Bewegung hält Körper und Geist fit. / © Getty Images/Westend61/Uwe Umstätter
Je älter der Mensch wird, desto höher ist das Risiko, dass sein Gehirn an einer Form von Demenz erkrankt. Zudem gibt es genetische Komponenten, die die Entstehung einer Demenz begünstigen. »Dennoch haben wir in der Vorbeugung einen großen Hebel in der Hand, unser Gehirn vor einer Demenzerkrankung möglichst zu schützen. Und selbst bei eingetretener Demenz können wir versuchen, dem Fortschreiten entgegenzuwirken«, sagt Professor Dr. Lars Wojtecki im Gespräch mit PTA-Forum. Zusammen mit Dr. Celine Cont forscht er am Institut für Klinische Neurowissenschaften und Medizinische Psychologie der Universitätsklinik Düsseldorf; beide haben in diesem Jahr den Ratgeber »Expertenwissen: Demenz« (siehe Buchtipp) veröffentlicht.
Darin versuchen sie, ein besseres Verständnis der neurodegenerativen Erkrankung zu erreichen. Sie informieren ausführlich über die verschiedenen Formen samt Symptomen und Diagnoseverfahren. Auch geht es um aktuelle Behandlungsmöglichkeiten – medikamentöse Therapien wie die Antikörpertherapie und professionell begleitete aktivierende Maßnahmen wie kognitives Training, Ergo- und Physiotherapie – sowie um derzeitige Forschungsansätze. Wie können Betroffene und Angehörige am besten mit der Erkrankung umgehen und mit ihr leben?
Mithilfe von Präventionsmaßnahmen lässt sich das Demenzrisiko um bis zu 45 Prozent, also um knapp die Hälfte, senken. Die Lancet-Kommission zu Demenz, eine internationale Forschungskommission, hat dazu 14 modifizierbare Risikofaktoren identifiziert und sie Lebensphasen zugeordnet. In der frühen Lebensphase ist demnach ein niedriger Bildungsstand ein bedeutender Risikofaktor für Demenz. Frühe Bildung und lebenslanges Lernen beeinflussen das Gehirn dagegen positiv, bauen viele Nervenzellverbindungen auf und verstärken sie. Damit erhöhen sie die sogenannte kognitive Reserve, also die physiologische Robustheit des Gehirns gegenüber Schäden wie dem Nervenzellsterben unter Demenz.
In der mittleren Lebensphase kommen zehn weitere Risikofaktoren hinzu: Bewegungsmangel, Diabetes mellitus, Übergewicht und Rauchen, Depressionen, Schädel-Hirn-Verletzungen, Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte, Alkoholkonsum und Hörverlust.
Ganz wichtig ist Bewegung: Sie fördert die Durchblutung und stärkt das Herz-Kreislauf-System. Davon profitiert auch das Gehirn, das Sauerstoff und Nährstoffe über die Blutgefäße erhält. Ebenso ist ein rauchfreies Leben gut für die Blutgefäße, ein Rauchstopp lohnt sich selbst im höheren Alter.
Da Bluthochdruck ebenfalls ein starker Risikofaktor für Demenz ist, sollte ab 40 Jahren der systolische Blutdruck konstant 130mmHg nicht übersteigen. Zur Kontrolle besonders des nächtlichen Blutdrucks eignet sich eine 24-Stunden-Langzeit-Blutdruckmessung. Ausreichend Bewegung, Übergewicht abbauen, weniger Salz essen, wenig bis keinen Alkohol trinken, Stress meiden und Rauchverzicht sind Bausteine zur Blutdrucksenkung.
Der LDL-Cholesterolwert sollte bei Gesunden unter 130 mg/dl liegen, nach einem kardiovaskulären Ereignis wie Schlaganfall oder Herzinfarkt unter 55 mg/dl. Auch Diabetes kann Gefäße und damit auch das Gehirn schädigen, regelmäßige Kontrollen des Blutzuckerspiegels und des Langzeitblutzuckers sind daher bedeutsam.
Wichtig zur Demenzprävention ist auch gutes Hören und Sehen. Ein unbehandelter Hörverlust verstärkt die soziale Isolation und erhöht die kognitive Belastung. Man sollte möglichst Lärm meiden, einen Gehörschutz tragen und bei Hörschwäche ein Hörgerät nutzen. Eine Sehschwäche sollte durch eine Brille oder Kontaktlinsen korrigiert werden. In der späten Lebensphase zählt Sehverlust neben sozialer Isolation und Luftverschmutzung (auch durch Rauchen!) über einen längeren Zeitraum zu den wichtigsten Risikofaktoren.
Ein Leben lang regelmäßig Zeit mit anderen Menschen verbringen, lernen (eine neue Sprache, ein neues Hobby, lesen, kognitive Aufgaben als Gehirntraining lösen), sich gesund ernähren mit unverarbeiteten Lebensmitteln, Obst, Gemüse, Vollkornprodukten und ungesättigten Fettsäuren, sich ausreichend bewegen und dabei Ausdauer und Muskelkraft trainieren, auf Alkohol und Rauchen verzichten – das scheint der Schlüssel für eine möglichst lange Gesundheit auch des Gehirns zu sein. Und all diese Faktoren können anscheinend auch den Verlauf einer Demenzerkrankung positiv beeinflussen. Sich zu bewegen und dabei kognitive Aufgaben zu lösen, sei für das Gehirn noch anregender und damit gesundheitsfördernder als die Tätigkeiten einzeln durchzuführen, so Wojtecki.
Demenz zeigt sich in verschiedenen Formen: Am häufigsten sind die Alzheimer-Krankheit (60 bis 70 Prozent aller Fälle), vaskuläre (gefäßbedingte) Demenzen, die Lewy-Körperchen-Krankheit, die Demenz bei Morbus Parkinson sowie die Frontotemporale Demenz. Die Symptome sind vielfältig und individuell. Eingeteilt werden sie in kognitive Beeinträchtigungen (Gedächtnisverlust, Orientierungsprobleme), alltägliche Einschränkungen (Schwierigkeiten bei Haushalt und Körperpflege), stimmungsbezogene Veränderungen (Depressionen, Angst), Verhaltensauffälligkeiten (Unruhe, Aggressivität). Oft bleiben die Symptome über Jahre unbemerkt. Zudem gibt es je nach Form auch untypische Anzeichen.
Auf der anderen Seite sind viele Menschen im höheren Alter weniger leistungsfähig, etwa vergesslicher, ohne dement zu sein. Die Demenzdiagnostik von Ärzten und Neuropsychologen konzentriert sich daher darauf, wie sich die Erkrankung im täglichen Leben zeigt. Wojtecki: »Eine frühe, gründliche Untersuchung von Gehirn und Blut ist wichtig, um die Ursache für die abnehmende Gehirnleistung und die richtige Form der Demenz zu identifizieren. Manche Ursache ist behandelbar.« Dazu zählen etwa Vitaminmangel, Infektionen, Autoimmunerkrankungen oder übermäßiger Alkoholkonsum. Die Demenz selbst ist, Stand heute, nicht heilbar. Mithilfe medikamentöser und nicht medikamentöser Therapien wie Ergo- oder Physiotherapie lassen sich jedoch ihre Symptome lindern.
An die Angehörigen wenden sich die Experten mit der Bitte zur Selbstfürsorge. Sie können sich Unterstützung durch professionelle Pflege und in Selbsthilfegruppen holen. Co-Autorin Cont sagt: »Die Diagnose einer Demenzform ist oft ein Schicksalsschlag für die ganze Familie. Das habe ich durch meinen dementen Großvater erlebt. Es hilft zu wissen, dass Erkrankte selbst aktiv etwas tun können, um den Krankheitsprozess zu verlangsamen. Auch, dass es viele Tricks und Hilfsmittel für den Haushalt gibt, um den Alltag möglichst harmonisch und angenehm für Betroffene und Angehörige zu gestalten.«
Eine bessere Orientierung und Handhabe ermöglichen etwa bunte Trinkgläser mit klaren Formen und deutlichen Farbkontrasten, Besteck mit großen Griffen, Tellerranderhöher und Tischdecken ohne Muster. Eine Digitaluhr mit Tageszeit und Datum, ein Wochenplan mit Symbolen, etwa für den Spaziergang, motivieren zu Bewegung. Beschäftigungsideen sind Nesteldecke, Karten sortieren, gemeinsames Singen und Anschauen von Fotoalben. Bei Wortfindungsstörungen bietet sich ein Schild an, das hochgehalten werden kann: »Stopp, ich denke nach.« Umgekehrt kann ein Schild mit der Antwort auf sich immer wiederholende Fragen für Angehörige hilfreich sein oder auch das Wissen, dass es okay ist, den Raum bei Überforderung kurz zu verlassen.