Depressive Patienten erkennen und ansprechen |
Juliane Brüggen |
28.11.2022 14:00 Uhr |
Kaufen Patienten ohne ärztlichen Rat wiederholt Medikamente wie Johanniskraut oder Schlafmittel, kann das ein Zeichen für eine Depression sein. / Foto: Getty Images/SDI Productions
Erstmals gibt es Empfehlungen zur »apothekerischen Versorgung« in der Leitlinie. Es heißt: »Bei Anzeichen für depressive Symptome oder Suizidalität sollen Apotheker aktiv das Gespräch mit den betroffenen Menschen suchen, ihnen Möglichkeiten der Unterstützung aufzeigen, sie zum Annehmen ärztlicher und/oder psychotherapeutischer Hilfe ermuntern und gegebenenfalls weiterleiten.« Der Apotheke kommt somit eine Lotsenfunktion zu. Denn sie ist für Betroffene einfach erreichbar und für viele ein regelmäßiger Kontaktpunkt, um Rezepte einzulösen oder sich in der Selbstmedikation beraten zu lassen.
Aufhorchen sollten PTA und Apotheker, wenn Patienten »durch ihr Auftreten, entsprechende Äußerungen, typische körperliche Symptome oder auch diffuse Beschwerden wie Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Schlafstörungen oder Konzentrationsschwäche auffallen«. Hat ein Patient sich im Auftreten deutlich verändert, spricht er anders oder vernachlässigt die Körperpflege, wirkt er mutlos oder deutet sogar an, keinen Sinn im Weiterleben zu sehen, sollte ein Gesprächsangebot folgen. Auch die wiederholte Nachfrage nach Johanniskraut, Sedativa, Hypnotika und Analgetika kann ein Anhaltspunkt sein – ebenso wie das Regeln persönlicher Angelegenheiten, beispielsweise, wenn von einem Testament oder Abschiedsbrief berichtet wird.
Bei Patienten, die unter einer bekannten Depression leiden, kann die Apotheke auf eine akute Verschlechterung oder eine suizidale Krise achten. Neben den genannten Merkmalen könne auffallen, dass ein Patient Rezepte über suizidtaugliche Medikamente von verschiedenen Ärzten einreicht, so die Leitlinie.
Besteht der Verdacht, dass Depression oder Suizidalität vorliegen, kann es entscheidend sein, die Betroffenen anzusprechen, zu unterstützen und weiterzuleiten – sei es an ambulante Praxen, Beratungsstellen, die Telefonseelsorge oder an eine Krisenintervention. Es empfiehlt sich, die jeweiligen Anlaufstellen in der Region parat zu haben. Gut zu wissen: Es ist ein Mythos, dass das Ansprechen der Betroffenen zu Suizidalität führt oder dass Menschen, die über Suizid reden, diesen nicht in die Tat umsetzen. »Richtig ist: Reden hilft, entlastet und hält am Leben«, heißt es im Leitfaden »Suizidale Menschen in der Apotheke – Warnzeichen erkennen und reagieren« der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Dieser bietet Apothekenmitarbeitern konkrete Hilfe bei der Gesprächsführung und erklärt, welche Fragen relevant sind. Zu finden ist der Leitfaden unter www.abda.de im Bereich »Leitlinien und Arbeitshilfen«.
Neben dem Erkennen von Betroffenen sind Apotheken der Leitlinie zufolge auch im Bereich der Adhärenzförderung und Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) wichtig. Grundsätzlich sieht die Leitlinie folgende Aufgabenbereiche für Apotheken vor:
Neu ist unter anderem auch die Empfehlung von »internet- und mobilbasierten Interventionen« (IMI) für Patienten mit leichten depressiven Episoden, eingebunden in ein therapeutisches Gesamtkonzept. Zu den Interventionen gehören digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), die von den Krankenkassen erstattet werden, aber auch andere Apps. Wichtig ist der Leitlinie zufolge, dass die digitalen Angebote von einem Arzt oder Psychotherapeuten begleitet werden und zuvor Diagnose und Aufklärung stattgefunden haben.
Als neue Therapieoption wurde Esketamin in die Leitlinie aufgenommen, das einen anderen Wirkmechanismus als klassische Antidepressiva hat. Seit 2020 ist der Arzneistoff in Form eines Nasensprays zur Behandlung von depressiven Patienten zugelassen. Aufgrund der Gefahr für starke Nebenwirkungen und Toleranzentwicklung ist die Therapie Patienten vorbehalten, die auf andere Behandlungsansätze nicht ansprechen oder suizidal sind. Es darf nur im stationären Bereich angewendet werden. Auch für die Off-Label-Behandlung mit intravenösem Ketamin empfiehlt die Leitliniengruppe ein stationäres psychiatrisches Setting.
Einen Überblick über alle Neuerungen erhalten Sie hier. Die Leitlinie und zahlreiche Informationsblätter für Patienten finden sich unter anderem im AWMF-Leitlinienregister.
Denken Sie darüber nach, sich das Leben zu nehmen? Reden Sie darüber! Hilfe und Beratung bei Suizidalität sind rund um die Uhr kostenfrei bei der Telefonseelsorge unter den Telefonnummern 0800/1110111 und 0800/1110222 oder unter www.telefonseelsorge.de zu erhalten.