Demenz hat viele Gesichter |
Katja Egermeier |
11.07.2023 15:00 Uhr |
Alle Demenzformen unterscheiden sich in Ursache, Symptomen und Verlauf und haben doch etwas gemeinsam: Sie beeinträchtigen die Funktion des Gehirns. / Foto: Getty Images/Halfpoint Images
Selbst berühmte Menschen sind vor dem Abbau und Verlust kognitiver Fähigkeiten nicht gefeit: Schauspieler Bruce Willis leidet an der Frontotemporalen Demenz, Robin Williams litt zu Lebzeiten an der Lewy-Körper-Demenz und Fußballtrainer Rudi Assauer an Alzheimer-Demenz. Spätestens bei dieser Aufzählung wird deutlich, dass es nicht nur die eine Demenz gibt und es sich nicht bei jeder Demenz um die Alzheimer-Erkrankung handelt.
Werden diese zwei Begriffe also – wie im allgemeinen Sprachgebrauch so häufig – synonym verwendet, dann ist das nicht richtig. Bei diesem Erkrankungsbild muss genauer differenziert werden. Die Alzheimer Forschung Initiative weist darauf hin, dass »Demenz« der Oberbegriff ist und Alzheimer nur eine der mehr als 50 Erkrankungen, die darunterfallen. Dabei ist die Alzheimer-Krankheit mit 60 bis 70 Prozent die am häufigsten vorkommende Demenzform. Es folgen nach Häufigkeit sortiert die Lewy-Körperchen-Demenz, die Parkinson-Demenz und die Frontotemporale Demenz. Daneben gibt es zahlreiche weitere Demenzformen, die insgesamt jedoch seltener sind, wie beispielsweise die Chronisch traumatische Enzephalopathie (CTE), die durch eine neurologische Erkrankung ausgelöst wird.
Die folgende Darstellung soll einen kurzen Überblick über die unterschiedlichen Symptome, Risikofaktoren und Behandlungsmethoden der vier häufigsten und zwei weiterer Demenzformen geben.
Ursache | Absterben von Nervenzellen im Gehirn |
Symptome | Verwirrung, Orientierungslosigkeit, Persönlichkeitsveränderung, Unruhe, Aggressionen, Depressionen, Verlust des Urteilsvermögens und der Sprachfähigkeit |
Beginn | meist ab dem 65. Lebensjahr, bei der seltenen vererbbaren Form früher (zwischen 30 und 65 Jahren) |
Prognose | nicht heilbar oder aufhaltbar, die Symptome können jedoch behandelt und die Lebensqualität der Betroffenen verbessert werden |
Risikofaktoren |
zunehmendes Alter (99 Prozent), erblich bedingt ist die Krankheit in weniger als 1 Prozent der Fälle Als weitere Risikofaktoren gelten: Bewegungsmangel, Kopfverletzungen, übermäßiger Alkoholkonsum, Feinstaubbelastung, Übergewicht, Bluthochdruck, eingeschränkte Hörfähigkeit, Rauchen, Diabetes, Depressionen, Mangel an sozialen Kontakten und Bildung |
Behandlung |
Antidementiva, Antidepressiva und Neuroleptika können insbesondere in einem frühen und mittleren Stadium helfen, die Gedächtnisleistung möglichst lange zu erhalten. Kombiniert werden diese mit nicht-medikamentösen Behandlungsmethoden wie Musik- oder Ergotherapie. Derzeit in Deutschland zugelassene Antidementiva sind: Donepezil (z. B. Aricept®), Rivastigmin (z. B. Exelon®), Galantamin (z. B. Reminyl®) sowie Memantin (z. B. Axura®, Ebixa®) Daneben werden Arzneimittel aus der Gruppe der Nootropika verordnet, wie Ginkgo biloba, ein Extrakt aus den Blättern des Ginkgo-Baums. Er dient der Förderung der Durchblutung. Aktuell gibt es Hinweise darauf, dass Ginkgo das Denk- und Erinnerungsvermögen bei leichter bis mittelgradiger Alzheimer-Demenz positiv beeinflussen kann. |
Ursache | Eiweißablagerungen in den Nervenzellen des Hirnstamms und der Großhirnrinde stören die Kommunikation im Gehirn. |
Symptome | Gedächtnisstörungen, Halluzinationen, motorische Beeinträchtigungen, viele Ähnlichkeiten mit Parkinson- und Alzheimer-Demenz |
Beginn | meist ab dem 60. Lebensjahr |
Prognose | nicht heilbar, medikamentöse Therapie ist schwierig, nicht-medikamentöse Behandlungsformen können die Lebensqualität verbessern |
Risikofaktoren | keine gesicherten Risikofaktoren bekannt, eine Genvariante (ApoE4) könnte eine Rolle spielen |
Behandlung |
Es gibt noch keine speziell für diese Demenzform zugelassenen Medikamente. Die medikamentöse Behandlung erfolgt daher mit den folgenden Medikamenten: • Zwei Alzheimer-Medikamente (Rivastigmin, Donepezil) können die kognitive Leistung leicht verbessern oder zu weniger Apathie und Wahnvorstellungen führen. • Das Parkinson-Medikament Levodopa kann motorische Symptome leicht verbessern. Nebenwirkungen: Halluzinationen und Wahnvorstellungen können sich verstärken. • Clozapin oder Quetiapin können bei psychotischen Störungen helfen. Motorische Symptome können sich dabei verschlechtern. • Depressive Episoden können mit Antidepressiva und spezieller Psychotherapie behandelt werden. |
Ursache | Abbau von Nervenzellen in einer bestimmten Region im Mittelhirn, der sogenannten schwarzen Substanz (Substantia nigra) |
Symptome | fortschreitende motorische Einschränkungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Orientierungsprobleme, verlangsamtes Denken, verzögerte Reizverarbeitung, Wortfindungsstörungen, Persönlichkeitsveränderung |
Beginn | tritt bei rund 30 bis 40 Prozent aller Parkinson-Erkrankten auf, Gedächtnisprobleme werden meist erst im fortgeschrittenen Verlauf der Krankheit zum Problem |
Prognose | nicht heilbar, Symptome können jedoch behandelt werden |
Risikofaktoren | höheres Lebensalter, GBA1-Mutation |
Behandlung |
Die medikamentöse Behandlung zielt darauf ab, die Botenstoffe im Gehirn wieder ins Gleichgewicht zu bringen und damit motorische Defizite abzumildern. • Levodopa (in Kombination mit einem Decarboxylasehemmer) soll den Dopaminmangel ausgleichen. • Das Alzheimer-Medikament Rivastigmin ist auch für die Behandlung einer Parkinson-Demenz zugelassen. • Bei depressiven Verstimmungen können Antidepressiva hilfreich sein. • Bei Halluzinationen und Unruhe können bestimmte atypische Neuroleptika (Antipsychotika) gegeben werden. Andere Neuroleptika können die Beweglichkeit verschlechtern und sollten vermieden werden. Als nicht-medikamentöse Behandlung zur Linderung der Parkinson-Krankheit wird möglichst viel körperliche Aktivität empfohlen. Bei Parkinson-Demenz kann Gedächtnistraining zu Beginn hilfreich sein. |
Ursache | Abbau von Nervenzellen |
Symptome | Veränderung von Persönlichkeit, Sozialverhalten und sprachlichen Fertigkeiten, Empathieverlust, Enthemmung, Apathie, Aggressivität, zwanghaftes Verhalten, Heißhunger, maßlose Ernährung |
Beginn | meist zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr |
Prognose | bislang nicht heilbar, nicht-medikamentöse Therapien können Beschwerden verringern |
Risikofaktoren | Die Ursachen sind bislang weitgehend unbekannt, Veränderungen im Erbgut oder Stoffwechselerkrankungen gelten als Risikofaktoren. |
Behandlung |
Ziel ist das Mildern der Verhaltensauffälligkeiten, beispielsweise durch Beruhigungsmittel oder Neuroleptika. Antidepressiva können das Essverhalten regulieren oder den Antrieb steigern. Als nicht-medikamentöse Therapieoptionen können je nach Ausprägung der Demenz körperliche Aktivität, Aktivitätstraining (Spaziergänge, kreative Aktivitäten) oder bei Sprachdefiziten Logopädie zur Verbesserung der Symptome beitragen. |
Ursache | Ablagerungen von Tau-Proteinen im Gehirn |
Symptome | Die Symptome sind vielfältig und können sehr unterschiedlich sein, je nach betroffener Hirnregion. Patienten können psychische, motorische und geistige Störungen entwickeln. Häufig treten Persönlichkeitsveränderungen sowie Depressionen auf, bei anderen stehen die kognitiven Defizite im Vordergrund. Oft treten Störungen in allen Bereichen auf. |
Beginn | nach wiederholten Kopfverletzungen |
Prognose | nicht heilbar, auch spezielle Medikamente gibt es für CTE noch nicht, eine bessere Lebensqualität kann jedoch durch nicht-medikamentöse Therapien erreicht werden. |
Risikofaktoren | Risikofaktoren sind wiederholte Kopfverletzungen, beispielsweise durch Kontaktsportarten wie American Football, Rugby, Boxen oder Eishockey. Auch Kopfbälle beim Fußball werden diskutiert. Zudem können Kopfverletzungen durch Stürze und Unfälle das Erkrankungsrisiko erhöhen sowie ein Risikogen (ApoE4). |
Behandlung |
Medikamente, die eigens für die Krankheit zugelassen sind, gibt es nicht. Verschiedene Medikamente können den Verlauf der Erkrankung jedoch verzögern und die Lebensqualität verbessern. • Zur Behandlung von kognitiven Störungen können Alzheimer-Medikamente wie Galantamin, Donezepil und Rivastigmin eingesetzt werden. • Antidepressiva können bei Depressionen helfen. • Bei motorischen Problemen können Parkinson-Medikamente helfen, wie Levodopa und Dopaminantagonisten. Die Medikamente müssen gut aufeinander abgestimmt sein, um Wechselwirkungen zu vermeiden, die die Krankheit noch verschlimmern. Um die Symptome zu mildern, sind nicht-medikamentöse Behandlungen von großer Bedeutung. So können bei motorischen Störungen Ergo- und Physiotherapie helfen und bei Sprachproblemen Logopädie zum Einsatz kommen. Eine begleitende Psychotherapie kann helfen, mit den psychischen Herausforderungen umzugehen und Depressionen zu mildern. |
Ursache | Durchblutungsstörungen im Gehirn |
Symptome | Verwirrung, Orientierungslosigkeit, Bewegungsstörungen, Koordinationsstörungen, Lähmungen |
Beginn | plötzlich nach Schlaganfall, schleichend durch Arterienverkalkung und Bluthochdruck |
Prognose | nicht heilbar, bereits vorhandene Schädigungen des Gehirns können nicht rückgängig gemacht werden |
Risikofaktoren | hohes Alter, Bluthochdruck, Herzerkrankungen (Vorhofflimmern), Diabetes, hoher Fettspiegel (Lipide), einschließlich Cholesterin, Übergewicht, Bewegungsmangel, Arteriosklerose, genetische Faktoren, Rauchen |
Behandlung |
Ziel ist es, weiteren Schäden vorzubeugen. Medikamentöse Behandlung gegen Schlaganfall, Bluthochdruck, erhöhtes Cholesterin und erhöhten Blutzucker. Nicht medikamentöse Behandlung: Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Musiktherapie, Krankengymnastik |
Aktuellen Schätzungen des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen zufolge leben in Deutschland etwa 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenz. Weltweit sollen es etwa 55 Millionen sein. Wie eine Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO zeigt, wird es nicht dabei bleiben: Es gilt als wahrscheinlich, dass bereits 2030 weltweit rund 40 Prozent mehr Menschen betroffen sein werden als heute. Der Hauptgrund dafür ist die steigende Lebenserwartung der Menschen in vielen Teilen der Welt, denn obwohl der Begriff Demenz für eine ganze Gruppe an Erkrankungen steht, gilt sie doch als klassische Alterserkrankung. Die Mehrheit der Betroffenen wird nach dem 65. Lebensjahr diagnostiziert. Ab dem 85. Lebensjahr liegt das Erkrankungsrisiko bei etwa 40 Prozent.