil ich schlanker bin, mein Wesen aber doch dasselbe geblieben ist? Das führt Witt zum Punkt Stigmatisierung, für deren Überwindung sie sich einsetzt: Das können zum Beispiel Aussagen sein wie »Wenn du einfach weniger essen und dich mehr bewegen würdest, wärst du nicht so dick« bis »Ach so, du hast nur wegen einer Magenoperation abgenommen«.
Ihr Ratgeber räumt daher mit gängigen Vorurteilen auf, etwa indem er auf die (noch weiter zu erforschende) multifaktorielle Genese der Krankheit Adipositas eingeht, zu der genetische Faktoren, Hormonhaushalt, Erziehung, Lebensstil und auch die Verfügbarkeit hochkalorischer Lebensmittel zählen. Dass eine Adipositas-OP kein Zuckerschlecken ist, das man mal eben nebenbei macht, wird bei der Lektüre des Buches schnell klar. Bereits die Zeit bis zur Entscheidung für die Operation ist oft geprägt von vielen Abwägungen, Zweifeln oder kritischen Stimmen aus dem Umfeld.
»Da die Krankheit Adipositas selbst Mitverursacher vieler anderer Erkrankungen wie metabolisches Syndrom, obstruktive Schlafapnoe oder Krebs sein kann, gehört sie behandelt. Ich möchte Ratsuchende ermutigen, dabei ihren eigenen Weg zu gehen und diesen möglichst basierend auf einer aufgeklärten Entscheidung. Das Buch dient dabei als Orientierung. Die Adipositas-OP ist eine von mehreren Möglichkeiten abzunehmen, aber sie ist mit Risiken behaftet, eignet sich nicht für jeden und ist keine Garantie, sondern eine Chance, schlanker und gesünder zu werden«, betont Witt.
Konkret begleitet der Ratgeber durch alle Phasen rund um die Adipositas-OP – von der Entscheidung zur OP (oder dagegen), der Operation selbst und dem Leben danach inklusive Nachsorge, der seelischen Komponente und wie man einer Suchtverschiebung etwa zum Nikotin hin trotzen kann. Die einzelnen Kapitel enthalten neben Informationen im Fließtext Infokästen mit praktischen Tipps und die Rubrik »OP-Tagebuch« als Anregung zur Selbstreflexion sowie Rezepte für die Zeit direkt vor und nach der OP, Tipps für »das richtige Essen« inklusive schneller proteinreicher Energiequellen für zwischendurch, eine Tabelle proteinreicher Lebensmittel, die kohlenhydrat- und fettreichen vorzuziehen sind, sowie eine Übersicht zur vorbeugenden Supplementation von Vitaminen und Mineralstoffen.
Denn eine geringere Nährstoffaufnahme ist zwar einerseits das Ziel der Adipositas-OP, um Gewicht zu verlieren und ein niedrigeres Gewicht zu halten. Andererseits droht der Körper dadurch zu wenig Vitamine und Mineralstoffe aufzunehmen. »Diese müssen strikt – bei den meisten OP-Varianten lebenslang – supplementiert werden, sonst können Mangelfolgeerscheinungen wie bröckelnde Zähne, Osteoporose oder schlechteres Sehen auftreten«, warnt Witt.
Wer eine Adipositas-Operation erwägt, sollte sich zunächst hausärztlich vorstellen und dann ausführlich von Spezialisten in einem zertifizierten Adipositas-Zentrum beraten lassen. Eine Liste findet sich auf der Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV). Weitere Informationsquellen bieten die online abrufbaren Patientenleitlinien zur »Diagnose und Behandlung der Adipositas« und »Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen« oder der Austausch mit Operierten in Selbsthilfeorganisationen.
»Ein chirurgischer Eingriff ist in der Regel erst möglich und sinnvoll zu erwägen, wenn konservative Maßnahmen wie Ernährungs-, Bewegungs- und medikamentöse Therapie sowie Verhaltensumstellung gescheitert sind«, so Witt. Oft verlange der Kostenträger, also die Krankenkasse, vom Antragsteller, vor einer entsprechenden Operation ein sechsmonatiges »multimodales Konzept zur Gewichtsreduktion« mit den Elementen Ernährung und Bewegung umzusetzen.
Der Antragsteller braucht zudem ein endokrinologisches Gutachten, um eine hormonelle Ursache der Fettleibigkeit auszuschließen beziehungsweise diese zunächst behandeln zu lassen. Auch ist ein psychologisches Gutachten nötig, denn leitliniengemäß sollte bei instabilem psychopathologischen Zustand, aktiver Substanzabhängigkeit und unbehandelter Bulimia nervosa keine OP erfolgen.
Detailliert beschreibt der Ratgeber auch die derzeit möglichen Adipositas-Operationsverfahren und verweist auf solche in der Forschung. »Es ist wichtig, sich gut beraten zu lassen, Vor- und Nachteile sowie die Risiken der einzelnen Verfahren gut abzuwägen. Denn bei der Adipositas-OP handelt es sich um eine lebenslange Entscheidung, mit deren Folgen die Betroffenen leben werden«, sagt Witt.