Depressionen bei Kindern und Jugendlichen erkennen |
Isabel Weinert |
13.06.2023 08:30 Uhr |
Doch wie merken Eltern überhaupt, dass das Kind nicht eine entwicklungsbedingte Stimmungsschwankung durchmacht, sondern eine depressive Episode? Das ist nicht einfach, weiß Haas, denn je jünger ein Kind, umso stärker wechseln Stimmungen und das typische Bild des apathisch depressiven Erwachsenen passt auf Kinder einfach nicht. Gerade körperlich von Natur aus aktive Kinder bleiben auch in der Depression motorisch lebendig. Doch es gibt Zeichen, die bei Eltern als Alarmsignal ankommen sollten. Wenn die jedem Kind eigene natürliche Neugierde deutlich abnimmt, es nichts mehr ausprobieren, untersuchen, bauen, lernen, spielen möchte, dann könne das auf eine Depression hindeuten, so Haas.
Ein weiteres Signal: Wenn Kinder oder Jugendliche geliebte Alltagsaktivitäten nicht mehr verfolgen, nicht mehr zum Sport gehen, keine Freunde mehr treffen, mit dem Papa nicht mehr Fußball schauen möchten. Dann kann zwar ein einzelnes Ereignis dieser Art noch einem Entwicklungsschub geschuldet sein, die Summe daraus deutet aber auf eine seelische Erkrankung hin.
Keine Gedanken müssen sich Eltern machen, wenn ihr Kind alterstypischen Beschäftigungen nachgeht. Dann ist es meistens stabil. Dazu gehört auch das Gaming am PC im Übermaß. Selbst wenn das am Wochenende zehn Stunden am Tag seien, müssten sich Eltern keine Sorgen machen, so Haas. Die Anzahl der Stunden am PC sei völlig irrelevant, sondern es gehe darum, welchen Alltagsaktivitäten ein Jugendlicher sonst noch nachgehe.
Durchleben Kinder oder Jugendliche eine depressive Phase, müssen Eltern dann befürchten, dass das immer wieder kommt, also von einem chronischen Verlauf ausgehen? Nein, sagt Haas. Der betroffene Mensch habe zwar eine höhere seelische Vulnerabilität, das heiße, besonders an Schwellen des Lebens wie einem Schulwechsel, einer gescheiterten Liebe, einer zerbrochenen Freundschaft könne wieder eine depressive Phase auftreten, das sei aber keineswegs zwangsläufig der Fall.
Haas gehört zu den Experten, die in den Prozess der Erstellung einer überarbeiteten Leitlinie für Depressionen im Kindes- und Jugendalter eingebunden sind. Er rechnet mit einem Erscheinen gegen Ende dieses Jahres. Jüngst hat er Teile der Leitlinie gelesen. Gravierende Änderungen erwartet der Experte aber nicht.